"Demokratie ist per se etwas, was täglich neu erarbeitet werden muss."
Demokratie: Ein Ort ohne Hoffnung
Die Demokratie- und Kriegsforscherin Daniela Ingruber von der Donau-Universität Krems eröffnete den wEBtalk mit einem Input über ihre These der Demokratie als Dystopie. Die Erwartungen an die Demokratie seien derart hoch, so Ingruber, dass die Demokratie sie nie erfüllen könnte. Die Folge sei Enttäuschung und Politikverdrossenheit.
Die Pandemie machte sichtbar, wie sehr die Gesellschaft auseinanderdriftet, so Ingruber. Hinzu kämen der Verlust von Frieden und zugleich ein "Sicherheitswahn" zum Schutz der Bevölkerung und des ungeborenen Lebens (z.B. Antiterrormaßnahmen im öffentlichen Diskurs oder Abtreibungsverbote), der an der Idee der europäischen Menschenrechtskonvention zweifelt und damit der Demokratie eine wichtige Säule wegnimmt. Und nicht zuletzt: In Krisenzeiten erlebt der Freiheitsbegriff "eine Übersteigerung zum Mythos", so Ingruber.
Die politische Erwachsenenbildnerin Sonja Luksik von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung ging in einer Replik zu Daniela Ingrubers Input auf die Faktoren und Gründe für Demokratiemüdigkeit ein. Sie nannte u.a. Wahlausschluss aufgrund der nicht österreichischen Staatsbürgerschaft und aufgrund sozialer Ungleichheit, mangelnde Demokratie und Mitbestimmung in zentralen Lebensbereichen - auch in der Bildung - sowie die Autoritäre Welle (PDF) (der Aufstieg der "starken Männer" in vielen Ländern) als Gründe.
Politische Bildung muss die Begriffe zurechtrücken
Aber was bedeutet Freiheit wirklich? Was kann Demokratie leisten und was muss man dafür tun? Nach Hannah Arendt bedeutet Freiheit auch Verantwortung. Und: "Demokratie ist per se etwas, was täglich neu erarbeitet werden muss. Sie bewegt sich mit uns als System mit, wenn wir offen genug sind", so Ingruber. Politische Bildung habe die Aufgabe, Begriffe zu klären und wieder zurechtzurücken und könne lt. Ingruber gelingen, wenn Räume geöffnet werden, wo Menschen ins Gespräch kommen können.
Diskussion über politische Bildung in der Schule und für Erwachsene und Social Media als Kanäle für den Diskurs
In der anschließenden Diskussion wurden von den Teilnehmer*innen u.a. folgende Fragen eingebracht: Wie sind Soziale Medien, in denen so rasch und so einfach schlechte Stimmung über Demokratie verbreitet wird, für die politische Bildung nutzbar, um Reflexion und Diskurs anzuregen? Wie kann politische Bildung regelmäßig in den Schulbetrieb eingeführt werden? Wie erreicht man Erwachsene in der politischen Bildung? Wie sehr ist "klassische politische Bildung" als Bewusstseinsbildung in Zeiten der Klimakrise noch brauchbar, wo es konkretes Handeln bedarf?
Zu all diesen Fragen gab es spannende Diskussionsbeiträge sowohl von den Expert*innen als auch von den Teilnehmer*innen. Herausgegriffen sei hier ein Statement von Daniela Ingruber zur Nutzung von Social Media: "Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als Social Media zu nutzen." Es brauche positive Berichte, die unterhaltsam sind, um in Umlauf gebracht zu werden und so Menschen politisch bilden zu können. Auch wenn politische Bildung, wie Bildung überhaupt, durchaus anstrengend ist und nicht immer Spaß macht, müsse der Spaß-Faktor genutzt werden, um die Menschen dafür zu gewinnen.
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