Vortragsreihe im Herbst: Wählen als Streitthema im Wahljahr

23.08.2024, Text: ÖGPB, Redaktion: Heidi Buchecker, ÖGPB
Welche neuen Konzepte von Demokratie gibt es? Woher kommt die wachsende Wissenschaftsskepsis? Und was bedeutet das für die Politische Bildung? Die ÖGPB veranstaltet eine Vortragsreihe zu aktuellen Fragen unserer Demokratie.
Stimmzettelabgabe Wahlurne
Hat Partizipation durch Wählen ihre Bedeutung verloren?
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Österreich befindet sich im „Superwahljahr“ und ist wie viele Staaten weltweit mit der Tatsache konfrontiert, dass Wahlen vor einer Kulisse der Kluft stattfinden: Die Gesellschaften sind polarisiert wie lange nicht mehr, und es gibt mehrere Achsen der Verwerfung: Neben Migration und Asyl sind das Kriege, das ewige „Pulverfass Nahost“, die Klimakrise, Inflation und Teuerung, die Rolle der Wissenschaft bei kollektiven Problemlösungen, Menschenrechte oder das „Gendern“ und noch vieles mehr. Nicht von ungefähr macht das Schreckenswort „Polykrise“ seit einigen Jahren die Runde.

Die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) nimmt diese Umstände zum Anlass, ihre seit 2010 stattfindende jährliche Vortragsreihe zur politischen Erwachsenenbildung heuer unter den Schwerpunkt „Wahlen“ zu stellen. Unter dem Titel „Wählen als Streitthema im Wahljahr“ widmen sich Fachexpert*innen folgenden Fragen: Sind die Probleme der Demokratie struktureller Natur? Hat die Partizipation durch Wählen an Bedeutung eingebüßt? Könnte die Vergrößerung des „Demos“, also des Wahlvolkes, diese Krise überwinden helfen? Oder bedarf es weiterer Instrumente der Mitbestimmung? Und welche Rolle kommt der politischen Erwachsenenbildung zu?

Vortrag am 8. Oktober: Inwieweit Wahlen die Vielfalt an Interessen abbilden können

Unter dem Titel „Wählen wir die Demokratie?“ findet am 8. Oktober um 19:00 Uhr ein Vortrag am Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) in Wien statt.
Die Ausgangslage des Vortrags: Wahlen sind eine Möglichkeit, die politische Repräsentation der Wahlbevölkerung abzubilden und demokratische Mehrheiten herzustellen. Angesichts der Verschiebungen im Parteienspektrum und des Verlustes an Wähler*innenstimmen bei den sogenannten großen „Volksparteien“ stellt sich die Frage, inwiefern Wahlen heutzutage die Vielfalt an unterschiedlichen Interessen repräsentieren können. Fühlen sich die Bürger*innen noch angemessen durch Wahlen vertreten?

Vortragende ist Stefanie Wöhl, Professorin für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft, Management und Finance des BFI Wien.

Vortrag am 22. Oktober: Wahlrecht für alle?

Am 22. Oktober um 19:00 Uhr geht es im Depot Wien unter dem Titel „Wahlrecht für alle?“ darum, dass rund ein Fünftel der Bevölkerung in Österreich und mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Wien vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Die Gründe für diesen fortschreitenden Demokratieverlust sind in der Verknüpfung des Wahlrechts mit der Staatsbürgerschaft und den restriktiven Regeln für ihren Erwerb zu suchen. Die stetig wachsende Wahlrechtslücke reißt ein riesiges Loch in das politische System und stürzt das Land in eine Legitimationskrise und ein Demokratiedefizit, von dem alle betroffen sind.

Vortragender ist Gerd Valchars, Politikwissenschafter in Wien.

Vortrag am 12. November: Demokratie-Innovationen als Zukunftsmodell?

