Ein Dorfplatz zum Anknabbern, gemeinsam Pflanzen, Gießen und Genießen

05.12.2019, Text: Tiroler Bildungsforum, Redaktion: Elisa Jenewein, Tiroler Bildungsforum/Ring ÖBW
So wird Gemeinwesenarbeit „kostbar“: Zahlreiche Beispiele von „Essbaren Gemeinden“ regten bei einer Tagung zum Nachmachen an.
Ribisel-Naschen erlaubt!
Foto: CC BY, Janovsky, Essbare-Gemeinden_01, auf erwachsenenbildung.at
Im Vorübergehen an der Volksschule eine Birne pflücken, sein Gemüse am Dorfplatz ernten, am Spielplatz mit den Enkelkindern Himbeeren naschen: Die Idee der „Essbaren Gemeinde" ist eine Methode der gesellschaftlichen Beteiligung im Rahmen von Gemeinwesenarbeit. Sie zieht GemeindebürgerInnen in ihren Bann, verlockt zum Mitmachen: gemeinsam „Gartln" in der Gemeinde. Ein kollektiver Aktivierungsprozess, wenn man so will. Diese Gemeinwesen-orientierte Idee konnte man bei der Tagung „Gemeinschaftsgärten und Essbare Gemeinden – Ökologische und gesellschaftliche Akzente setzen" genauer unter die Lupe nehmen und Best Practice Beispiele sammeln.

„Essbare Landschaften"

Im ersten Impulsvortrag „Essbare Landschaften" von Elisabeth Scheidl konnten die TagungsteilnehmerInnen Einblick in drei Essbare Projekte in Niederösterreich gewinnen.

Im „Alchimistenpark" in Kirchberg am Wagram (NÖ) steht seit 2008 ein ganzer Essbarer Park mit über 220 Obstarten der Öffentlichkeit zur Verfügung. Indianerbanane, Blauschotenstrauch und Sanddorn laden ebenso zum Naschen ein, wie klassische Obstgehölze. Der Garten ist ganzjährig besuchbar, auch Führungen sind möglich.

 

In Herzogenburg bietet die „kostbare Jubiläumsrunde", eine Genusswanderung, Information und Obstgenuss auf 15 Stationen zu unterschiedlichen Themen. Birne trifft Mehlbeere, Pfirsich trifft Marille und alte Hecken wurden durch neue genussvolle Sträucher ergänzt.

 

An der Bahnstation Unterkritzendorf, gestalten drei Frauen auf Privatinitiative die Umgebung des Bahnhofs seit 2014 mit essbaren Pflanzen. Kräuter- und Naschgarten erfreuen seither NachbarInnen und Bahnreisende.

Was ist eine „Essbare Gemeinde"?

Die essbare Gemeinde ist eine Idee, die die BewohnerInnen einer Gemeinde in die Gestaltung ihres Lebensraumes miteinbezieht und zusammenwachsen lässt. Das geschieht durch Übertragung von Verantwortung in der Pflege und das Nutznießen von Pflanzen, die im öffentlichen Raum in der Gemeinde wachsen.

 

Die Idee der Essbaren Gemeinde – oder auch Essbare Landschaften, Essbare Städte - hat viele Ausgangspunkte. Auch in Deutschland, Finnland und England finden sich derartige Initiativen. Zum Beispiel die Essbare Pionierstadt in England - Todmorden.

Terrorabwehrblöcke aus Obst und Hochbeete im öffentlichen Raum

Wie weitere Impulse bei der Tagung zeigten, scheinen die Ideen der Essbaren Gemeinde schier unendlich: In der Essbaren Stadt Sterzing werden neun große Terrorabwehrblöcke aus Eisen mit Essbarem bepflanzt – eine kreative Nutzung mitten im Stadtgebiet. Entlang der nahen Fußgänger-Promenade finden sich nun auch Obstbäume mit alten Obstsorten, die zum Pflücken einladen.

 

In Ottensheim wurden Beerensträucher entlang des Schulweges gepflanzt, in Innsbruck konnte ein Hochbeet im öffentlichen Raum aufgestellt werden. Dornbirn avanciert zur Essbaren Stadt und in der Seestadt im Osten Wiens forscht ein interdisziplinäres Team zur Frage, wie ein Stadtteil essbar gemacht werden kann.

Gesund ist „in"

Das Bedürfnis nach gesunden, regionalen Lebensmitteln steigt. In einer Essbaren Gemeinde laden die Verantwortlichen der Gemeinde die Bevölkerung ein, in Zusammenarbeit ihr Umfeld ökologischer und „KOSTbarer" zu gestalten – nach dem Motto: Naschen erlaubt statt betreten verboten. Fragen, die den Projektverantwortlichen dabei immer wieder durch den Kopf gehen: Wie kann es gelingen, gemeinsam Gärten zu gestalten? Können Menschen motiviert werden, Verantwortung für die Pflege von Bäumen, Beerensträuchern, Kräuterkisten oder andere Gartenelementen im (halb-) öffentlichen Raum zu übernehmen?

Wo hakt´s? Was bringt´s?

Wichtige Themen in allen Projekten, da sind sich die ExpertInnen der Tagung einig, sind die Pflege der Pflanzen, die Unterstützung durch lokale EntscheidungsträgerInnen und der Zeithorizont. Eine Essbare Landschaft kommt erst nach einiger Zeit zu voller Blüte, braucht Personen, die Wissen beisteuern und Verantwortung übernehmen. „Die Erfahrungen zeigen, dass neben dem direkten ökologischen Nutzen von biologisch und vielfältig bepflanzten öffentlichen Flächen auch besonders die Menschen profitieren", ist Petra Obojes-Signitzer, Leiterin der Servicestelle Gemeinschaftsgärten im Tiroler Bildungsforum, überzeugt. Wenn es nämlich im Park blüht, kommen SpaziergängerInnen miteinander ins Gespräch, weil sie die eine oder andere Pflanze erkennen. Und wenn sie dann eingeladen sind, die reifen Himbeeren zu naschen, fällt ihnen vielleicht auch auf, dass eine andere Pflanze Wasser benötigt – und greifen zur Gießkanne!

80 TeilnehmerInnen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen

Unter dem Tagungstitel „Gemeinschaftsgärten und Essbare Gemeinden – Ökologische und gesellschaftliche Akzente setzen" kamen von 20. bis 21. September 2019 80 KommunalpolitikerInnen, LandschaftsplanerInnen, GemeinschaftsgärtnerInnen und Interessierte in Matrei am Brenner miteinander ins Gespräch.

 

Die Tagung war zugleich Österreichische Netzwerktagung der Gemeinschaftsgärten und Startveranstaltung des grenzüberschreitenden Kooperationsprojekts „Essbare Gemeinden & Gemeinschaftsgärten im Wipptal" mit den Gemeinden Sterzing und Mühlbachl.

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