Hilfe oder Last? - Ehrenamtliche Unterstützung in der Basisbildung

08.11.2016, Text: Katarina Ortner, Verein Frauen aus allen Ländern, Redaktion: Stefanie Günes-Herzog, lernraum.wien / Netzwerk MIKA
Ehrenamtliche Mitarbeit in der Basisbildung kann eine große Hilfe sein. Aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. (Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft)
Geflüchtete sollen unterstützt werden
Bild. VHS Wien/Stefanie Günes Herzog
Um Menschen auf der Flucht zu unterstützen, engagieren sich derzeit sehr viele Menschen ehrenamtlich im Bereich Basisbildung und Deutsch als Zweitsprache. Sie unterrichten in ihrer Freizeit unentgeltlich Deutsch auf unterschiedlichen Niveaus, Lesen und Schreiben, Rechnen, Englisch, bereiten auf Prüfungen vor, machen Hausaufgabenbetreuung oder leiten Lerncafés.

 

Teilweise machen sie das völlig auf sich allein gestellt, teilweise eingebunden in Bildungsorganisationen. Manchmal für Einzelpersonen, manchmal für große heterogene Gruppen. Manchmal mit und manchmal ohne jegliche Unterrichtserfahrung. Fast immer ohne einschlägige Ausbildung. Kann das funktionieren? Oder führt das unweigerlich zu Überforderung und Frust aufseiten der ehrenamtlich Tätigen, der Lernenden und auch der professionellen Bildungsanbieter_innen? Was können Ehrenamtliche leisten? Und was gehört in professionelle Hände?

 

Die Arbeit mit Ehrenamtlichen


Die Bildungs- und Beratungseinrichtung Frauen aus allen Ländern bietet seit längerem Workshops für Volontärinnen und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen an. Dabei hat sich gezeigt, dass es unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl möglich ist, mit ehrenamtlicher Unterstützung einen für alle Beteiligten positiven Lernprozess zu gestalten. Allerdings geht das nicht von allein, es ist nicht automatisch kostengünstig und es ist nicht ganz einfach. Aber wenn es gelingt – und das kann es – ist das ehrenamtliche Engagement für alle Beteiligten eine enorme Bereicherung.

 
Professionelles Handlungsfeld


Keine Frage – nicht jeder Mensch, der über eine gute Basisbildung verfügt, kann diese auch gut vermitteln. Lesen und Schreiben in der Zielsprache Deutsch zu unterrichten ist ein hochkomplexer Prozess, der viel methodisch-didaktisches Wissen voraussetzt. Das Gleiche gilt für die anderen Inhalte der Basisbildung sowie für Deutsch als Zweitsprache. Deshalb gibt es dafür Ausbildungen, die ein professionelles Handeln ermöglichen sollen.

 

Das anzuerkennen ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der ehrenamtlichen Unterstützung und ist nicht so selbstverständlich wie es vielleicht scheint. Dies gilt es auch zu kommunizieren, wenn auf ehrenamtliche Unterstützung gesetzt wird – und zwar denen, die sich für ehrenamtliche Arbeit interessieren, als auch jenen Stellen, die Bildungskonzepte auf Basis von ehrenamtlicher Mitarbeit umsetzen möchten. Ein nicht immer einfaches Unterfangen.


Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit


Erfahrungsgemäß spielen folgende Faktoren eine entscheidende Rolle:


Anerkennung

Alle Akteur_innen im Lernprozess müssen Anerkennung für ihr Gegenüber mitbringen. Anerkennung für das große Engagement und die zur Verfügung gestellte Zeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen. Anerkennung für die Bereitschaft und die Motivation der Lernenden, sich unter schwierigen Bedingungen dem Lernprozess zu stellen.  Und Anerkennung für das Fachwissen und die Erfahrung der professionellen Mitarbeiter_innen.