Die repräsentative Demokratie gerät in vielen Staaten unter Druck. Auch in Österreich sinken Zufriedenheit und Vertrauen hinsichtlich demokratischer Institutionen und Prozesse. Immer öfter wird über Alternativen nachgedacht. Manche wünschen sich eine starke Führungspersönlichkeit, die sich nicht um das Parlament kümmert. Andere verweisen auf Innovationen wie Bürger*innen-Räte. Am 12. November stellt Markus Pausch, Demokratieforscher an der Fachhochschule Salzburg und Obmann des Vereins für Demokratie und Dialog, neue Konzepte der Demokratie vor und diskutiert ihre Bedeutung für die politische Bildung.

Der Vortrag findet am 12. November um 19:00 Uhr im Depot Wien statt.

Vortrag am 26. November: Über Wissenschaftsskepsis, Freiheit und Verschwörungsmythen

Mangelnde Glaubwürdigkeit, Wissenschaftsskepsis und eine Überhöhung der individuellen Freiheit – die Erklärungsansätze für die Zugewinne rechts-autoritärer Parteien sind vielfältig. Der Vortrag der Sozialforscherin Janine Heinz bietet einen Überblick darüber und geht auf Krisen-Erfahrungen, Medienkonsum und Verschwörungstheorien ein. Dazu zieht sie Forschungsergebnisse aus Österreich heran. Deutlich wird: Autoritäre Haltungen werden undurchsichtiger, es bestehen jedoch Anknüpfungspunkte für gesellschaftliche Solidarisierung.

Der Vortag unter dem Titel „,Neuer‘ Autoritarismus?“ findet am 26. November um 19:00 Uhr im Depot Wien statt.

Legitimitätskrise der Demokratie: Anlass für die Themenwahl der Vortragsreihe

Das Besondere an diesem Wahljahr (jedenfalls in Österreich) ist, dass auch der Rahmen des Ereignisses, nämlich die Demokratie selbst, eine Achse der Polarisierung bildet – und zwar stärker als wohl je zuvor in der Zweiten Republik. Nicht nur die bisweilen offen demokratiefeindlichen Diskurse, die von rechtsextremen und rechtspopulistischen „Rändern“ des politischen Spektrums zunehmend in die „Mitte“ der Gesellschaft vordringen, sind ein Zeichen dafür.

Laut einer Umfrage vom September 2023 waren 41% der wahlberechtigten Personen in Österreich der Überzeugung, hierzulande solle eine grundlegende Änderung des politischen Systems stattfinden. Einerseits steht die repräsentative Demokratie in Kritik und somit auch die Wahlen als ein wesentliches Instrument dieser Demokratie. Andererseits fühlen sich – einer weiteren Umfrage aus demselben Jahr zufolge – 58% der Befragten politisch kaum vertreten: Ihre Stimme findet aus ihrer Sicht keinen Widerhall in Entscheidungsprozessen. Hinzu kommen die Nicht-Wähler*innen, die etwa gerade bei den Wahlen zum EU-Parlament augenfällig sind.

Dann gibt es eine nicht mehr kleine Gruppe von nicht-österreichischen Staatsbürger*innen, die laut Gesetz (mit einigen kleinen Ausnahmen) nicht wählen darf. Da Staatsangehörigkeit an Abstammung gebunden ist, wird dieser Zustand an die nächste Generation weitervererbt. Gewählte Politiker*innen vertreten also immer weniger Personen und Teile der Bevölkerung. Das beschwört eine zusätzliche, nämlich die Legitimitätskrise der Demokratie, und dies fällt im Wahljahr besonders schwer ins Gewicht.

Über die Vortragsreihe

Die Vortragsreihe der ÖGPB findet seit 2010 zu wechselnden Themen der Politischen Bildung statt. Die ÖGPB setzt die Vortragsreihe gemeinsam mit den Kooperationspartnern Depot und Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) um. In diesen beiden Häusern finden im Herbst 2024 die Vorträge statt. Sonja Luksik und Hakan Gürses (ÖGPB) moderieren die Reihe. Die Vorträge sind ohne Anmeldung und bei freiem Eintritt zugänglich.

Weitere Informationen:
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