Bildungshäuser im digitalen Wandel

17.05.2021, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Welche Potentiale tun sich durch gegenwärtige Entwicklungen auf und was wird erfolgreiche Bildungshäuser zukünftig ausmachen? Ein Interview mit der Geschäftsführerin der ARGE Bildungshäuser Österreich.
Schloss Puchberg, ein Bildungshaus der ARGE Bildungshäuser.
Foto: CC BY-SA 3.0, BSonne, Wikimedia Commons
Bildungshäuser im digitalen Wandel – so lautet der Titel der kürzlich im wbv-Verlag erschienenen Dissertation von Gaby Filzmoser, der Geschäftsführerin der ARGE Bildungshäuser in Österreich. Ein Anlass, um mit der Autorin darüber zu sprechen, wie sich der digitale Wandel und die gegenwärtigen Entwicklungen rund um die Pandemie im Kontext von Lehren und Lernen äußern und was erfolgreiche Bildungshäuser zukünftig ausmachen wird.

Lucia Paar: Individuell lernen zu können wird oft als Vorteil von digitaler Bildung ins Feld geführt. Im Zuge einer Befragung in deiner Dissertation stellen die BildungsmanagerInnen fest, dass dabei auch die Ansprüche der Teilnehmenden individueller werden. Inwieweit ist Individualisierung neben einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen auch eines, das speziell mit digitalem Lehren und Lernen verbunden ist?

Gaby Filzmoser: Individualisierung in der Erwachsenenbildung ist grundsätzlich kein neues Thema. Seit vielen Jahren bemühen sich Bildungsverantwortliche auf individuelle Bedürfnisse und Lernprozesse einzugehen. Mit den herkömmlichen Bildungskonzepten ist dies jedoch schwierig und kann maximal als Zielgruppenorientierung bezeichnet werden. Mit den digitalen Möglichkeiten wird es einfacher, auf individuelle Ansprüche einzugehen und die Teilnehmenden werden auch selbstbewusster darin, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren bzw. einzufordern. Konkret, ganz aktuell, erlebe ich, dass TeilnehmerInnen vor einem Seminar bei mir anfragen, ob ein bestimmtes Thema auch tatsächlich im Seminar behandelt wird, oder sie kontaktieren mich, weil sie Einfluss auf die zeitliche Gestaltung nehmen wollen. Das Thema der Individualisierung betrifft so gesehen vor allem die Planung von Lehr- und Lernprozessen, egal ob sie digital, analog oder hybrid konzipiert sind.

 

Im digitalen Lernen ist wichtig zu beachten, dass Lernende auf der Suche nach Antworten zuerst nach Inhalten im Netz suchen und erst danach Weiterbildungen recherchieren.

Was kann man daraus für die Gestaltung von Bildungsveranstaltungen schließen?

Die Herausforderung liegt zum einen darin, bereits im Vorfeld der Planung die individuellen Bedürfnisse zu erheben und entlang dieser die Bildungskonzepte zu erstellen. Das kann mühsam sein und ist in jedem Fall ein zeitlich höherer Aufwand, als sich "nur" über die Zielgruppe Gedanken machen zu müssen. Zum anderen führt, die konkrete und selbstbewusstere Suche nach der Beantwortung von Fragen oder nach Lösungen dazu, dass sich Lernwillige immer kurzfristiger für Teilnahmen an Bildungsveranstaltungen entscheiden. Das macht ebenfalls die Planung schwierig und erfordert viel Flexibilität seitens der Bildungseinrichtungen, aber auch der Lehrenden. An diesem Punkt sehe ich eine Chance für die Entwicklung neue Bildungskonzepte. Zum Beispiel Bildungsveranstaltungen "auf Zuruf" könnten den individuellen Lernbedürfnissen entgegenkommen. Voraussetzungen dafür wären eine Schwerpunktsetzung in einem Bereich, wo die Organisation eine Expertise aufweisen kann, ein geeigneter TrainerInnenpool und ganz viel Flexibilität in der Organisation und bei den MitarbeiterInnen.

Das heißt vorzusorgen, damit ein Bildungsangebot rasch und flexibel aus dem Boden gestampft werden kann.

Widmen wir uns einer weiteren wesentlichen Funktion digitaler Medien: der Vernetzung. Auch Lernen passiert in vielerlei Hinsicht "vernetzt". Ein Potential, das für digitale Bildung oder digitales Lernen nutzbar ist?

Vernetztes Lernen und digitale Medien sind ein Traumpaar, wenn es um individuelles Lernen geht. Die "Community of Practice" ist auch ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang. Das heißt: die sozialen Medien sind voll von Möglichkeiten sich Gruppen anzuschließen, die sich zu ganz bestimmten Themen regelmäßig austauschen und voneinander lernen. Der Vorteil ist, dass dadurch Verbindungen zu anderen Lernenden oder ExpertInnen hergestellt werden können, die man ohne digitale Medien nicht oder nur schwer erreichen würde.

Die erweiterte Vernetzungsmöglichkeit über digitale Medien kann das Lernen also unterstützen. Schauen wir nun auf die digitalen Lernräume – sie ermöglichen eine räumlichen Entgrenzung von Lernen. Demgegenüber ist die Stärke der Bildungshäuser ja gerade der Ort, oft wunderschön gelegen, weg von der alltäglichen Umgebung. Da tut sich ein Spannungsfeld auf. Wie können Bildungshäuser damit umgehen?

