Geflüchtet: Wie ein Workshop hilft, die Vielfalt zu schätzen

Katharina Novy, die den Workshop gemeinsam mit Gert Dressel leitete, berichtete im Gespräch mi der Online-Redaktion, wie die Veranstaltung dazu beiträgt, Empathie zu fördern und Verständnis für die Situation anderer Menschen zu entwickeln.
"Auch freiwilliges Weggehen kann schwer sein"
Als Einstieg erzählten alle TeilnehmerInnen - egal ob mit oder ohne Fluchterfahrung in der Familie - ihre Erfahrungen zum Weggehen und Ankommen. Schnell wurde dabei deutlich, wie auch selbst gewählte Umbrüche, sei es ein Abschied aus dem alten Freundeskreis oder ein Umzug, schmerzhaft sein können und wie emotional bedeutend eine positive Aufnahme sein kann.
Im Anschluss wurden Erfahrungen mit Flucht in einem Gesprächskreis erzählt. Dabei wurde deutlich, wie gerade in einer Situation, in der alles Materielle zurückgelassen werden musste, immaterielle Bezugspunkte (wie z.B. die eigene Sprache oder mitgebrachte Traditionen) den Betroffenen ein Gefühl der Sicherheit geben, so Katharina Novy. Eine Teilnehmerin erlaubte auch Einblicke in die mögliche Weitergabe von Erfahrungen und Emotionen an spätere Generationen: Sie erzählte anschaulich, wie sie selbst, deren Großmutter zu Kriegsende aus dem damaligen Ostpreußen vertrieben wurde, "Heimweh" nach einem Ort empfand, den sie nie gesehen hatte.
"Es müssen ja nicht alle Deutschkurse anbieten"
Was bedeutet es für das Verständnis gegenüber fremden Menschen, wenn man sich selbst tief in einer Gemeinde verwurzelt fühlt? Was, wenn man selbst Erfahrungen mit Entwurzelung gemacht hat? Novy: "Viele meinten, dass man offener und flexibler ist, wenn man sich selbst nirgends zugehörig fühlt. Gleichzeitig haben es Geflüchtete oft gerade in kleineren Gemeinden, in denen eine stärkere Verwurzelung herrscht, leichter, mit Menschen in Kontakt zu kommen."
Gerade eine starke persönliche Betroffenheit könne es schwierig machen, sich selbst zu engagieren - etwa wenn Bilder von überfüllten Zügen Erinnerungen an eigene Fluchterfahrungen hervorrufen. "Hier loteten wir in einer psychodramatischen Inszenierung verschiedene Möglichkeiten aus, sich zu beteiligen", erzählt Katharina Novy. Wen ein persönliches Aufeinandertreffen mit Geflüchteten sehr betroffen mache, der/die könne sich auch im Hintergrund engagieren. Zum Beispiel, indem man im Internet auf falsche Berichterstattung hinweist. "Es müssen ja nicht alle Deutschkurse anbieten."
"Alles, was empathiefördernd ist, halte ich für ganz wichtig"
Welche gesellschaftlichen Empfehlungen lassen sich aus dem Workshop ableiten? Novy: "Gerade indem man sich bewusst macht, welche Einsamkeit und welche Trauer auch in scheinbar harmlosen Erfahrungen des Weggehens und Ankommens stecken, können Vertrauen und Empathie wachsen." Das mache es leichter, mit geflüchteten Menschen in Kontakt zu treten, "ihnen ein freundliches Gesicht zu zeigen." Hierzu brauche es Räume, in denen das gegenseitige Erzählen möglich sei, sagt Katharina Novy. "Alles, was empathiefördernd ist, halte ich für ganz wichtig. Man sieht dann den Menschen hinter der Geschichte - nicht nur eine Figur, auf die man etwas Bestimmtes projiziert."
Über den Workshop
Der Workshop "Geflüchtet - Biografische und familiengeschichtliche Erfahrungen in Österreich mit Flucht und Vertreibung" fand am 11. November 2016 im Bildungshaus St. Hippolyt in St. Pölten statt. Er wurde vom Österreichischen Institut für Erwachsenenbildung (oieb) organisiert, von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) gefördert und von Katharina Novy und Gert Dressel geleitet.
Katharina Novy ist Soziologin und Historikerin, Psychodramaleiterin, Diversity-Beraterin, Treinerin, Beraterin und Moderatorin.
Gert Dressel ist Historiker und Fortbildner an der IFF Wien der Universität Klagenfurt, sowie Leiter und Berater zahlreicher erzähl- und biografieorientierter Erinnerungsprojekte.
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