Rassismuskritische Bildung für zukünftige Pädagog*innen
Rassismus: (K)Ein Thema in pädagogischen Studiengängen?
Hochschulen sind verantwortlich für die (Aus-)Bildung von Multiplikator*innen in der Bildungsarbeit und somit den zukünftigen Gestalter*innen der Gesellschaft. Problematisch hierbei ist, dass Hochschulen als Teil der Gesellschaft auch einen wesentlichen Beitrag zur (Re-)Produktion von Rassismus und sozialer Ungleichheit leisten können, wodurch diskriminierende Praktiken sowie rassistische Denkstrukturen unreflektiert an Studierende weitergegeben werden. Diskriminierende Effekte zeigen sich in Hochschulen demnach einerseits an den sehr unterschiedlichen Teilhabemöglichkeiten von Studierenden, anderseits aber auch an den Wissensinhalten, die ihnen in ihrer Ausbildung vermittelt werden. Zuschreibungen an Studierende aufgrund von Hautfarbe, religiöser und kultureller Zugehörigkeit, nationaler Herkunft u.Ä. gehen oftmals Hand in Hand mit abwertenden Vor- und Unterstellungen sowie Bewertungen hinsichtlich ihres Sozialverhaltens, ihrer Leistungsfähigkeit und generellen Prognosen über "Können" und Potenziale. Gleichzeitig ist in den pädagogischen Studiengängen – ebenso wie in anderen Disziplinen – die rassismuskritische Reflexion der eigenen Fachinhalte häufig nicht gegeben. Dies gilt etwa dann, wenn pädagogische Grundlagentheorien der Aufklärung noch immer ohne jeglichen Bezug zum zeitgeschichtlichen Entstehungskontext des europäischen Kolonialismus vermittelt werden. Gerade in der bundesdeutschen Lehramtsausbildung werden zudem noch immer verstärkt paternalistische Konzepte wie z. B. Methoden aus der Interkulturellen Pädagogik vermittelt, die auf problematische Weise den Fokus auf "den richtigen Umgang mit der anderen Kultur" oder "den Schüler*innen mit Migrationshintergrund" legen.
Jedoch verfügen Hochschulen auch über das Potential, die kritische Betrachtung rassistischer Machtverhältnisse und damit einhergehenden Urteilsbildungen zu ermöglichen. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass Rassismus und Diskriminierung als zentrale Rahmenbedingungen von Bildung anerkannt und somit auch selbstkritisch auf Hochschulstrukturen bezogen werden.
Alltagsrassismus zum Thema machen
Rassismuskritische Bildungsarbeit in pädagogischen Studiengängen - daran knüpft das Projekt "Vielfalt bildet! Rassismuskritische Bildungsarbeit gemeinsam gestalten" an, das zum 1. Januar 2020 am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der TU Darmstadt angelaufen ist. Im Rahmen des Projekts sollen Bildungsangebote unterschiedlicher Formate entwickelt werden, die Lehramts- und Pädagogikstudierende zu einer kritischen Hinterfragung rassistischer Strukturen und Handlungsmuster anregen sollen. Durch die inhaltliche Anknüpfung an aktuelle Ereignisse, wie etwa die Morde in Hanau und die rassistischen Auswirkungen der Corona-Pandemie, oder allgegenwärtige, jedoch kaum wahrgenommene rassistische Konstruktionen, wie beispielweise die Alltagssprache, soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Rassismus nicht nur als rechtsextreme Denk- und Handlungsform besteht, sondern ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Alltags ist.
Ein wesentliches Augenmerk der Angebote liegt auf der Frage nach der eigenen Involviertheit in rassistische Strukturen mit dem Ziel, diese aufzubrechen und defizitorientierten sowie stereotypen Sichtweisen entgegenzuwirken. Zukünftige Pädagog*innen werden hierdurch in die Lage versetzt, ihre professionelle Urteilsbildung in Bezug auf Aspekte wie Leistungs- und Sozialverhalten stets vor dem Hintergrund vorherrschender Machtverhältnisse zu reflektieren.