Ja, das ist tatsächlich ein Spannungsfeld und durch Covid-19 wurde das auch noch deutlicher. ABER – darin bestehen auch große Chancen. Die Herausforderung liegt darin, sich einerseits auf die Stärken zu besinnen und andererseits sich auf die veränderten Lerngewohnheiten von erwachsenen Lernenden einzustellen. Die Kombination macht es aus. Das bedarf organisatorischer und konzeptioneller Veränderungen in den Bildungshäusern und vieler Experimente. Ich bin überzeugt, dass sich da in der nächsten Zeit vieles verändern wird und neue Angebote und Serviceleistungen auf dem Markt kommen werden.

Du hast die Entwicklung rund um Covid-19 erwähnt. Es wurde ja eine Blitzumfrage veröffentlicht, die untersucht, wie sich die Corona-Krise auf die österreichische Erwachsenenbildung ausgewirkt hat. Entsprechen die Ergebnisse auch der Lage in den Bildungshäusern?

Ja, durchaus. Unsere Jahresstatistik zeigt einen Rückgang von 47 % bei den Veranstaltungszahlen und 61 % bei den Teilnahmen. Das ist, im Vergleich zu andern EB-Verbänden, schon ein sehr gravierender Rückgang, der sehr schmerzt. Von den Corona-Beschränkungen waren bzw. sind ja nur berufsbildende Bildungsveranstaltungen ausgenommen und Bildungshäuser sind ja eher in der allgemeinen Erwachsenenbildung stark. Dementsprechend wurde viel abgesagt, einiges verschoben oder in den Onlineraum verlegt.

 

Organisatorisch und personell zeigt sich eine Zweiteilung. Das Personal in den Wirtschaftsbereichen (Hotellerie und Gastronomie) war und ist entweder auf Kurzarbeit oder vom Dienst freigestellt. Nur wenige Personen wurden gekündigt. In den Verwaltungs- und Bildungsbereichen kam es, durch die Umorganisationen und Veränderungen, zu einem höheren Arbeitsaufwand.

 

Die "digitale Bereitschaft" ist in den Bildungshäusern ebenfalls stark angestiegen, wenn auch am Anfang etwas zögerlich. Inzwischen haben alle Bildungshäuser technisch mehr oder weniger aufgerüstet und werden auch in Zukunft Onlineseminare anbieten. Einige Bildungshäuser haben eigene Studios für Online-Seminare eingerichtet. Die MitarbeiterInnen haben gelernt mit den digitalen Tools umzugehen und haben ihre Medienkompetenzen erhöht.

 

Bleiben wir noch kurz bei den Entwicklungen rund um Corona: Die deutsche Trendstudie mmb Learning Delphi zeigt, dass es etablierten Bildungsanbietern, die bisher v.a. Präsenz-Veranstaltungen angeboten haben, wirtschaftlich jetzt schlechter geht. Hat es die Bildungshäuser wirtschaftlich noch schwerer getroffen als andere EB-Einrichtungen? Neben einem eingeschränkten Bildungsbetrieb ist schließlich auch keine Beherbergung – oft ein wesentlicher Faktor in Bildungshäusern – möglich.

Der wirtschaftliche Einbruch war während dem Lockdown schon sehr gravierend. Bei den Nächtigungen ist ein Rückgang von 60% zu verzeichnen. Bildungshäuser, die keinen finanzkräftigen Träger hinter sich haben, sind schon an ihre Grenzen gekommen. Alle Bildungshäuser, die nicht über die öffentliche Hand getragen werden (z.B.: Landesbildungshäuser) konnten Kurzarbeit anmelden oder wurden über diverse Förderungen (NPO-Förderung, Umsatzentgangsabgeltung, Fixkostenzuschuss usw.) unterstützt. Einige Bildungshäuser wurden zeitweise als Quarantäneeinrichtungen genutzt.

 

Gleichzeitig wurde durch den Lockdown ein enormes kreatives Potential freigesetzt und Bildungshäuser haben aktiv nach neuen Angebotsmöglichkeiten und Serviceleistungen gesucht und auch umgesetzt. Neben dem Digitalisierungsschub wurden beispielsweise internationale Kontakte verstärkt und Netzwerke ausgebaut. Dies könnte sich positive auf die Teilnahme an Erasmus+ Projekten auswirken. Manche Bildungshäuser bieten ihre Zimmer inkl. ihrer Infrastruktur für Einzelpersonen als Rückzugsmöglichkeit an. Beispielsweise für Remote-Office oder Remote-Learning.

 

Letztendlich ist auch die Wertschätzung von Präsenzveranstaltungen sowohl bei VeranstalterInnen als auch bei Teilnehmenden bewusster geworden und gestiegen. Bereits jetzt ist eine gewisse Online-Müdigkeit spürbar und die TeilnehmerInnen wollen zurück in "ihre" Bildungshäuser. Auch wenn Onlineseminare auch weiterhin zielgerichtet eingesetzt werden, die Bedeutung von Bildung vor Ort wird weiterhin gefragt sein. Und Bildungshäuser werden diese Stärke noch mehr hervorheben als bisher.

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Was wird erfolgreiche Bildungshäuser im Kontext des digitalen Wandels zukünftig ausmachen?

Hier gibt es mehrere mögliche Ansätze. Von der Formatseite her, bin ich überzeugt, dass hybride Veranstaltungen an Bedeutung gewinnen und die Verschränkung von Online und Präsenz dazu führen kann, dass die Zielgruppen und ihr Einzugsgebiet erweitert werden kann. Gleichzeitig wird es notwendig sein, sich thematisch mehr zu spezialisieren, um im digitalen Markt sichtbarer zu werden. Organisatorisch werden andere Raumkonzepte notwendig sein, um den individuellen Ansprüchen der Lernenden besser nachkommen zu können. Voraussetzung für die Umsetzung dieser Ansätze wird eine verstärkte Orientierung an den Bildungsprozessen der Lernenden anstelle von Bildungsprodukten sein.

Weitere Informationen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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