Verschwörungsglaube bei Erwachsenen und was politische Bildung tun kann

03.01.2023, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Eine Publikation zeigt auf, wieso ältere Erwachsene häufiger an Verschwörungsmythen glauben als jüngere und welche Bildungsformate dagegen wirken können.
Demonstration gegen Corona-Maßnahmen
Bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen demonstrierten auch Verschwörungsgläubige.
Foto: CC BY, 7C0,  Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Frankfurt, https://www.flickr.com/photos/7c0
Die Fachstelle für Politische Bildung und Entschwörung ist ein deutsches Modellprojekt, das Konzepte und neue Formate der politischen Bildung gegen Verschwörungsideologien bei älteren Erwachsenen entwickelt hat. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist eine Handreichung für die politische Bildung. Darin finden sich Hintergründe zum Verschwörungsglauben bei (älteren) Erwachsenen, innovative Formate für die politische Bildung sowie Qualitätsstandards für dementsprechende Bildungsangebote.

Untersuchungen aus Deutschland zeigen: Ältere glauben häufiger an Verschwörungsmythen

Die Publikation verweist auf verschiedene Untersuchungen aus Deutschland, die aufzeigen, dass vor allem Ältere dazu neigen, an Verschwörungsmythen zu glauben. Die Studie "Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in
Deutschland 2020/2021
" beispielsweise zeigte, dass Menschen zwischen 16 und 30 Jahren am seltensten Verschwörungsmythen anhängen (11,0%). Menschen zwischen 31 und 60 Jahren sowie jene über 61 Jahre glauben hingegen deutlich öfter an Verschwörungsideologien: Die Zustimmung lag hier bei 24,8% bzw. 24,2%.

 

Eine Befragung aus 2021 in Baden-Württemberg ergab, dass die sogenannten "Querdenker*innen" im Durchschnitt 47 Jahre alt sind, der Thinktank d|part ermittelte, dass Menschen über 35 Jahre eher an Verschwörungserzählungen glauben als Jüngere.

Ohnmacht, Angst vor dem Wandel und Vereinzelung: Gründe für Verschwörungsglauben

Die Autor*innen der Handreichung untersuchten, wieso gerade ältere Erwachsene öfter dem Verschwörungsglauben anhängen als jüngere und identifizieren verschiedene Gründe dafür.

 

Ein Grund liege darin, dass sich diese Menschen häufiger nicht gesellschaftlich anerkannt fühlen und keine Gestaltungsmöglichkeiten als Bürger*innen haben bzw. diese nicht erkennen können. Außerdem könne der Glaube an Verschwörungsideologien eine Reaktion auf die Überforderung sein, die durch den raschen gesellschaftlichen Wandel entsteht. Gesellschaftlicher Wandel erscheint dann als bedrohlicher und geplanter Umbau von z.B. Politik, Kultur oder Wirtschaft.

 

Als weiteren Aspekt nennen die Autor*innen die soziale Vereinzelung, die gerade bei älteren Erwachsenen eine Rolle spielt. Gewohnte soziale Netze wie das berufliche Umfeld fallen im Alter weg, das soziale Netzwerk wird kleiner. Dies könne dazu führen, dass Ältere Fake News und anderen Behauptungen eher Glauben schenken, die durch Bekanntschaften in Social-Media-Kanälen verbreitet werden.

 

Der Glaube an Verschwörungsideologien entstehe also oft aus Gefühlen der Ohnmacht und Orientierungslosigkeit, so die Autor*innen. Diese Gefühle werden in aggressive Machtfantasien umgewandelt. Verschwörungsgläubige sehen sich dann als mutige Kämpfer*innen für Wahrheit und Freiheit. Dadurch entsteht ein Gefühl der persönlichen Aufwertung, das jedoch stets auf Abwertung und Feindbestimmung beruht, so in der Publikation zu lesen.

Innovative Formate: Schaufensterausstellung und Gottesdienst gegen Verschwörungsmythen

Die Autor*innen weisen in der Publikation darauf hin, dass politische Bildung für Erwachsene Gestaltungsmöglichkeiten als Bürger*innen aufzeigen und bearbeiten kann. Denn ältere Erwachsene können und wollen die Gesellschaft gestalten, so die Autor*innen. In der Regel seien sie lebenserfahrene und aktive Bürger*innen, die sich oft auch ehrenamtlich für ihre Mitmenschen engagieren.

 

Die Autor*innen stellen in der Handreichung verschiedene innovative Bildungsformate vor, die dabei unterstützen können. Zum Beispiel könne es helfen, einen Raum zu bieten um wichtige Sinnfragen des Lebens stellen zu können: Wer bin ich? Warum bin ich hier? Warum gibt es Schlechtes auf der Welt und was kann man dagegen tun? Der Raum dafür kann z.B. nach einer öffentlichen Veranstaltung in einer Gemeinde, wie zum Beispiel nach einem Gottesdienst, gegeben werden. Die Auor*innen berichten z.B. davon, dass ein Imam das Thema der Verschwörungsmythen im regulären Gottesdienst aufgegriffen hat. Danach folgten offene Gesprächsrunden mit dem Imam, begleitet von politischen Bildner*innen. Dadurch eröffnete sich ein Ort für niederschwellige politische Bildung, eingebunden in bestehende Lebenswelten von älteren Erwachsenen.

 

Gerade bildungsbenachteiligte Menschen mit Angeboten zu erreichen, ist schwierig, so die Autor*innen. Wie das dennoch gelingen kann, zeigt ein weiteres Beispiel, das in der Publikation beschrieben wird. Hierbei konnten Bewohner*innen einer Gemeinde in einem sogenannten Stadtteilladen Räume und Drucker für sich nutzen. Außerdem gab es niederschwellige Sprechstunden für arbeitssuchende Menschen.

In diesem Stadteilladen installierten die Initiator*innen eine Ausstellung zum Thema Verschwörungsmythen – nicht nur im Inneren, sondern auch nach außen über große Schaufenster, sodass das Thema auch für Passant*innen sichtbar war. Es zeigte sich, dass die Ausstellung das Thema in die Öffentlichkeit bringen konnte, beschreiben die Autor*innen.

Qualitätsstandards für Bildung gegen Verschwörungsmythen

Die Publikation versammelt auch zehn Qualitätsstandards und Beschreibungen, die Bildungsarbeit gegen Verschwörungserzählungen aufweisen soll. Sie sind als Leitfragen formuliert, die sich Bildungsplaner*innen selbst stellen können:

  1. Entspricht das Format den Prinzipien der politischen Bildung?
  2. Bezieht sich das Format auf Erfahrungen in der Lebensrealität der Zielgruppe bzw. der Teilnehmenden?
  3. Bietet das Angebot Möglichkeiten zum Austausch und zur Reflexion?
  4. Liegt der Fokus auf den Grundstrukturen und Funktionsweisen von Verschwörungsmythen?
  5. Wird der Zusammenhang von Verschwörungsideologien und Antisemitismus veranschaulicht?
  6. Liegt der Schwerpunkt des Formats auf den Gefahren von Verschwörungsideologien?
  7. Ist das Angebot so konzipiert, dass es sich solidarisch mit (potenziell) Betroffenen von Verschwörungsideologien zeigt?
  8. Zeigt das Format alternative Identitätsangebote auf?
  9. Fördert das Bildungsangebot Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, Unsicherheiten und Widersprüche im Leben aushalten zu können, und vermeidet es eigene Gut-Böse-Konstruktionen?
  10. Zeigt das Bildungsangebot Handlungsmöglichkeiten auf?

 

Die Handreichung gibt es online als freies E-Paper.

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