"Wo geht die Reise hin?" – Drei Gretchenfragen an die Erwachsenenbildung

07.02.2023, Text: Marion Kirbis, Redaktion/CONEDU
Ein Nachbericht zum Vortrag "Erwachsenenbildung oder Bildung Erwachsener? Anmerkungen zu einem feinen Unterschied".
Vortragende an einem Pult vor Publikum, hinter ihr eine Leinwand mit Präsentation Foto: Alle Rechte vorbehalten, Petra Welles, https://erziehungs-bildungswissenschaft.uni-graz.at
Am 12. Jänner hielt Gabriele Molzberger von der Bergischen Universität Wuppertal im Rahmen der Vortragsreihe "COME TOGETHER" an der Karl-Franzens-Universität Graz einen Gastvortrag mit dem Titel "Erwachsenenbildung oder Bildung Erwachsener? Anmerkungen zu einem feinen Unterschied". Molzberger nahm in ihrem Vortrag drei grundlegende Fragen zum Anlass, um die Erwachsenenbildung näher zu beleuchten.

Schenkt die Erwachsenenbildung dem Beruf genügend Beachtung?

Als erstes widmete sich die Professorin der Frage, ob die Erwachsenenbildung den Beruf (bzw. die Berufswelt) genügend zur Kenntnis nimmt. In diesem Kontext ging sie auf das Versprechen vom "Aufstieg durch Bildung" an Lernende ein. Bildungssysteme seien die Bereiche der Gesellschaft, die selektieren, welchen Lernenden der berufliche und gesellschaftliche Aufstieg möglich sei. Sie betonte wie wichtig es sei, dass die Erwachsenenbildungsforschung dies in ihre Analysen und Theorie einbezieht.

 

Eine Auseinandersetzung mit der Anerkennung von Berufen und Kompetenzen, ihrer Anrechnung auf Bildungswege und ihre Anschlussfähigkeit an weitere Bildungsprozesse bleibe ebenfalls wichtig. Auch die berufspädagogische Frage danach, ob Bildung im Medium des Berufs möglich sei, bliebe in abgewandelter Form relevant. So etwa in Hinblick auf Bildung im Medium der Digitalität.

Wie stellt sich die Erwachsenenbildung Erwachsene vor?

Als zweites beschäftigte sich die Vortragende mit der Frage, wie die Erwachsenenbildung mit der Erwachsenheit umgehe und welche normativen Vorstellungen sie vom Erwachsensein habe. Erwachsene seien für die Erwachsenenbildung in erster Linie Adressat*innen und potenzielle Teilnehmende. Es würde öfters von einer Freiwilligkeit bei der Teilnahme ausgegangen werden – in der Berufsbildung sei dies aber nicht immer gültig, so die Vortragende.

 

Molzberger hält es darum für wichtig, dass Erwachsenenbildende hinterfragen, welche kontext- und milieuabhängigen Konstruktionen sie in ihrer Arbeit begleiten. In verschiedenen Bereichen käme es z.B. zu einer Infantilisierung der Teilnehmenden. Weiters wies sie darauf hin, dass Erwachsenheit als Norm auch dekonstruiert werde. Bewegungen wie Fridays for Future würden zum Beispiel die Frage aufwerfen, wer in der Gesellschaft als autonom, reif und mündig gilt.

Nun sag‘, wie hast du’s mit der Bildung?

Schließlich ging Molzberger der Frage nach, wie die erwachsenenbildnerische Praxis und die Forschung es mit der Bildung halte. Einerseits würden die Begriffe Erziehung und Bildung in der akademischen Welt stellenweise aufgegeben werden (z.B. zugunsten der "pädagogischen Arbeit im System des lebenslangen Lernens").

 

Andererseits erfahre der Bildungsbegriff aber seit einiger Zeit eine Renaissance und würde wieder vermehrt im internationalen Kontext beachtet werden. Nach vielen Jahren der Beschäftigung mit lebenslangem Lernen und Kompetenzentwicklung scheine es also auch wieder eine Hinwendung zu diesem Begriff zu geben.

Manifeste, Bewegungen und "Bildung"

An diesem Punkt schließen Molzbergers Beobachtungen zu den zahlreichen Veröffentlichungen von verschiedenen Manifesten im Bildungsbereich an: Dies könne als Versuch gesehen werden, der Unsicherheit der Gegenwart mit Bekenntnissen und Deklarationen in Form von Manifesten zu begegnen.

 

Der Bildungsbereich brachte im letzten Jahrzehnt zahlreiche Manifeste hervor: "Lernen neu denken. Das Hagener Manifest zu New Learning" von der Fernuniversität Hagen, das "Manifest zur kritischen Erwachsenenbildung", der Aufruf aus Erziehungswissenschaft, Pädagogik und Sozialer Arbeit "Für solidarische Bildung in der globalen Migrationsgesellschaft" und das "Manifest für Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert" der European Association for the Education of Adults.

 

Als besonderes Beispiel hob Molzberger das "Global Bildung Manifesto" des mittlerweile international verbreiteten Global Bildung Networks hervor, das seinen Ursprung in Dänemark hat und sich dem Begriff "Bildung" zuwendet. Laut der Vortragenden würde "Bildung" nach dem Vorbild nordischer Bildungssysteme dabei als exportierbares Konzept und Lösungsansatz für bestehende Krisen angepriesen werden. Kritisiert werden könne hierbei, dass reduktionistisch auf den Bildungsbegriff und sehr selektiv auf wissenschaftliche Theorien Bezug genommen werde.

Wo die Reise hingeht – Über Transformation und Influencer*innen

Abschließend fasste Molzberger ihre Thesen zusammen: Das große Interesse an Bildung ließe sich auch als Antwort auf die vielen Krisen verstehen, so die Professorin. Dem internationalen Reiz des Begriffs Bildung entspräche im deutschsprachigen Raum eher das Schlagwort Transformation.

 

Eine Komponente bei der Renaissance der Bildung seien Bildungs-Influencer, über die sich heute vieles verbreite. Dies fände jedoch abgekoppelt von der traditionellen Erwachsenenbildungslandschaft und ihren Organisationen statt. Hier sei eine Abkoppelung von alten Denkfiguren über Bildung und vielleicht auch Wissenschaftspopularisierung zu beobachten, schloss Molzberger ihren Vortrag.

Über die Vortragende

Gabriele Molzberger hat Erziehungswissenschaften und Germanistik/Deutsch als Fremdsprache studiert und war in der Vergangenheit international wissenschaftlich tätig. Seit 2011 hat sie den Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft/Berufs- und Weiterbildung an der Bergischen Universität Wuppertal inne und leitet seit 2012 das dortige Zentrum für Weiterbildung. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung und war im Wintersemester 2022/23 als Professorin an der Karl-Franzens-Universität Graz zu Gast.

Weitere Informationen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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