Siebe der Reduktion
Reduktion als Weg aus der Vollständigkeitsfalle
Das Bemühen, möglichst viel Wissen weiterzugeben, lässt Lehrende oft in eine "Vollständigkeitsfalle" tappen - sie geben Wissen ungefiltert weiter und überlasten damit die Aufnahmefähigkeit vieler Lernender. Die Methode "Siebe der Reduktion" des Erziehungswissenschafters und Trainingsexperten Martin Lehner basiert auf der Vorstellung, dass Inhalte je nach verfügbarer Zeit durch unterschiedliche Siebe gefiltert werden können, um das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Auf einem feinen Sieb bleiben noch recht viele Inhalte zurück, auf einem groben nur die wichtigsten Aussagen.
Inhalte der verfügbaren Zeit anpassen
Hat man ein Thema ausgewählt und Inhalte ausgearbeitet, lässt man sie Lehner zufolge am besten durch drei verschiedene Siebe rinnen, die unterschiedliche Zeitbudgets repräsentieren. So kann man sich beispielsweise überlegen, welche Inhalte man auswählen würde, müsste man seinen Unterrichtsstoff in genau 15 Minuten, einer Stunde oder zwei Tagen vermitteln. Man beginnt zunächst beim gröbsten Sieb und wählt die Kerninhalte aus, die im kürzesten der drei Zeiträume vermittelt werden können. Danach ergänzt man die Kerninhalte um Zusatzinformationen, bis man genug Material für das nächstfeinere Sieb hat. Diesen Vorgang wiederholt man für das feinste Sieb. Methodenentwickler Martin Lehner betont, dass eine gute Lehrplanung immer von der Essenz eines Themas ausgehen müsse. Je nach verfügbarer Zeit könne diese mit Hintergrundinformationen ergänzt werden.
"Extremreduktion" auf einen Kernsatz
Eine besonders starke Form der Reduktion stellt die Extremreduktion dar - hier wird der Inhalt des Lernstoffs auf eine markante Kernaussage reduziert. Zum Thema "Prozessmanagement" könnte sich der/die Lehrende beispielsweise folgende Stichwörter zum Stoff notiert haben: "Prozess = Kette von Aktivitäten, auf Erbringen eines Outputs gerichtet, durch Input- und Outputbeziehungen charakterisiert, durch Kriterien wie Funktionszugehörtigkeit kategorisiert, Prozessmanagement erfordert Koordination und Planung und beinhaltet Prozesskosten, -dauer, -qualität und -strukturen." Als Extremreduktion könnte er oder sie das Thema wie folgt zu einer Kernaussage zusammenfassen: "Prozessmanagement heißt, in Prozessen zu denken, also in einer Folge von Aktivitäten, die zu einem Ergebnis führen".
Konkrete Inhalte statt Kategorien
Ein möglicher Stolperstein der Methode ist die Versuchung, statt Inhalten "Schubladen" zu beschreiben. Eine Reduktion zum Thema "Käse" könnte als Ergebnis beispielsweise "Herstellung, Lagerung, Sorten" bringen. Das Problem an dieser Lösung ist, dass sie keine inhaltlichen Informationen bietet, sondern lediglich eine Kategorisierung der Inhalte darstellt. Besser ist es, konkrete Inhalte zu formulieren - wie etwa "Käse wird aus Milch durch Zugabe eines Ferments hergestellt".
Zum Autor
Martin Lehner promovierte und habilitierte in Erziehungswissenschaft und ist Leiter des Instituts für Sozialkompetenz und Managementmethoden der Fachhochschule Technikum Wien. Von 1998 bis 2005 war er Professor an der Fachhochschule Vorarlberg, drei Jahre lang auch Vizerektor. Seit 20 Jahren ist er außerdem als Seminar- und Workshopleiter tätig. Er setzt sich in mehreren Büchern mit didaktischer Reduktion auseinander: im 2006 erschienenen Buch "Viel Stoff - wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle" und in der 2012 erschienenen Publikation "Didaktische Reduktion".
Serie "Methoden der Erwachsenenbildung"
Die Serie "Methoden der Erwachsenenbildung" ist ein Service für Studierende und EinsteigerInnen in das Berufsfeld der Erwachsenenbildung. Im Rahmen der Serie stellen Studierende und MitarbeiterInnen der Online-Redaktion einzelne Lehr-Lernmethoden sowie deren Varianten und Einsatzmöglichkeiten vor. Wir unterscheiden dabei, welche Funktion die jeweilige Methode im Lehr-Lernprozess hat, zum Beispiel Informieren, Motivieren usw. Alle Beiträge zur Serie finden Sie hier.
Verwandte Artikel
Nachhaltige Berufsbildung: didaktische Impulse aus Theorie und Praxis
In einem Sammelband diskutieren 13 Autor*innen didaktische Herausforderungen und Potenziale für die Weiterbildung in der Berufsbildung zum Thema Nachhaltigkeit.Digitale Kompetenzkarten zum Ausprobieren
Bildungsberater*innen nutzen Kompetenzkarten, um die Fähigkeiten von Ratsuchenden sichtbar zu machen. Jetzt gibt es solche Karten auch als Online-Variante. Interessierte können sie bis Ende des Jahres kostenfrei nutzen.Bildungstheorie für die Erwachsenenbildung kompakt zusammengefasst
Der neue Reader „Grundlagen der Erwachsenenbildungswissenschaft und Erwachsenenpädagogik“ informiert über Geschichte, Konzepte und Didaktik der Erwachsenenbildung. Er dient als neue Basis-Literatur für die wba-Zertifizierung.Matthias Fenkart ist Erwachsenenbildner 2024!
Mit einer Lehr- und Lernplattform für Gebärdensprache hat Matthias Fenkart den Staatspreis gewonnen. Im Gespräch erzählt er über digitale Chancen und Hürden für gehörlose Menschen.„Teilnehmendenorientierung ist eine Haltung.“
Zwei Expert*innen sprachen im wEBtalk am 15.1. darüber, was es braucht, um den Teilnehmer*innen in ihrer Selbstbestimmung gerecht zu werden. Jetzt nachsehen!wEBtalk am 15. Jänner: Teilnehmendenorientierung in der Erwachsenenbildung
Erfahren Sie, wo Chancen und Grenzen des Prinzips Teilnehmendenorientierung liegen und wie es in der Lehre eingesetzt werden kann. Ab sofort zum wEBtalk anmelden!