Repaircafés als Lernorte für ein nachhaltiges Leben

13.05.2022, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Wie nachhaltig das Gelernte im Alltag ankommt und warum in Repaircafés vor allem Menschen über 40 aktiv sind – darüber spricht Caroline Gigleitner.
Person untersucht Kofferradio
Repaircafé: Alten Schätzen neues Leben einhauchen
Foto: Alle Rechte vorbehalten, Leo Fellinger | kunstbox, DSC_5254, https://www.flickr.com/photos/95802703@N03/21746451332
Caroline Gigleitner, selbst Initiatorin eines Repaircafés, hat im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Klagenfurt danach gefragt, wie lebensbegleitendes Lernen zu einem guten, achtsamen und nachhaltigen Leben beitragen kann. Dafür hat sie Repaircafès als Lernorte untersucht. Im Interview spricht sie über die Erkenntnisse aus der Untersuchung.

Repaircafés sind Lernorte, das bestätigen verschiedene Studien, genauso wie Ihre Untersuchung. Was genau können Besucher*innen dort lernen?

Es ist ein reichhaltiger Lernort (übrigens auch für die Helfenden)! Das Motto der Repaircafés lautet ja "Hilfe zur Selbsthilfe". Dies wird unterschiedlich gelebt. Oft reparieren vorwiegend die Helfenden, da sie es einfach besser und schneller können. Dabei erklären sie, was sie machen. Auch wenn die Besuchenden das mit nur kleinen Handgriffen unterstützen, bekommen sie mit, wie schwierig und langwierig es sein kann, nur das Gehäuse eines Geräts aufzubekommen. Ist das einmal geschafft, dann sehen sie, was alles drinnen verbaut ist - meist viel mehr als sie erwartet haben. Manchmal wiederum geht es sehr rasch und sie sind überrascht, dass es nur eine Kleinigkeit war, zum Beispiel ein Schlauch, der sich gelöst hat und nur wieder aufgesteckt werden musste. Die Besuchenden erleben, welche Werkzeuge wofür eingesetzt werden und wie man sich helfen kann, wie es angepasst werden kann, wenn kein Werkzeug passt. So wird den Besuchenden auch klar, dass es beim Reparieren um mehr geht, als eine Sache in Funktion zu halten. Sie erkennen Bezüge zu Herstellungspraktiken. Auch Kriterien für Reparaturfreundlichkeit kristallisieren sich dadurch heraus.

 

Darüber hinaus bekommen sie viele Tipps wie Internetlinks zu Reparaturplattformen wie iFixit oder zur erfolgreichen Ersatzteilsuche. Das Reparieren selbst fordert ja stetige Lernbereitschaft, weil jede Reparatur anders zu bewerkstelligen ist. Doch nicht nur während der Reparatur selbst wird viel gelernt. Die Besuchenden beobachten zum Beispiel bereits während ihrer Wartezeit die anderen Reparaturen. Sie sehen, dass sie mit ihrem Interesse für Reparatur nicht alleine da stehen. Sie unterhalten sich mit anderen vor Ort über alles Mögliche, oft über Themen, die in Zusammenhang mit Reparatur und Nachhaltigkeit stehen. So erweitern sie vielfältig ihr Wissen.

Reparatur und Nachhaltigkeit sind also zentrale Lernthemen in den Repaircafés?

Genau. Sie zeigten sich bei den Befragten meiner Studie auch in den Tendenzen ihrer Motivation: die einen, die vor allem sehr gerne reparieren und die anderen, für die nachhaltiges Handeln im Vordergrund steht. Und gerade darin liegt das hohe gegenseitige Lernpotenzial! Während die einen reparaturtechnisch dazu lernen, nehmen die anderen die globalen Bezüge der Reparatur bewusster wahr. Nicht zu vergessen ist, dass in Repaircafés verschiedenste Generationen mit ihren jeweiligen Kenntnissen miteinander "werkeln", dabei viel voneinander lernen und zudem erfolgreicher beim Auffinden von Lösungen sind.

Und inwieweit findet auch ein Transfer des Gelernten in den Alltag statt?

Das hat mich dann doch erstaunt, wie viel des Gelernten in den Alltag einfließt und wie positiv der Besuch erlebt wird. Etwa werden die Menschen durch den Besuch angeregt bei Neukäufen auf die Reparaturfähigkeit zu achten. Im Repaircafé gewesen zu sein bestärkt sie, zu Hause und oft mit Familie oder Freund*innen weiter zu reparieren und sich dabei neuen Reparaturherausforderungen zuzuwenden. Alle an der Studie Beteiligten sprechen in ihrem privaten, teilweise im beruflichen Umfeld, über ihren Besuch. Auch über Social Media werden die Erfahrungen geteilt. Sie sind dann im Freundeskreis schon für ihre Expertise bekannt und werden reparaturbezogen um Unterstützung gebeten.

Es kommen also einige Impulse aus den Repaircafés auch im Alltag an. Inwieweit handelt es sich aber tatsächlich um "grüne Kompetenzen", die Besucher*innen in Repaircafés stärken können?

