Was die Deutschen vom Klimaschutz halten und was das für die Bildung heißt
Spaltet sich die Gesellschaft immer mehr? Und warum sind Diskussionen zunehmend aggressiver? Diesen Fragen haben sich Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin gewidmet und anhand empirischer Erhebungen in Deutschland Antworten u.a. zum Thema Klimaschutz gefunden. Welche Erkenntnisse das sind und was sie für die Erwachsenenbildung über Deutschland hinaus bedeuten, haben die Ich tu`s Bildungspartner*innen für Klimaschutz in Training und Beratung in einem Workshop im Juni 2024 diskutiert.
Die Ausgangslage: Bildungsstand spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen
Ein zentraler Befund ist, dass es keine „Spaltung der Gesellschaft“ gibt. Stattdessen zeigen die Daten, dass die Mehrheit der Gesellschaft zu Klimaschutz Mittelpositionen vertritt und dass es über die letzten Jahrzehnte kollektive Meinungsverschiebungen hin zur Befürwortung von Klimaschutz gibt: 90% der deutschen Bevölkerung sieht eine hohe Notwendigkeit, den Konflikt um die Verteilung ökologischer Güter und Schädigungen zu lösen. Nur kleine Gruppen nehmen gegenüber Konflikthemen radikale Positionen ein.
Bildungskriterien spielen eine große Rolle, wenn es um die Beurteilung von Klimaschutz und deren Maßnahmen geht. So sind Personen mit Hochschulabschluss in ihren Haltungen zu Klimaschutz ideologischer geprägt als formal niedriger Gebildete: Die akademische Mittelschicht verfügt über ein stabiles, moralisch hinterlegtes Gesamtbewusstsein zum Klimaschutz und stellt vor allem Aufklärung, Bewusstseinsbildung, ein hohes Tempo für die Transformation und Konsumverzicht als unhinterfragbar in den Vordergrund. Für nicht-akademisch gebildete Personen stellt Verzicht hingegen oftmals eine Bedrohung dar. Ihre Einstellung zu Klimaschutz hängt von den realen Kosten ab, die sie betreffen: Bringen Klimaschutzmaßnahmen einen ökonomischen Mehrwert oder zumindest keine Verschlechterung mit sich, so können sie diese leichter mittragen. Ebenso hängt ihr moralisches Bewusstsein weniger mit gesellschaftspolitischen abstrakten Zielen oder Programmatiken, sondern mehr mit situationsabhängigen Angemessenheitsvorstellungen zusammen, so die Wissenschaftler.
Gleichzeitig geben die Daten einen Hinweis darauf, dass das Thema Klimaschutz – im Vergleich zu z.B. Migration oder Gender – das höchste Potenzial für zukünftige Spaltungstendenzen hat. Bildungsakteur*innen sind also ebenso wie politisch Verantwortliche und Medien gefragt, eine weitere Entwicklung hin zu gesellschaftlicher Spaltung zu verhindern.
Kritische Medienkompetenz, um „Polarisierungsunternehmer*innen“ zu erkennen
Wieso ist dennoch häufig von einer gesellschaftlichen Spaltung die Rede, obwohl die Studienergebnisse dagegen sprechen? Die Autoren nennen hier sogenannte „Polarisierungsunternehmer*innen“, die in Medien und Politik den Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft erzeugen. Dadurch entsteht ein aggressiv und polarisiert erlebtes Diskussionsklima. Kritische Medien- und Informationskompetenz kann hier helfen, Polarisierungsunternehmer*innen zu identifizieren und deren Motive zu erkennen (siehe auch Beitrag von Kontext Institut für Klimafragen).
Das können Trainer*innen zum Beispiel anhand der Analyse zivilgesellschaftlicher Proteste mit den Teilnehmenden bearbeiten. Aus welchem ursprünglichen Anliegen entwickelten sich Protestbewegungen wie die „Letzte Generation“ oder die Bauernproteste in Deutschland? Aus welchen Personengruppen setzen sich die Bewegungen zusammen? Welche Polarisierungsunternehmer*innen vereinnahmen die Proteste und warum? Und was könnte man gegen diese Vereinnahmung tun?
