Damit es nicht normal bleibt, sich schlecht zu fühlen

30.07.2020, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Das Projekt Durchblicker*in fördert die Gesundheitskompetenz von arbeitssuchenden Frauen und Männern. Dabei geht es oft um die psychische Gesundheit und Empowerment.
Informiert gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen können: Das Ziel im Projekt Durchblicker*in
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Die europäische Health-Literacy-Studie hat im Jahr 2011 erstmals die Gesundheitskompetenz der österreichischen Bevölkerung erhoben. Die Ergebnisse waren im Ländervergleich für Österreich unterdurchschnittlich und zeigten Nachholbedarf bei der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung auf. Daraus resultierten verschiedene Initiativen zur Förderung der Gesundheitskompetenz. Auch das Projekt Durchblicker*in hatte damals ihren Ursprung und startete mit Jänner 2020 in eine weitere Projektlaufzeit. Im Rahmen des Projekts führen das Institut für Frauen- und Männergesundheit FEM, FEM Süd und MEN Workshops zur Förderung der Gesundheitskompetenz mit Männern und Frauen durch, die sich in Qualifizierungsmaßnahmen befinden.

Workshops mit Frauen und Männern in Qualifizierungsmaßnahmen

Das Projekt richtet sich an arbeitsmarktferne sowie arbeitssuchende Männer und Frauen in Qualifizierungsmaßnahmen. Ziel ist, dass Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen und sich mit den eigenen Bedürfnissen im Gesundheitssystem einbringen können. Dazu finden im Projekt Workshops mit den Frauen und Männern statt. Die Workshop-LeiterInnen führen diese auf Deutsch durch. Sie arbeiten allerdings auch mit Menschen, die noch nicht so viel Deutsch können, zum Beispiel mit Frauen in Deutschkursen. Wichtig sei dabei, auch mit schriftlichen Unterlagen zu arbeiten, die das Sprachverständnis unterstützen, erzählt Eva Trettler, Klinische- und Gesundheitspsychologin und Mitarbeiterin im FEM Süd: "Das funktioniert. Es ist zwar nicht immer einfach, wenn die Deutsch-Kenntnisse nicht sehr gut sind, aber wir versuchen die Inhalte in einfacher Sprache zu vermitteln."

 

Wichtig zu betonen ist für Trettler, dass diese Workshops nur einen Teil bei der Förderung von Gesundheitskompetenz insgesamt ausmachen, denn diese sei nicht nur ein individuelles Thema: "Es muss auch das Gesundheits- und Sozialsystem vereinfacht werden, durch Informationen in leichter Sprache und mehrsprachigen Formularen". Das sei zusätzlich zur individuellen Weiterbildung bestimmter Zielgruppen ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel.

Psychische Gesundheit als zentraler Schwerpunkt

Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Workshops im Rahmen des Projekts Durchblicker*in dreht sich darum, wie das österreichische Gesundheitssystem funktioniert. Je nach Zielgruppe nimmt das Thema mehr oder weniger Raum ein. Wie geht das mit der E-Card? Wann gehe ich in die Ambulanz? Was ist eine Rezeptgebühr? Das sind Fragen, die im Rahmen der Workshops Thema sein können.

 

Die Workshop-LeiterInnen arbeiten oft auch mit traumatisierten Frauen und Männern, daher bildet die psychische und körperliche Gesundheit einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt. Fragen können hierbei sein: Woran erkenne ich, dass es mir schlecht geht? Was sind PsychologInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen? Dabei gehe es vor allem darum, eine Sensibilisierung für die eigene Gesundheit zu schaffen, so Trettler. "Ich habe zum Beispiel einmal in einer Gruppe gefragt, wie es ihnen geht? Einige, darunter auch geflüchtete Frauen, haben gesagt, dass sie zwar immer wieder hören, sie sollen zum Psychologen gehen, aber sie wissen nicht, was das ist. Manche sagten auch, dass es ja normal ist, dass es einem schlecht geht, das sei das Leben", erzählt Trettler aus einer Fokusgruppe zum Projekt. Für die Menschen sei es daher wichtig zu wissen, dass es spezielle Fachkräfte gibt, an die man sich wenden kann und dass es Hilfe gibt.

 

Auch die körperliche Gesundheit ist Thema in den Workshops. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie man sich gesund ernährt oder wieviel Bewegung guttut.

