Verschwörungstheorien sehen, prüfen und kontern

23.05.2025, Text: Tania Napravnik, COMMIT
Kritisch-reflexive Medienkompetenzen und funktionale Bedienkompetenzen sind wichtig für die Demokratie. In interaktiven Lernangeboten sind sie leicht erwerbbar. Politikwissenschafterin Stefanie Mayer im Interview mit Tania Napravnik.
Kritische Medienkompetenz besteht nicht nur aus Misstrauen. Medienkompetenz heißt zu wissen, wem man vertrauen kann, so Stefanie Mayer im Interview.
Foto: Alle Rechte vorbehalten, Privat, auf erwachsenenbildung.at

Tania Napravnik: Im Forschungsprojekt "3G gegen Verschwörungstheorien: gesehen, geprüft, gekontert. Critical (Social-)Media Literacy in der Erwachsenenbildung in Wien" hast du in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen und Kolleginnen unterschiedlichste Medienbildungsangebote kennengelernt: Was ist die gängige Art, wie kritische Medienkompetenz in der Erwachsenenbildung (EB) vermittelt wird?

Stefanie Mayer: Die EB ist ein sehr breites Feld. Wir haben uns intensiv mit der Basisbildung beschäftigt, weil das eines der wenigen Felder ist, wo kritische Medienkompetenz bzw. -bildung explizit verankert ist. Dort gibt es ein Curriculum, in dem digitale Kompetenzen als eigener Bereich verankert sind. Da fällt viel hinein, was ich als kritische Medienkompetenz bezeichnen würde. Es hängt dennoch ganz stark von einzelnen Trainern und Trainerinnen ab, wie sehr sie Medienkompetenzen in ihren Angeboten aufnehmen. Angebote, die sich schwerpunktmäßig der kritischen Medienkompetenz verschreiben, gibt es relativ wenige. Im Bereich der digitalen Bildung gibt es wiederum viele Angebote zu kritischer Medienkompetenz, was ganz oft über Projektförderungen finanziert wird. Diese werden aber unter dem Label der digitalen Kompetenzen angeboten. Im Bereich der digitalen Bildung gibt es wiederum für Senioren bzw. Seniorinnen oft spezifische Angebote auf der Ebene von Bedienkompetenzen. Zum Beispiel: Wie verschicke ich ein Foto auf WhatsApp? Solche Fragen stehen auf der Bedienebene oft im Mittelpunkt. Aber reflexiv-hinterfragende bzw. philosophische Fragen wie etwa: „Was machen Medien mit uns?“ haben da eher wenig Platz. Ähnlich ist es im Bereich der beruflichen Bildung: Hier steht eher die funktionale Kompetenz im Zentrum der Angebote, während kritisch-reflexive Kompetenzen weniger Platz und Raum finden. 

In eurem Projekt habt ihr herausgefunden, dass sich kritische Medienkompetenzen gut in kleinen Lerngruppen erlernen lassen: Was kann man sich darunter vorstellen? 

Öffentlichen Büchereien sind ein gutes Beispiel für solche Settings. Dort findet ein Face-to-Face-Austausch über Themen aus der digitalen Welt statt, zum Beispiel über das Erstellen von Falschinformationen. Es sind kleine Lerngruppen, die altersmäßig und vom Bildungshintergrund stark durchgemischt sind, sodass man voneinander lernen kann. Dieses „ in kleinen Gruppen voneinander Lernen“ ist ein sinnvoller und wichtiger Zugang, um kritische Medienkompetenz zu gewinnen. Spielerische Zugänge setzen ganz stark auf die Interaktion zwischen unterschiedlichen Personen. 

Ein anderes Beispiel ist Radio Orange. Dort lernt man bei der eigenständigen Sendungsgestaltung viel darüber, wie man im Storytelling beeinflussen könnte, indem man bestimmte Perspektiven zeigt und andere nicht. Kritische Medienkompetenz im gemeinsamen Tun und Austausch mit anderen zu erlernen - das ist wichtig.

Ich komme zurück zum Begriff kritische Medienkompetenz: Du kommst ursprünglich aus der feministischen Forschung. Was ist aus dieser Perspektive interessant an kritischer Medienkompetenz? 

Ich glaube, dass man alle Themen aus einer feministischen Perspektive anschauen kann und soll. Bezüglich Medienkompetenz würde ich sagen, dass verstärkt antifeministische Argumentationslinien in den Mainstream gespült werden. Zum Beispiel, wenn es um geschlechtliche und sexuelle Vielfalt oder reproduktive Rechte geht. Diesbezüglich bedeutet kritische Medienkompetenz, so etwas inhaltlich hinterfragen zu können, um Argumentationsstrategien zu erkennen. Ein weiterer Punkt ist, dass Medienkompetenz heutzutage mit Digitalem und Technik zu tun hat. Im Zugang zur digitalen Welt bestehen Ungleichheiten zwischen Männern, Frauen und anderen Geschlechtern. Aus dieser Hinsicht ist kritische Medienkompetenz ein feministisches Thema, weil der Zugang zur digitalen Welt gegenwärtig eine ganz wesentliche Vorbedingung ist, um gesellschaftlich teilhaben zu können. Solange es da eine geschlechtsspezifische Ungleichheit gibt, ist dies auch immer ein feministisches Thema. Wenn ich über digitale Kompetenz spreche, dann zähle ich dazu nicht nur die technische, sondern immer auch eine kritische und hinterfragende Seite: Was muss ich sowohl technisch wissen als auch verstehen, wie es funktioniert, um es hinterfragen zu können? Bei Projekten auf dem Level der digitalen Grundbildung verschränkten sich in der Lehre kritische Perspektiven mit der Erarbeitung von technischen Bedienkompetenzen.