Lernbereitschaft

Alle Beteiligten sollten sich als Lernende sehen und ihre Rolle in diesem Prozess kritisch hinterfragen. Wie geht man mit den bestehenden Machtverhältnissen um? Was kann vom Gegenüber gelernt werden? Wie können bevormundende Handlungen vermieden werden?

 

Abgrenzung

Ehrenamtliche Mitarbeit kann eine sehr wertvolle Unterstützung sein, aber sie kann professionelles Arbeiten nicht ersetzen. Das muss allen Beteiligten klar sein. Es ist essentiell, vorab zu definieren, welche Aufgaben ehrenamtlich übernommen werden können und welche nicht. Ehrenamtliches Handeln muss klar abgegrenzt sein von professionellem Handeln.


Wenn diese drei Voraussetzungen erfüllt werden, ist schon viel gewonnen. Ausreichend sind sie allerdings nicht, es braucht noch mehr.


Fachliche und emotionale Begleitung

Ehrenamtliche Mitarbeiter_innen dürfen nicht allein gelassen werden. Das ist weder ihnen noch den Lerner_innen zuzumuten.  Es muss regelmäßige, begleitende professionelle Unterstützungsangebote geben. Bewährt haben sich dabei Workshops, die an immer wieder gestellte Fragen anknüpfen. Warum kann sich jemand die einfachsten Wörter nicht merken?  Darf man einer Lernerin den Stift aus der Hand nehmen und in ihren Text hineinschreiben? Ist es normal, dass jemand, der schon alle Buchstaben benennen kann, trotzdem keine kurzen Wörter lesen kann? 

 

Passende Workshops dazu wären: Die Lebenssituation der Lerner_innen und mögliche Auswirkungen auf das Lernen. Machtverhältnisse, bevormundendes Verhalten und die eigene Rolle im Lernprozess. Und dann natürlich: Fachspezifische Workshops, um erstes grundlegendes Wissen zu Lernprozessen, Methoden und Materialien zu vermitteln. In denen kann dann beispielsweise gezeigt werden, wie man ganz ohne in den Text hineinzuschreiben, korrigieren kann.


Darüber hinaus müssen für die ehrenamtlich Engagierten regelmäßige Austauschmöglichkeiten geschaffen werden. Die ehrenamtliche Arbeit in diesem Bereich ist emotional und fachlich eine sehr große Herausforderung und die Menschen werden mit vielen Themen konfrontiert, die sie nicht alleine bearbeiten können. Diese Austauschmöglichkeiten müssen organisiert und begleitet werden, damit sie funktionieren.


Finanzierung

Zu guter Letzt hängt das Gelingen von ehrenamtlicher Bildungsarbeit von finanziellen Rahmenbedingungen ab. Für die genannten Begleitangebote müssen ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt werden und das ehrenamtliche Engagement muss in einen organisatorischen Rahmen mit entsprechender Infrastruktur eingebettet sein. Die ehrenamtlich tätigen Menschen brauchen professionelle Ansprechpersonen, die sie in ihrem Engagement fachlich und emotional unterstützen und die dafür angestellt und entsprechend bezahlt werden.


Also: Ehrenamtliche Unterstützung in der Basisbildung – Hilfe oder Last? Ganz klar: Hilfe. Aber nur unter den genannten Bedingungen!

 

Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft

Integrationskurse und Spracherwerb mögen ein Anfang sein. Doch wenn es um den sozialen Wandel geht, der mit Zuwanderung verbunden ist, sind die Menschen mit Migrationserfahrung nur eine der Zielgruppen von Erwachsenenbildung. Die Anforderungen der Migrationsgesellschaft betreffen uns alle. Fragen nach Teilhabe, Verständigung und Zusammenleben stellen sich immer wieder neu. Wie Erwachsenenbildung diese Anforderungen beschreibt, reflektiert und deutet, und welche Angebote für Lernen und Bildung sie ihnen entgegen bringt, ist Gegenstand einer Serie von Artikeln auf erwachsenenbildung.at. Alle Beiträge in der Serie finden Sie hier.

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