Es geht um Empowerment

Ein zentrales Thema bilden in den Workshops auch Fragen rund um die Kommunikation bei Arzt und Ärztin: Wie finde ich einen guten Arzt/eine gute Ärztin? Wie erkenn ich das? Was ist, wenn ich nicht einverstanden bin mit der Behandlung, die mir vorgeschlagen wird? "Da geht es auch stark um das Empowerment", so Trettler. "Wenn z.B. der Arzt meint, das sei das Beste und ich das aber nicht umsetzen kann, ist das für mich vielleicht auch nicht das Beste." Dabei sei es besonders wichtig, dass die Menschen lernen, gemeinsam mit den ÄrztInnen Entscheidungen zu treffen und nicht nur das umsetzen, was ein Arzt vorschlägt, so Trettler.

Workshops mit MultiplikatorInnen

Neben den Workshops mit Frauen und Männern in Qualifizierungsmaßnahmen führen die ProjektpartnerInnen auch Workshops mit ProfessionistInnen durch. Diese kommen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich bzw. sind MitarbeiterInnen in arbeitsmarktpolitischen und Erwachsenenbildungseinrichtungen und beschäftigen sich in ihrem Berufsalltag mit arbeitsmarktfernen und arbeitssuchenden Menschen.
Ziel der Weiterbildung ist es, ProfessionistInnen mit dem Konzept der Gesundheitskompetenz vertraut zu machen, sowie auch deren Rolle bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz bewusst zu reflektieren.

 

In den Workshops bekommen die MultiplikatorInnen auch einige Tools für die Arbeit mit ihrer Zielgruppe an die Hand. Zum Beispiel gibt es vom Frauengesundheitszentrum Graz eine Checkliste für MultiplikatorInnen, wie man seriöse Gesundheitsinformation erkennen kann, so Trettler. Darin stehen leitende Fragen wie z.B.: Wer sind AutorInnen, wer betreibt die Seite? Werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten, Nutzen und Risiken genannt? Werden Unterschiede von Männern und Frauen berücksichtigt? "So kann man Gesundheitsinformation abklären und schauen, ob das seriös ist oder nicht", so Eva Trettler.

 

Die Workshop-LeiterInnen besprechen mit den MultiplikatorInnen auch verschiedene Methoden zur Kommunikation mit Ärzten und Ärztinnen, wie zum Beispiel die Teach-Back-Methode. "Häufig fragen Ärzte und ÄrztInnen die PatientInnen, ob sie das Gesagte verstanden haben. Viele sagen oft ‚Ja' und gehen", erzählt Trettler. Bei der Methode gehe es darum, dass man zusammenfassen lässt, was man gerade vermittelt hat. "Damit sehe ich, ob die Information angekommen ist und was davon angekommen ist und kann noch offene Fragen klären", erklärt die Projektmitarbeiterin.

Vernetzen und austauschen

Eine weitere Säule des Projektes ist das Wiener Forum Gesundheitskompetenz. Ziele dieser Veranstaltung sind, Erfahrungsaustausch und Vernetzung zu ermöglichen und zukünftige Strategien zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz zu diskutieren. Mit dieser Initiative sollen VertreterInnen aus Institutionen, EntscheidungsträgerInnen und AkteurInnen aller Berufsgruppen angesprochen werden, sowie all jene, die sich für das Thema Gesundheitskompetenz interessieren.

 

Das nächste Wiener Forum Gesundheitskompetenz findet am 5. Oktober 2020 statt.

Über das Projekt

Durchgeführt wird das Projekt vom Institut für Frauen- und Männergesundheit FEM, FEM Süd und MEN.
Die ProjektpartnerInnen führen die Workshops laufend mit verschiedenen KooperationspartnerInnen durch. Bei Interesse an Workshops zur Förderung der Gesundheitskompetenz oder für MulitplikatorInnen, können diese auch gebucht werden, so Trettler: "Interessierte Einrichtungen können einfach mit uns Kontakt aufnehmen, wir können das Angebot flexibel und individuell gestalten".

 

Von 2017 bis 2019 fand das Projekt Durchbklicker*in erstmals statt, aufbauend auf dem Vorgänger Projekt "Durchblick". Von 2017 bis 2019 fanden im Rahmen des Projekts bereits 70 Workshops statt, in denen insgesamt 905 Frauen und Männer erreicht wurden. Darüber hinaus wurden rund 700 MulitplikatorInnen erreicht. Im Jänner 2020 wurde das Projekt um weitere drei Jahre verlängert.
Finanziert wird Durchblicker*in durch den Landesgesundheitsförderungsfonds, der im Rahmen der Gesundheitsreform von der Sozialversicherung und der Stadt Wien eingerichtet wurde.

 
Weitere Informationen:
 
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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