Professionalisierung in der Grundbildung Erwachsener: Neues Buch erschienen

Grundlegende Impulse zur Professionalisierung
Der erste Teil des Sammelbandes liefert grundlegende Impulse für die Professionalisierung in der AuG. Ein Rückblick auf die rund 45-jährige Debatte zeigt, dass es nach wie vor kein einheitliches Berufsbild gibt und dass es lange Zeit ein Spezifikum der AuG war, dass die Bemühungen um Professionalisierung vor allem durch Lernende und Lehrende selbst vorangetrieben wurden. Professionalisierung betrifft in besonderem Maße die individuelle Ebene der Lehrenden. Die Autor:innen weisen dabei auf einen offenkundigen Widerspruch hin: Einerseits gibt es bei der Ausbildung von Lehrkräften im Bereich AuG ein breites Qualifizierungsangebot, gleichzeitig haben sich nur wenige Lehrkräfte durch ein Studium explizit für die Tätigkeit in der AuG qualifiziert. Daher gewinnt die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen an Bedeutung und die Autor:innen betonen die Relevanz von niedrigschwelligen und möglichst kostenlosen Qualifizierungs- und Beratungsangeboten für Honorarkräfte. Mit der Wissenschaftlich-didaktischen Beratungs- und Weiterbildungsstelle zur Professionalisierung in der Grundbildung (WiBeG) stellt der Band ein konkretes institutionalisiertes Setting an der Pädagogischen Hochschule Weingarten vor.
Welche Qualifizierungen und Kompetenzen braucht es?
Der zweite Teil des Sammelbandes verfolgt aus unterschiedlichen Perspektiven die Frage, welche Qualifikationen und Kompetenzen Beschäftigte in der AuG konkret benötigen. Dabei kommen die Autor:innen zu durchaus unterschiedlichen Schlüssen. Auf der einen Seite betonen sie, dass Lehrende in Abhängigkeit von ihren berufsbiografischen Voraussetzungen und den Rahmenbedingungen der Bildungseinrichtung individuell entscheiden müssen, welche Zusatzqualifikationen sie benötigen. Dem gegenüber steht die Forderung nach kollektiver Professionalisierung im Sinne einer Standardisierung von Weiterbildung, z.B. in Form von Vernetzungsangeboten. Letztere könnten im Format des Fachgesprächs stattfinden, die dem Bedürfnis des Personals nach fachlichem Austausch und halb-formalisierten Beratungsgesprächen entgegenkommen.
Aus dem technischen Fortschritt im Bereich der digitalen Medien leiten die Autor:innen im Band zusätzliche Qualifizierungsbedarfe ab. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Wissensvorsprung, den für gewöhnlich Lehrende gegenüber den Teilnehmenden haben, hinsichtlich des Mediums nicht mehr durchgängig erwartet werden kann. Qualifizierungsbedarfe ergeben sich auch im Hinblick auf Fragen der Mehrsprachigkeit, wobei mehrere Beiträge die Differenzierung in der AuG in Deutsch als Erstsprache (DaE) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) als nicht praxisnah kritisieren. Für die politische (Grund-)Bildung wird betont, dass diese nicht nur im Rahmen von Lernangeboten für Lesen und Schreiben stattfinden sollte, sondern darüber hinaus auch in anderen Bildungsangeboten. Die Autor:innen schließen den Buch-Abschnitt mit einem Appell für einen stärkeren Dialog zwischen Theorie und Praxis.