Da kläre ich zuerst einmal die Begriffe "grün" und "Kompetenzen". Die Gründerin der Repaircafés Martine Postma hatte jedenfalls ein ökologisch-nachhaltiges Interesse. Sie wollte durch die Repaircafés und ihre positive Atmosphäre unterstützen, alltägliche Gegenstände möglichst lange in Gebrauch zu halten, Müll zu vermeiden und Ressourcen zu sparen. Es ist alles freiwillig und weitgehend selbstbestimmt. Also hängt es von den Leuten selbst ab, wie sie sich einbringen und was sie mit nach Hause nehmen - ihr wieder funktionierendes Gerät oder auch neue Eindrücke und Erkenntnisse für erweitertes nachhaltiges Handeln? Viele, die ins Repaircafé kommen, haben von den mitgebrachten defekten Geräten noch mehrere Exemplare zu Hause, oder sie warten den Reparaturversuch nicht ab und haben sich bereits ein neues Gerät gekauft. Grewe (2017) hat diesen Überfluss in ihren Studien sehr gut herausgearbeitet. Repaircafés unterstützen daher auch den Umgang mit dieser gesellschaftlichen Dekadenz. Wie auch viele Befragte äußern, braucht es über das Reparieren hinaus weitergehende Entscheidungen, die von den Leuten viel Mut und einen bewussten Verzicht erfordern.



Vom Kompetenzbegriff gibt es ja unterschiedliche Definitionen. Gehen wir einmal vom Kompetenzbegriff aus, wie ihn Erpenbeck versteht, der ihn als "selbstorganisative, kreative Handlungsfähigkeit" (2008, S. 40) beschreibt und vier Schlüsselkompetenzen unterscheidet, wie selbstreflexiv kritisch zu sein, eigene Ideen tatsächlich umzusetzen, Wege zur Lösung zu finden und dabei andere miteinzubeziehen. All das lässt sich in Repaircafés finden, nicht alles bei einer Person, jedoch jedenfalls im Kollektiv.

Das heißt, nachhaltiges Handeln kann durch Repaircafès durchaus angeregt werden. Nun noch zu einem Thema, das in der Dissertation besonders aufgefallen ist: Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit verbinden wir nicht zuletzt wegen der Fridays-for-Future-Bewegung mit jungen Menschen. Ihre Untersuchung zeigt jedoch, dass Jugendliche und junge Erwachsene eher seltener in Repaircafés anzutreffen sind. Wie erklären Sie sich das?

Einerseits würden die jungen Menschen vielleicht gerne selbst reparieren, wissen aber nicht wie. Viele bekommen ja heute zu Hause nichts mehr über einen sorgsamen Umgang und die Freude am langen Gebrauch eigener Dinge mit. Die Erwachsenen sind darin keine Vorbilder mehr. Kaputte Sachen werden einfach und schnell durch etwas Neues ersetzt. Zudem ist ein Repaircafé-Besuch zeitintensiv und Jugendliche verbringen ihre rare Freizeit lieber anders. Alle der an der Studie Beteiligten, haben in ihrer Kindheit und Jugendzeit im persönlichen Umfeld die Bedeutung der Pflege und Reparatur miterlebt. Das schafft eine Wertgrundlage und erklärt auch, weshalb in vielen Repaircafés vor allem Menschen über 40 Jahre aktiv sind. In deren Kindheit war das noch selbstverständlicher. Das heißt, es macht es wesentlich leichter, wenn ein anschlussfähiges Wissen bereits vorhanden ist. Diese fehlenden Erfahrungen gilt es Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen heute wieder zu vermitteln! Was nicht bedeutet, dass überhaupt keine jungen Menschen teilnehmen. Es gibt auch einige unter 40, die sich in Repaircafés engagieren und das Konzept mittragen.

Ein Anschlusslernen zu ermöglichen, bleibt also als Herausforderung bestehen. Wie kann es dann gelingen, Menschen zu erreichen, die sich mit Reparatur und Nachhaltigkeit noch weniger beschäftigen? Wie kann es gar zu einem kollektiven Umdenken beitragen?

Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass Repaircafés breitenwirksam seien und auch an Reparatur und langer Nutzung bisher nicht Interessierte erreichen. Doch diese Annahme hat sich empirisch nicht bestätigt. Dennoch sind Repaircafés gesellschaftlich wirkungsvoll - übrigens nicht nur die Repaircafés, sondern viele der anderen Commons-Initiativen. Denn sie machen nachhaltiges Handeln sichtbar, geben ihm einen Wert und zeigen viele neue Möglichkeiten auf. Ich verweise hier auf Jackson (2014), der den Begriff des "Broken World Thinking" geprägt hat. Er stellt paradigmatisch das Gebrauchte und Defekte in den Mittelpunkt und nicht das Neue. Warum? Weil jeder Gegenstand in seiner Lebensspanne die meiste Zeit gebraucht, manchmal defekt und nur ganz kurz neu ist. Das heißt, Repaircafés tragen durch die mediale Aufmerksamkeit und das öffentliche Reparieren zu einer sozio-kulturellen Re-Etablierung der Reparatur bei. Es braucht auch die Politik, sich für Reparatur im Sinne der Nachhaltigkeit einzusetzen. Auf EU-Ebene arbeitet die Reparatur-Lobby daran, auf Herstellung und Design einzuwirken und das Recht auf Reparaturfähigkeit und -möglichkeit einzufordern. Auch gibt es Reparaturboni in vielen Städten. Doch das alles braucht Zeit.

Apropos: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Interview! Möchten Sie noch etwas Wichtiges loswerden?

Alle, die dieses Interview lesen, könnten beim nächsten Defekt einmal ein Repaircafé aufsuchen und ihre eigenen Erfahrungen dort machen. Viel Spaß dabei!



Carolina Gigleitner ist freiberufliche Wissenschaftlerin, Lebens- und Sozialberaterin, Landwirtin. Sie hat Bildungs- und Nachhaltigkeitswissenschaften studiert.

Weitere Informationen und Quellen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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