Rassismuskritik an der Schnittstelle von Hochschule, außeruniversitärer Bildung und Zivilgesellschaft
Eine konzeptionelle Besonderheit des Projekts stellt die Kooperation mit außeruniversitären und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen dar. Außergewöhnlich ist diese Konstellation vor allem deshalb, weil sie einen kritisch distanzierten Blick auf die eigenen Hochschulstrukturen ermöglicht und dabei den partizipativen Grundgedanken des rassismuskritischen Bildungsansatzes programmatisch aufgreift. Gemeinsam mit den Migrant*innenselbstorganisationen "Die Brücke e.V." und "Roza e.V.", der Selbstorganisation "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V.", dem Verband deutscher Sinti und Roma/Landesverband Hessen, der Bildungsstätte Anne Frank sowie der Heinrich-Emanuel-Merck Schule in Darmstadt werden im Projekt Bildungsangebote entwickelt und erprobt, die sich nicht nur Studierenden, sondern auch dem Aktionsradius der Kooperationspartner*innen widmen. Hierdurch ist es möglich, neben Studierenden eine breite Zielgruppe aus Jugendlichen, Schüler*innen, Lehrpersonen und weiteren pädagogischen Multiplikator*innen zu erreichen. Gleichzeitig werden durch die partizipative Konzeption und Durchführung der Angebote zivilgesellschaftliche Selbstorganisationen in ihrer Expertise anerkannt und Zugänge zum Thema Rassismus und Diskriminierung mit Praxiserfahrungen aus der außeruniversitären Bildungsarbeit verschränkt. So werden nicht nur Hochschulseminare in Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner*innen konzipiert, sondern auch Veranstaltungen jenseits des üblichen Hochschulformats wie bspw. Ausstellungen, Exkursionen, Lehrer*innenfortbildungen, Ringdiskussionsabende, Kulturveranstaltungen u.Ä.
Durch die institutionenübergreifende Kooperationsstruktur wird die Hochschule als Bildungsort für vielfältige Perspektiven geöffnet und kann somit auch für Blindstellen hinsichtlich ihrer eigenen Strukturen und Routinen sensibilisiert werden.
Das Projekt wird im Rahmen des deutschen Bundesprogramms "Demokratie leben!" vom Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Verwandte Artikel
„Green Community Education“ in der Erwachsenenbildung umsetzen
Im Rahmen des Erasmus+ Projekts CEduP entstand ein Leitfaden mit Community-Education-Methoden für Umwelt- und Klimaschutz.Wissenschaftspreise der Volkshochschulen: bis 30. November einreichen
Wer hervorragende wissenschaftliche Arbeiten zur Volkshochschulbildung veröffentlicht oder Initiativen der bürgerschaftlichen Bildung realisiert hat, kann sich für die Ludo-Hartmann-Preise oder den Barbara-Prammer-Preis bewerben.Was bedeutet das europäische KI-Gesetz für die Bildung?
Der Einsatz von KI-Systemen in der EU soll reguliert und damit sicher gestaltet werden. Was beinhaltet der Gesetzestext und wie wirkt sich das auf den Bildungsbereich aus?„Teilnehmendenorientierung ist eine Haltung.“
Zwei Expert*innen sprachen im wEBtalk am 15.1. darüber, was es braucht, um den Teilnehmer*innen in ihrer Selbstbestimmung gerecht zu werden. Jetzt nachsehen!Cyberpsychologie – Kommunikation und Verhalten in der digitalen Welt
Cyberpsychologie widmet sich ganz der Psychologie bei digitalen Prozessen und unterstützt damit auch die Erwachsenenbildung praktisch.Ein Vierteljahrhundert Wissenschaftsprogramm an den Wiener Volkshochschulen
Seit 25 Jahren bietet das Wissenschaftsprogramm „University Meets Public | VHS Science" der Wiener Volkshochschulen Wissenschaftskommunikation für rund 125.000 Besucher*innen an.