Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung 2024

Rund 230 Interessierte nahmen an der von der Arbeiterkammer Kärnten getragenen Veranstaltung unter dem Titel „Die Zukunft der Demokratie“ teil, um von den Expert*innen auf dem Podium Denkanstöße und praxisorientierte Handlungsempfehlungen zu erhalten. In ihren Begrüßungsworten betonten Landeshauptmann-Stellvertreterin Gaby Schaunig und Martin Kowatsch (Vorstandsmitglied der AK Kärnten), dass trotz der vielen Herausforderungen, denen sich die Demokratie gegenübersieht, diese gleichzeitig auch Chancen zur Erneuerung und Stärkung bieten.
Engagement fördern
Unter dem Titel „Die politische Urteilskraft der Bürger: Lebenselixier der Demokratie“ betonte der Politikwissenschafter Herfried Münkler (Humboldt-Universität Berlin), dass die Förderung des politischen Bewusstseins der Bürger*innen und damit ihrer Partizipation im Fokus stehen muss, um die Demokratie lebendig zu halten. Dabei ist es besonders wichtig, Politik erfahrbar zu machen und die Medienbildung zu fördern, damit Populismus und Falschinformationen von verlässlicher Berichterstattung unterschieden werden kann. Er wies darauf hin, dass politische Partizipation mit Anstrengung verbunden sei und dass ein gesamtgesellschaftliches Engagement für die Demokratie notwendig ist, um eine drohende Aushöhlung demokratischer Strukturen zu verhindern. Zahlreiche Demokratien sind laut Münkler in der Geschichte verschwunden. Dies führt er u. a. auf eine Neigung der Menschen zu einer Mischung aus Bequemlichkeit und Leichtfertigkeit zurück.
Wenn das Los entscheidet
Münkler schlug als innovativen Ansatz das Losverfahren vor, um das konstruktive Engagement der Bürger*innen zu stärken. Das würde bedeuten: Alle österreichischen Staatsbürger*innen zwischen 25 und 65 Jahren können für ein politisches Amt bestellt werden. Das Los entscheidet, wer das sein soll. Es gibt definierte Ausnahmen. Wie bei der Schöffenwahl müsste man das politische Amt dann annehmen, wenn man dazu berufen wird. Diese Idee, die Demokratie auf egalitäre Weise zu organisieren, wäre laut ihm ein wirklich demokratischer Akt. Wenn sich immer weniger Bürger*innen beteiligen, dann trocknet laut Münkler die Demokratie aus und wird immer mehr zum Verwaltungsstaat. Mit dem Losverfahren würde die Demokratie wieder als Sache jedes*jeder Einzelnen in den Fokus rücken.
Demokratie von unten stärken
Die Sozialwissenschafterin Martina Zandonella (FORESIGHT-Institut) analysierte, dass trotz der grundsätzlichen Zustimmung zur Demokratie in Österreich eine zunehmende Unzufriedenheit und ein Vertrauensverlust in politische Institutionen zu einer „Zweidritteldemokratie“ führen könnten. Insbesondere im unteren Einkommensdrittel zeigt sich eine wachsende Entfremdung von politischen Prozessen, die weiters in eine Repräsentationslücke mündet. Hier stellt sich die wichtige Frage, wie diese Menschen wieder für politische Partizipation begeistert werden können. Dies kann u. a. durch positive demokratische Alltagserfahrungen z. B. in Schulen, Aus- und Weiterbildungen, der Arbeit oder auch der Nachbarschaft geschehen.
Betriebsratsarbeit ist Demokratiearbeit
Betriebsrät*innen kommt im Zusammenhang der Demokratie als positive Alltagserfahrung eine besondere Rolle zu. „Wenn Menschen eine*n Betriebsrät*in haben, dem*der sie vertrauen und mit dem*der sie gute Erfahrungen gemacht haben, dann wirkt sich das auch positiv auf ihr Leben außerhalb der Arbeitsstätte aus. Sie merken, dass die Politik etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Betriebsratsarbeit ist Demokratiearbeit, die über den Betrieb hinausgeht“, so Zandonella. So kann es gelingen, Menschen durch die Arbeit des Betriebsrates in den demokratischen Prozess zurückzuholen.
Junge früher in politische Geschehnisse einbinden
Die Villacher Schülerin Anna-Victoria Hochstetter plädierte dafür, die Jugendlichen früher in politische Geschehnisse einzubinden und ihnen Partizipation zu ermöglichen. Das beginnt bereits dabei, die Belange der jungen Generation überhaupt ernst zu nehmen – sowohl von politischer als auch ziviler Seite. Ferner muss auch der demokratiepolitischen Bildung wesentlich früher – angesichts des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren – mehr Raum gegeben werden. Kabarettist Christian Hölbling zeigte sich ungewohnt ernst und appellierte an das politische Gewissen der 180 Anwesenden sowie rund 50 Teilnehmenden per Livestream und rief zu mehr demokratiepolitischem Engagement auf.
Die Kooperationspartner*innen der Kärntner Gespräche mit den Referent*innen (Foto: Alle Rechte vorbehalten, AK Kärnten/Gernot Gleiss, https://kaernten.arbeiterkammer.at/).
Über die Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung
Seit über 13 Jahren bieten die Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung einen Raum für den Austausch über aktuelle demokratiepolitische Diskurse. Die Veranstaltung versteht sich als Beitrag zur Weiterentwicklung einer solidarischen Gesellschaft und einer demokratischen Kultur, indem sie wertvolle Anregungen und konkrete Handlungsansätze in den Fokus rückt.
Sie richtet sich an ein breites Publikum, wie Betriebsrät*innen, Erwachsenenbildner*innen, Studierende sowie alle Interessierten und kann sowohl vor Ort als auch via Livestream mitverfolgt werden.
Die Kärntner Gespräche 2024 zum Nachhören und Nachlesen
Die Veranstaltung kann über die AK Mediathek nachträglich abgerufen werden.
Ein geplanter Sammelband wird die Beiträge aller Referent*innen der Tagung sowie ergänzende fachwissenschaftliche Beiträge der Veranstaltergemeinschaft enthalten. Er erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2025 über den Verlag des ÖGB.
Die Publikationen der Vorjahre sind über den Verlag des ÖGB erhältlich:
- „(Ohn-)Macht der Demokratie“ (Ausgabe 2022)
- „Der Sozialstaat als Garant für die Demokratie“ (Ausgabe 2023)
Breit aufgestellte Veranstaltergemeinschaft
Organisiert werden die Kärntner Gespräche jährlich von der Arbeiterkammer Kärnten und folgenden Kooperationspartner*innen:
- der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt – Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Arbeitsbereich Erwachsenenbildung und berufliche Bildung
- der Pädagogischen Hochschule – Viktor Frankl Hochschule,
- der Fachhochschule Kärnten – Studiengang Soziale Arbeit,
- der Landschaft des Wissens – Wissenschaftsverein Kärnten,
- der Bildungsdirektion Kärnten,
- dem Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) sowie den Kärntner Volkshochschulen.
Über die Autor*innen: Mag.a Anna Enderle und Mag. Daniel Weidlitsch vom Referat Geschichte, Gesellschaft und politische Bildung der Arbeiterkammer Kärnten sind federführend für die Umsetzung und Durchführung der jährlich stattfindenden Tagung Kärntner Gespräche zur demokratiepolitischen Bildung zuständig.

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