Vom Klimawandel Betroffene an Bildungsangeboten beteiligen und Verlustängste bearbeiten
Ein als aggressiv und polarisiert erlebtes Diskussionsklima entsteht durch die bewusste Adressierung von Themen, die bei Menschen starke emotionale Reaktionen auslösen – die Autoren nennen das gesellschaftliche „Triggerpunkte“. Dabei werden Ängste vor Ungleichbehandlung, vor Normalitätsverstößen oder vor Entgrenzung bedient oder schwer annehmbare Verhaltenszumutungen kommuniziert: Einen „Veggie-Day“ etwa erleben dann viele als Eingriff in die persönliche Autonomie. Die Folgen des Klimawandels entziehen sich der persönlichen Kontrolle, die Regulierung des CO2-Verbrauchs macht Veränderungen von Gewohnheiten notwendig und die Kosten des Klimawandels erkennen viele als ungleich verteilt.
Menschen erleben dadurch Egalitätsverlust – das ist in Diskussionen an Aussagen wie „Das ist nicht fair“ erkennbar. „Das ist nicht normal“ oder „Das geht zu weit“ deuten auf Kontrollverlust hin und die Zurückweisung von Klimaschutzmaßnahmen mit „Warum ich?“ oder „Warum wir?“ zeigt einen Autonomieverlust an.
Vielen geht es also nicht darum, dass sie keinen Klimaschutz wollen, sondern darum, dass sie die Klimapolitik als ungerecht empfinden. So begannen die Gelbwestenproteste in Frankreich zunächst auch als Protest gegen die geplante höhere Besteuerung fossiler Kraftstoffe, richteten sich aber nicht gegen den Klimaschutz per se.
Erwachsenenbildung kann hier helfen, Angebote eines institutionellen Rahmens zur Befriedung von Konflikten zu schaffen und in Bildungsveranstaltungen die Interessen aller Bevölkerungsgruppen zu bearbeiten. Ein Bestreben muss es also sein, auch diejenigen an Bildungsangeboten zu beteiligen, die vom Klimawandel bzw. von Klimaschutzmaßnahmen besonders betroffen sind. Ebenso fördert das den Kontakt von Menschen unterschiedlicher Einstellungen und wirkt der Abschottung bestimmter Gruppen entgegen, was laut den Wissenschaftlern einer emotionalen Polarisierung vorbeugt.
Unerlässlich in der Diskussion ist dabei die Frage, wer wie viel gegen den Klimawandel leisten kann. Dabei gilt es Verlustängste ernst zu nehmen und zu bearbeiten sowie gerechte und anschlussfähige Klimaschutzmaßnahmen zu erarbeiten.
Klimabildung muss sozial-ökonomische Aspekte stärker berücksichtigen
Es zeigt sich demnach in der Studie, dass sich Konflikte nicht am „ob“ des Klimawandels entzünden, sondern daran, „wie, wo und bei wem die Transformation ansetzt", und wer die Kosten tragen soll, so die Wissenschaftler in ihrer Publikation. Klimaschutzbildung sollte daher den sozial-ökonomischen Aspekt des Klimawandels stärker berücksichtigen. In politischen Klimaschutzbildungsformaten sind daher Verantwortungen für Klimawandel wie auch Betroffenheiten und Interessen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu bearbeiten. Fragen der Bevorzugung bzw. Benachteiligung unterschiedlicher Gruppen in der Transformation hin zur Nachhaltigkeit sind zu diskutieren – also „Wem steht was zu?“
Zur Diskussion stehen können dabei auch verschiedene politische Maßnahmen mit allen Vor- und Nachteilen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und unter Berücksichtigung sozialer Gerechtigkeit, wie z.B. die CO2-Steuer oder Kompensationszahlungen wie der Klimabonus.
Hier können Trainer*innen Verhandlungstechniken anbieten und damit einen Kompetenzaufbau für gute Kompromissfindung leisten. Klimaplanspiele eignen sich im besonderen Maße, um unterschiedliche Interessenslagen besser zu verstehen und für alle Seiten vertretbare Lösungen auszuhandeln.
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