Tagungsbericht: Berufliche Orientierung oder Career Guidance?

19.10.2021, Text: Simone Jawor-Jussen, Barbara Knickrehm, Deutscher Verband für Bildungs- und Berufsberatung e. V., Redaktion: Amela Cetin, ÖSB Social Innovation
Dieser Frage widmete sich eine Tagung am 9. und 10. September. Ein Nachbericht gewährt Einblicke.
Am 9. und 10. September fand die Tagung des dvb mit dem Titel "Berufliche Orientierung oder Career Guidance?" statt.
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Eine zeitgemäße Berufliche Orientierung endet nicht mit der Wahl eines Berufes nach der Schulzeit. In der globalen Informationsgesellschaft wird für viele Menschen die Weiterentwicklung ihrer berufsbezogenen Kompetenzen zur kontinuierlichen Lebensaufgabe. Unterstützung in diesem Prozess erhalten sie durch Beratende aus unterschiedlichen persönlichen und institutionellen Kontexten, z. B. Schule, Hochschule, Arbeitsagenturen, Kammern, Erwachsenenbildung, Elternhaus u.v.m.

 

Im Fokus der gemeinsamen Tagung "Berufliche Orientierung oder Career Guidance?" - des Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e.V., der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und des Instituts für Ökonomische Bildung - standen die unterschiedlichen Perspektiven auf das komplexe Thema der Beruflichen Orientierung und die Klärung der vielfältigen, oft unterschiedlich verstandenen Begriffe. So werden in Deutschland unter "Berufsorientierung" vielfach die ausschließlich so benannten Angebote für Schüler*innen verstanden. Der lebenslange Aspekt der Beruflichen Orientierung dagegen, der eben nicht mit der ersten Berufswahl endet, ist noch nicht in allen Praxiskontexten verankert.

Für die Berufswahl Jugendlicher wesentlich: Image der Berufe und eine realistische Einschätzung des Berufswunsches

Verena Eberhard vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) stellte am ersten Tag in ihrer einführenden Keynote heraus, wie sehr die Berufswahl Jugendlicher von Werten und Erwartungen geprägt ist. Neben der kritischen Reflexion von Imageaspekten der Berufe sei auch das Wissen junger Menschen, wie realistisch ein Berufswunsch ist, hilfreich für den erfolgreichen Berufswahlprozess.

Im Mittelpunkt des interaktiven Austauschs: Digitale Instrumente, Kompetenzermittlung und -entwicklung

Anschließende Workshops, Vorträge und Posterpräsentationen boten neben bekannteren Ansätzen zur Beruflichen Orientierung, praktischen und anwendungsorientierten Erfahrungen auch neue Ideen, die vorgestellt, in Workshops ausprobiert und diskutiert werden konnten. 

 

Dabei standen häufig digitale Instrumente und deren Anwendung im Mittelpunkt, natürlich die verschiedenen Gruppen von Ratsuchenden mit ihren Bedarfen und Kompetenzen, aber auch die Kompetenzentwicklung von Lehrpersonen. Unter anderem sprachen die Teilnehmer*innen in den Workshops über Netflix als Career Guide und Portfolioarbeit mit Apps. Die Zielgruppe "Menschen mit Behinderung" sowie intersektional Betroffene war ein weiteres Thema.

Besonders nachgefragt: Lebensbegleitende Perspektive von Beratung und Orientierung

Es war deutlich, dass die Teilnehmenden einen großen Bedarf an Input und Austausch zur Frage der Lebensbegleitenden Perspektive von Beratung und Orientierung hatten. Entsprechende Veranstaltungsteile, wie "Kompetenzerleben durch Resonanz" von Gabriele Witzenrath und "Fuzzy Goals – von unscharfen Zielen zur beruflichen Innovation" von Cornelia Eybisch-Klimpel (beide "Frau und Beruf", Berlin), waren besonders nachgefragt. Auch war die Vielfalt der Personen und Institutionen, die in den Prozess Beruflicher Orientierung involviert sind, vielen Beteiligten noch nicht bewusst und bekannt. Deutlich wurde, dass hier ein hoher Fortbildungsbedarf bei Lehrenden und Beratenden besteht, und es wurden Forschungsdesiderate formuliert.

Life Design als neues Paradigma der Bildungs- und Berufsberatung

Der Vortrag von Marc Schreiber von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) widmete sich am zweiten Tag den Beratungsparadigmen, unter anderem Life Design. Dieses Beratungsparadigma sieht berufliche Beratung als schöpferischen Prozess, der den gesamten Menschen und seine Geschichte(n) einbezieht. Berater*innen sind dabei Prozessgestaltende, die die Ratsuchenden anregen und begleiten. 

 

Prototyping sorgt als Methode dafür, dass Ideen schnell und grundlegend entwickelt und getestet werden können. Schreibers Ausgangspunkt ist, dass sich Passung, Lebenslanges Lernen und Life Design nicht als Gegensätze in einer Laufbahnberatung ausschließen müssen, sondern alle diese Dimensionen darin eingehen können. Die Herausforderung bestehe dagegen in der Anwendung der konkreten Beratungsmethoden.

Studierende im Übergang vom Studium in den Beruf begleiten

Im Rahmen der Veranstaltung wurde zudem die Preisträgerin des Josephine-Levy-Rathenau-Nachwuchspreises für hervorragende praxisrelevante Masterarbeiten der Beratungsforschung bekannt gegeben. Der Preis wurde von dvb und wbv Media in 2021 zum ersten Mal verliehen und geht an eine Absolventin der Universität Mainz, Marie Dietrich, die in ihrer Arbeit ein Workshopkonzept, basierend auf Methoden des Life Design zur Unterstützung von Studierenden im Übergang ins Berufsleben betrachtet und vorstellt. 

Resümee: Fachlicher Austausch gelingt auch im Online-Format

Der fachliche Austausch auf der Tagung ist auch im Online-Format gut gelungen, wie u.a. die Teilnahmen zeigen: Mit mehr als 200 Teilnehmenden aus Forschung und Praxis war die Veranstaltung vollständig ausgebucht. Wissenschaft und Praxis, Vortragende wie Teilnehmende hatten ein Forum für ihre Anliegen. Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden haben die Veranstalter*innen in ihrem Anliegen bestärkt, das Thema Berufliche Orientierung auch für eine weitere Tagung in den Blick zu nehmen. Im Herbst 2022 ist eine Fortsetzung geplant, diesmal in Präsenz an der Universität Oldenburg. Ab Januar 2022 finden sich hierzu Informationen auf der dvb-Website.

 

Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung werden 2022 in einem Tagungsband veröffentlicht, den InteressentInnen als Print und als Ebook über den Springer Verlag beziehen können.

 

Über die Autorinnen: Barbara Knickrehm ist Geschäftsführerin, Simone Jawor-Jussen Stellvertretende Vorsitzende des Bundesvorstandes des Deutschen Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e.V. 

Weitere Informationen und Quellen:

Erstellung des Beitrags gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und des Europäischen Sozialfonds.

 
 
 
 
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