Vernetzung und kollegialer Austausch funktioniert nur teilweise gut
Der dritte Teil des Buches diskutiert Fragen des kollegialen Austauschs. Als Grundlage für die Auseinandersetzung und zur besseren Orientierung dient dabei die Systematisierung nach einem Mehrebenenmodell der Professionalisierung. Die Autor:innen unterscheiden demnach Vernetzung auf Mikro-, Meso- und Makroebene. Während sich die Aktivitäten der Alphadekade vor allem auf die Makro- und Mesoebene beziehen, sind die Aktivitäten zur Vernetzung auf der individuellen (Mikro-)Ebene noch deutlich ausbaufähig. Die Praxis zeigt, dass die Initiierung durch die Koordinierungsstellen und die anschließende Verstetigung der Zusammenarbeit, zentrale Voraussetzungen für Formen der Netzwerkbildung sind, um die Kontakte und den Austausch nicht dem Zufall zu überlassen. Das gilt sowohl innerhalb der Bundesländer als auch für die Kooperation zwischen einzelnen Ländern.
Grundbildung zwischen Professionalisierung und Profession
Abschließend werden bestehende Desiderate für Praxis und Wissenschaft resümiert. In einem Gespräch kommen mit Elke Schildberger (Institut für Bildungsentwicklung Linz), Nicolas Füzesi (Volkshochschule beider Basel) sowie Gundula Frieling (Deutscher Volkshochschulverband) drei ausgewiesene Expert:innen aus der Bildungspraxis in Österreich, der Schweiz und Deutschland zu Wort. Dabei wird deutlich, dass sich viele Aspekte und Fragestellungen der Beiträge des Bandes auf alle drei Länder beziehen lassen, dass es aber auch klar benennbare Unterschiede gibt. So ist der Lehrkräftemangel in Deutschland und der Schweiz ein dringlicheres Problem als in Österreich. Weitgehende Einigkeit besteht bei der Position, dass Grundbildung inhaltlich deutlich breiter zu verstehen ist, als es der reine Bezug auf Lesen und Schreiben nahelegt, und dass die Trennung zwischen Erst- und Zweitsprache als überholt gelten kann.
Für Professionist:innen aus Forschung und Praxis
Der Band "Professionalisierung in der Grundbildung Erwachsener" bietet einen umfassenden Blick auf aktuelle Positionen zur Professionalisierung in diesem Feld der Erwachsenenbildung – und zwar sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus bildungspraktischer Perspektive. Während die einleitenden Beiträge differenziertes begriffliches Rüstzeug liefern, diskutieren die folgenden Beiträge darauf aufbauend spezifische Fragestellungen aus wissenschaftlicher und bildungspraktischer Perspektive sowie aus der Perspektive von Bildungsadministrationen. Die Praxisberichte ergänzen die wissenschaftliche Perspektive gewinnbringend, indem sie auf blinde Flecken in der Forschung hinweisen und offene Fragen benennen. Zentral erscheint das Plädoyer für einen fundierten Theorie-Praxis-Dialog, der im ersten Beitrag des Bandes als Ziel benannt und in den einzelnen Beiträgen immer wieder durch Praxiserfahrungen bestätigt wird. Mit diesem Appell ist der Band sowohl für Personen, die zu AuG forschen, als auch für Praktiker:innen aus Bildungseinrichtungen und Administrationen relevant und gewinnbringend.
Buch: Löffler, Cordula; Koppel, Ilka (Hg.) (2023): Professionalisierung in der Grundbildung Erwachsener. W. Bertelsmann Verlag. Bielefeld: wbv (wbv Publikation).
Mit Beiträgen von: Knut Becker, Malena Boßmann, Nana Dreßler, Margot Eisenmeier, Rudolf Fries, Laura Ippen, Ilka Koppel, Jens Korfkamp, Nina Krämer-Kupka, Sandra Langer, Cordula Löffler, Francesca Mazza, Sophia Nagler, Marsilia Podlech, Claudia Schepers, Aline Steger, Caroline Thielen-Reffgen, Bianca Wolfensberger.
Über die Autoren: Joshua Wilhelm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg im Fachbereich Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Digitalisierung und KI in der (beruflichen) Weiterbildung. Dr. Klaus Buddeberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg im Fachbereich Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung. Er war Leiter der Level-One-Studie 2018 (LEO 2018).

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