Kritische Medienkompetenz wird in einem 3G-Forschungsbericht nicht nur als Eckpfeiler einer aufgeklärten Medienpädagogik bezeichnet, sondern auch als Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie: Was ist eine aufgeklärte Medienpädagogik und warum ist kritische Medienkompetenz wichtig für die Demokratie? 

Aufgeklärte Medienpädagogik versteht Bildung als etwas Emanzipatorisches, ein Weg zu einer Form von Selbstbefreiung. Das ist die Gegenthese zu jenen Bildungsansätzen, bei denen es darum geht, abfragbare, messbare Kompetenzen zu erwerben. Mit dem Aufklärungsgedanken erschließt sich der Bezug zur Demokratie: Nur Menschen, die emanzipiert und damit sozusagen „frei“ sind, können ihre demokratischen Rechte in vollem Umfang wahrnehmen. 

Hier sehe ich eine enge erste Verbindung zwischen kritischer Medienkompetenz und Demokratie. Die zweite Verschränkung ergibt sich aufgrund von Verschwörungsnarrativen, die sich auf Social Media in sogenannten „Echokammern“ bilden können, wo dann „Shitstorms“ anstatt Diskussion entstehen. Diese Entwicklung ist eine Bedrohung für eine demokratische Gesellschaft, in der man Demokratie nicht nur auf Wahlen reduziert, sondern als Ideal versteht, wo bestenfalls alle mitreden können. Mir ist schon klar, dass wir bei weitem noch nicht dort sind. Aber ich denke, wenn wir von Demokratie reden, wollen wir dorthin. Dafür braucht es einen kompetenten und kritisch reflektierenden Umgang mit Medien aller Arten. 

Das ist meine nächste Frage: Inwiefern ist kritische Medienkompetenz wichtig, um Menschen überhaupt zum Wählen zu motivieren? 

Ob kritische Medienkompetenz für sich genommen die Leute zum Wählen motivieren kann, weiß ich nicht genau. Aber ich glaube, sie kann Demokratie- bzw. Politikverdrossenheit entgegenwirken. Ein Beispiel: Sätze wie: „Ich glaube nichts bloß so, ich hinterfrage alles, ich gehe immer an die Quellen.“ klingen zunächst wie aus einem „Handbuch der kritischen Medienkompetenz“. Aber wenn man sich das Handeln von Menschen, die solche Sätze sagen, genauer anschaut, erkannt man unter Umständen Leute, die ein Verschwörungsnarrativ nach dem anderen verbreiten – ganz im Widerspruch zu den Ansätzen der kritischen Medienkompetenz. Das hat uns sehr beschäftigt. Denn kritische Medienkompetenz besteht nicht nur aus Misstrauen. Medienkompetenz heißt zu wissen, wem man vertrauen kann. Also nicht nur ein unterschiedsloses Misstrauen gegenüber alles und jeden predigen, sondern tatsächlich hinterfragen und eigene Urteilsbildung ermöglichen. Ich glaube, dass das auch ein Mittel gegen Demokratieverdrossenheit sein könnte. 

 

Stefanie Mayer ist Politikwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Konfliktforschung (IKF Wien), externe Lehrende an verschiedenen Universitäten und der FH Campus Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich feministischer Politikwissenschaft, zuletzt v.a. zum organisierten Antifeminismus (Sammelband „Global Perspectives on Anti-Feminism. Far-Right and Religious Attacks on Equality and Diversity“ – herausgegeben mit Judith Goetz 2023). Sie hat langjähriges wissenschaftliches und politisches Interesse an sozialen Bewegungen und sozialen Praktiken – u.a. in der Dissertation („Politik der Differenzen. Ethnisierung, Rassismen und Antirassismus im weißen feministischen Aktivismus in Wien“ publiziert 2018). Auf das Thema "Kritische Medienbildung" ist sie durch die Beschäftigung mit Verschwörungsnarrativen und anti-demokratischen Entwicklungen gestoßen.

Tania Napravnik ist Assistentin der Geschäftsführung von COMMIT, Projektleiterin der o94-Radioredaktion „Women on Air – Globale Dialoge“ und freie Journalistin.

Nachrichten-Serie über Kritische Medienkompetenz

Der kritische und konstruktive Umgang mit Medien ist Voraussetzung für eine selbstbestimmte Teilhabe an der (digitalen) Welt. Kritisches Medienhandeln ist damit mehr als die Fähigkeit, sich über die Geschehnisse in der Welt zu informieren. Es ist zentral für Lernen, Kommunikation, Partizipation und zur Meinungsbildung. Die Nachrichten-Serie „Kritische Medienkompetenz“ versammelt aktuelle Nachrichten und Hintergrundinformationen zum Thema.

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