Begegnungen im Atelier

10.11.2016, Text: Monika Ritter und Lena Knilli, Redaktion: Renate Ömer, BhW Niederösterreich/Ring ÖBW
Zwei Wiener KünstlerInnen bieten Mal-Workshops für "alte und neue NachbarInnen" an. (Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft)
Atelier bei Lena Knilli
Foto: CC BY Lena Knilli, auf erwachsenenbildung.at
„Begegnungen im Atelier“ – was kann man sich darunter vorstellen?


Wir öffnen zweimal im Jahr für mehrere Tage unsere Ateliers. Bei den Workshops „Begegnungen im Atelier“ treffen sich 14 Menschen aus unterschiedlichen Kontexten 4 Tage lang in 2 Ateliers. Dabei malen und zeichnen sie, lernen dabei einander, neue Maltechniken und künstlerische Prozesse kennen, experimentieren, unterhalten sich, lachen gemeinsam.
Abschließend gibt es eine Präsentation, zu der auch die TeilnehmerInnen Bekannte und Familie einladen. Hier kommen wieder Menschen zusammen, und es finden wieder Begegnungen alter und neuer NachbarInnen statt.

 

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, das zu machen?


Wir sind beide neben der künstlerischen Arbeit im Atelier seit vielen Jahren auch im Bereich Deutsch als Zweitsprache / Basisbildung / Alphabetisierung mit MigrantInnen tätig. Oft äußern die TeilnehmerInnen in den Deutschkursen das Bedürfnis nach mehr Kontaktmöglichkeiten mit anderen WienerInnen. Auf der anderen Seite fehlt auch manchen WienerInnen eine unbeschwerte Kontaktmöglichkeit mit ZuwandererInnen. Angeregt durch diese Beobachtungen entstand in uns der Gedanke, unsere Ateliers für ebensolche Begegnungen bei einem Workshop zu öffnen. Wir wollen die Gelegenheit für Begegnungen schaffen. Die Idee war sehr verlockend, Menschen in einen ungewohnten Kontext einzuladen.

Wer kann an den Workshops teilnehmen?


Eingeladen sind eigentlich alle: alteingesessene und neue WienerInnen, die malen / zeichnen / bildnerisch arbeiten (lernen) wollen und sich mit ihrer persönlichen Geschichte (oder einem anderen Thema) auseinandersetzen möchten. Vor allem natürlich Menschen, die offen sind für Begegnungen, und die Interesse haben an Personen aus unterschiedlichen Kontexten.


Und es ist uns wichtig, dass geringes Einkommen keinen Ausschließungsgrund darstellt. Dank der Förderung von Basis.Kultur.Wien können unsere Workshops kostenlos besucht werden. Das Angebot traf auf großes Interesse, wir mussten viele Menschen auf das nächste Mal vertrösten.

Wie waren die ersten beiden „Begegnungen im Atelier“?


Im Verlauf des Workshops gab es einen Moment, an dem sich alles konzentrierte: Eine „alte“ Wienerin erzählte von der Flucht ihrer Eltern aus Böhmen. Dass sie 10 Minuten Zeit zum Packen hatten, bevor sie losrennen mussten. Dass die Großmutter auf der Flucht krank zurückgelassen werden musste und starb. Und dass sie sich heute nicht erklären könne, warum wir so etwas immer wieder zulassen. - „Because we are humans. We never learn.“ war der Satz, den ein Teilnehmer dazu äußerte, der die gefährliche Flucht gerade hinter sich hatte, und dessen Familie noch nicht in Sicherheit ist.


Aber was es in unseren Augen ganz dringend braucht im Moment, ist die Kommunikation miteinander, statt immer nur über einander. Nur die persönlichen Begegnungen machen uns die Gemeinsamkeiten bewusst, die wir alle haben, und hellhörig für die Vorurteile und Angstauslöser, die täglich auf uns einprasseln in den Medien. Und wir denken beide, dass gerade das Thema des Zusammenlebens momentan hohe Sprengkraft hat. Wir möchten deshalb mit unseren Ateliers unbelastete Orte für die Begegnung von neuen und alten NachbarInnen anbieten.


