2025: Das Jahr der Erinnerungskultur

Heuer jährt sich zum 80. Mal das Ende des 2. Weltkrieges und der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa. Das Kulturgremium des Landes Kärnten hat ein Jahr der Erinnerungskultur 2025 ausgerufen, an dessen Umsetzung sich das Kärntner Bildungswerk maßgeblich beteiligt. Zur Einstimmung gibt Michael Aichholzer, Geschäftsführer des Kärntner Bildungswerks, Einblick auf die Erinnerungsfunktion von Kultur und Ausblick auf die im Jahr der Erinnerungskultur 2025 geplanten Aktivitäten.
Kulturarbeit ist Erinnerungsarbeit
Die griechische Mythologie erzählt von der Göttin Mnemosyne, eine der ziemlich vielen Nachkommen der Erdmutter Gaia und des Uranos. Mnemosyne ist die Göttin der Erinnerung und ihre Kinder wiederum, die sie laut Hesiod nach einer neuntägigen Zusammenkunft mit Zeus gebar, sind die Musen, die Schutzgöttinnen der Kunst: Clio, Euterpe, Melpomene, Polyhymnia, Kalliope, Erato, Terpsichore, Urania und Thalia. Die Künste, die sie repräsentieren, reichen vom Gesang, der Instrumentalmusik, der Literatur, der Komödie und Tragödie, dem Tanz, bis hin zur Geschichtsschreibung und Philosophie. Ihre Abstammung von der “Erinnerungsgöttin” Mnemosyne ist ein Hinweis auf eine wichtige Funktion von Kunst: Sie ist eine Erinnerung an das über viele Generationen gemeinsam Erlebte, Erfahrene und an die Erkenntnisse daraus, die durch individuelle Kreativität in Form von Geschichten, Musik, Texten, Tänzen, von Bildern und Statuen zum Ausdruck gebracht werden. Kulturarbeit ist demnach weit über die Veredelung des Feierabends, der Freizeit hinaus, Erinnerungsarbeit für die Fundamente unseres Zusammenlebens.
Erinnerungskultur: das gesellschaftliche Gedächtnis
Der Begriff Erinnerungskultur steht im deutschen Sprachraum auch für eine relativ junge Teildisziplin der Kulturwissenschaften, die sich mit dem gesellschaftlichen Gebrauch der Geschichte beschäftigt. Es geht dabei also nicht um Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung selbst, sondern um die Auseinandersetzung von Gruppen mit geschichtlichen Ereignissen. Das Forscherehepaar Aleida und Jan Assmann hat sich in den letzten Jahrzehnten eine zentrale Position in der deutschsprachigen Erinnerungskulturforschung erarbeitet. Von Jan Assmann stammt eine einprägsame Definition für Erinnerungskultur als Frage einer Gruppe an sich selbst, was man nicht vergessen dürfe. Erinnern ist auf ein Gedächtnis angewiesen. Jenseits des individuellen Gedächtnisses jeder einzelnen Person und des Erinnerns an persönliche Erlebnisse gibt es auch ein gesellschaftliches Gedächtnis. Dieses zeigt sich an verschiedenen äußeren Bereichen des Lebens: Es sind die bewährten Handlungen des alltäglichen Lebens, die wir zum allergrößten Teil durch das Nachahmen von tradierten Handlungen erlernen. Es sind die Dinge, die Möbel, Kleidungsstücke, Gebäude und Geräte, die uns umgeben und unsere Erkenntnis dessen widerspiegeln, was wir für zweckmäßig und schön halten. Es ist die Sprache und das ganze Feld der Kommunikation, des Austausches über die Handlungen und die Dinge. Und es sind die gemeinsamen, also gruppenspezifischen oder gesellschaftlichen Riten, durch welche die Handlungen, die Dinge und die Sprache erst ihren gemeinsamen Sinn erhalten (siehe auch Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis). Das gesellschaftliche Gedächtnis, könnte man zusammenfassend sagen, erforscht sich nicht an den Nervenzellen des menschlichen Körpers, sondern an den alltäglichen Handlungen, den Gegenständen, an der Kommunikation und an den Riten des Zusammenlebens.
Was wir 2025 nicht vergessen dürfen
2025 werden achtzig Jahre seit dem Ende des 2. Weltkrieges, dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Neustart der Demokratie in Europa vergangen sein. Im Zentrum der Erinnerung wird 2025 daher das stehen, was Aleida Assmann als „ethische Erinnerungskultur“ bezeichnet hat und was sich auf Staats- und Gesellschaftsverbrechen aus der Sicht der Opfergruppen konzentriert (siehe auch Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur). In Kärnten hat das Kulturgremium des Landes Kärnten, ein unabhängiger Beirat aus 32 Fachleuten aus den unterschiedlichsten Kulturbereichen, ein Jahr der Erinnerungskultur ausgerufen. Nadja Danglmaier und Klaus Schönberger, Mitglieder des Kärntner Kulturgremiums, haben ein inhaltliches Umsetzungskonzept erstellt, das das Kärntner Bildungswerk gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe des Kulturgremiums administrativ umsetzt.
Kulturprojekte zu Opfer- und Tätergruppen des Nationalsozialismus
Im Rahmen des Jahres der Erinnerungskultur werden fünfzehn Kulturprojekte gefördert, die sich in Form von Wettbewerben, Ausstellungen, Filmen, Kunstinstallationen, Theaterprojekten und wissenschaftlichen Arbeiten mit Opfer- und Tätergruppen des Nationalsozialismus beschäftigen. Damit werden unter anderem biografische Skizzen von Opfern des Nationalsozialismus erarbeitet sowie Fallstudien zur Entfesselung gesellschaftlicher Gewalt, Vorträge, wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzungen mit Krieger- und Baudenkmälern sowie Straßenbezeichnungen ermöglicht. In einem weiteren Projekt wird ein renommierter Kärntner Chor seine Chorchronik neu schreiben und damit einen kritischen Blick auf die identitätsstiftende Wirkung des neuen Kärntnerliedes werfen.
Bildungsangebote an 15 Gedenkorten in Kärnten
Ein zweiter Schwerpunkt fördert den Besuch von Bildungsangeboten an insgesamt 15 Gedenkorten in Kärnten. Die Einladung zum Besuch der Gedenkorte und Veranstaltungen richtet sich an die gesamte Bevölkerung. Finanzielle Förderungen sollen insbesondere junge Menschen zur Teilnahme motivieren. Die Angebote finden vom 8. Mai bis 26. Oktober 2025 statt. Zum Auftakt am 8. Mai 2025 wird die Sonderausstellung „Hinschauen! Kärnten und der Nationalsozialismus” im Kärnten Museum eröffnet. Der Abschluss zum 26. Oktober wird mit einer internationalen wissenschaftlichen Tagung zur Erinnerungskultur an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt erfolgen. Das Kärntner Bildungswerk wird 2025 laufend über die Veranstaltungen informieren und bereitet gemeinsame Besuchsangebote für seine Mitglieder vor.

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