Aber nicht nur die Kommunikation, auch die Kreativität ist wichtig für unsere Gesellschaft. Wir alle leben in einer Zeit des Umbruchs, Geflüchtete, Zuwanderer und wir WienerInnen, die wir daheimbleiben können. Wir fühlen uns unsicher, haben kein Rezept für die Zukunft. Aber gerade in so einer Zeit der Veränderung ist es wichtig, nicht in der Angst-Starre zu bleiben. Die Erfahrung der eigenen Kreativität kann uns aus dieser Angst-Starre herausholen, uns die Zuversicht geben, dass wir etwas schaffen können, was zuvor nicht da war; dass wir agieren können, auf Anforderungen reagieren, die wir zuvor nicht kannten; im Atelier, im Leben und in unseren Jobs.


Habt Ihr schon Erfahrungen mit dieser Art von Workshops?


Wir bieten seit einigen Jahren Workshops und Malkurse in unseren Ateliers an und auch Trainings in der Erwachsenenbildung. Die bewusste Zusammensetzung der Gruppe aus „alten“ und „neuen“ NachbarInnen für diesen Mal-Workshop ist neu und erschien uns beiden wichtig.


Wie ist die Planung verlaufen?


Die gemeinsame Planung und Begleitung der Workshop hat sehr großen Spaß gemacht. Wir haben die 4 Halbtage sorgfältig geplant: Welche gemeinsame Aktivität machen wir zu Beginn? Welche Techniken zeigen wir? Was können wir wem anbieten? Welche Unterstützung ist sinnvoll während des Arbeitens? Welche Überlegungen wollen wir anstoßen? Wie geben wir Feedback?


Wir haben die Gruppen bewusst zusammengestellt und mit allen vorher gesprochen. Wir haben mit jeder / jedem vorher telefoniert, um über Erwartungen und Vorstellungen und unsere Planung zu sprechen, um einen ersten persönlichen Kontakt zu knüpfen und ein bisschen ein Gefühl zu entwickeln. Der Kontakt mit den TeilnehmerInnen war sehr direkt und sehr angenehm.


Was war das Besondere an den Begegnungen im Atelier?


Das Besondere war, dass es wirklich eine Begegnung war. Die TeilnehmerInnen kamen mit großer Offenheit in die Ateliers und wir haben gemeinsam in den Ateliers gearbeitet, die ja sonst ein sehr persönlicher, privater Raum sind.


Wir haben länger überlegt, wie wir jeweils 6 bis 8 Personen am besten in unseren Ateliers unterbringen. Bei Lena Knilli konnten alle gemeinsam auf der zum Maltisch umgewidmeten Tischtennisplatte arbeiten. In Monika Ritters Atelier verteilten sich die TeilnehmerInnen um zwei Maltische.

 

Lena hat mehrere Inputs vorbereitet, die zum Teil ihrer eigenen künstlerischen Arbeit entsprungen sind. Für sie war es extrem spannend und regelrecht aufregend, zu sehen, wie die Workshop TeilnehmerInnen mit diesem Input umgehen, was sie daraus machen. Einer dieser Inputs waren die „persönlichen Pictogramme“: stark vereinfachte Zeichnungen von Objekten mit „Symbolcharakter“. Lena Knilli hat jedem / jeder TeilnehmerIn vier davon per Zufallsprinzip (blind) ausgesucht. Die Aufgabe war: erstens festzustellen, ob man mit dem Piktogramm etwas anfangen kann und  sie dannzweitens. zu einem Bild weiterzuentwickeln. Ein anderer Input dieser Art war die Aufgabe, mit vereinfachten Landkarten oder Stadtplänen zu arbeiten. Dabei sind sehr schöne, sehr persönliche Zeichnungen entstanden. 

 

Ab dem dritten  Tag wurde in Kleingruppen weitergearbeitet. Hier war die Auseinandersetzung besonders intensiv. Es ging darum, Angebote zu machen, mit denen die TeilnehmerInnen mit bildnerischen Mitteln versuchen konnten, über Biographisches zu reflektieren oder sich daran heranzutasten. Diese Vorgaben wurden anfangs fast zögerlich wahrgenommen, aber schlussendlich sogar von den TeilnehmerInnen eingefordert.


Bei Monika lag der Schwerpunkt auf der Erfahrung mit Material und Farbe, dem individuellen Ausprobieren und dem Erlernen des Malens mit Eitempera. Eitempera ist eine sehr materielle Farbe, eine Mischung aus Pigmenten, Öl, Harz und Ei, in die man auch Sand und alle möglichen Materialien einarbeiten kann. Manche der TeilnehmerInnen haben sich intensiv mit Bildern von Mark Rothko, Pablo Picasso, Paul Klee, August Macke beschäftigt. Davon ausgehend haben sie entweder sehr konzentriert kopiert (wie das ja auch die alten Meister während ihrer Ausbildung immer wieder gemacht haben) oder etwas Neues, Eigenes geschaffen.

 

Andere kamen bereits mit einer eigenen Vorstellung im Kopf, die sie dann auf Papier, Leinwand oder Holz realisiert haben. Und wieder andere genossen sehr den Wechsel vom strengen, peniblen Arbeiten an einer Kopie zum großzügig-abstrakten Malen mit Spachtel auf großem Format, die freie Bewegung dabei. Diejenigen TeilnehmerInnen, die die Flucht aus dem Krieg gerade erst hinter sich hatten, ihre Familien noch in Unsicherheit, wollten wir nicht zu dem biografischen Ansatz drängen. Wir wussten aus Gesprächen, dass ihre Gedanken ohnehin ständig um Krieg, Flucht und Familie kreisten und das Problem ihrer derzeitigen ohnmächtigen Wartesituation. Für sie war die Konzentration auf das Malen manchmal wie eine Auszeit von diesen Gedanken und ein Kraft-Schöpfen für die Zukunft.

Wie war der Kontakt der TeilnehmerInnen untereinander?


Die TeilnehmerInnen sind mit der Vorstellung gekommen, sich einzulassen.
Begegnung braucht Raum, aber sobald man zu viel davon spricht, schränkt man sie auch schon wieder ein. Unsere Aufgabe war es, diesen Raum zu schaffen und dann zurückzutreten. Die TeilnehmerInnen haben diesen Raum mit uns geschaffen und gemeinsam genutzt.


Bei der Präsentation der entstandenen Arbeiten im Lokal der Basis.Kultur.Wien war dieser Raum der Begegnung wieder da. In ihm bewegten sich die TeilnehmerInnen und Gäste, Familien, Freunde, neue und alte NachbarInnen, Bekannte. Es wurden viele Sprachen gesprochen.

Wie geht es weiter?


Wir freuen uns sehr, dass wir im Oktober 2016 die nächsten Workshops anbieten konnten, wieder mit Unterstützung der Basis.Kultur.Wien. In Zukunft möchten wir KünstlerkollegInnen inspirieren, ihre Ateliers auch für Begegnungen zu öffnen.

Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft
Integrationskurse und Spracherwerb mögen ein Anfang sein. Doch wenn es um den sozialen Wandel geht, der mit Zuwanderung verbunden ist, sind die Menschen mit Migrationserfahrung nur eine der Zielgruppen von Erwachsenenbildung. Die Anforderungen der Migrationsgesellschaft betreffen uns alle. Fragen nach Teilhabe, Verständigung und Zusammenleben stellen sich immer wieder neu. Wie Erwachsenenbildung diese Anforderungen beschreibt, reflektiert und deutet, und welche Angebote für Lernen und Bildung sie ihnen entgegen bringt, ist Gegenstand einer Serie von Artikeln auf erwachsenenbildung.at. Alle Beiträge in der Serie finden Sie hier.

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