Trends und Bedarfe in der Bildungs- und Berufsberatung für Personen 50+

27.05.2020, Text: Mario Taschwer, Agnes Dürr und Karin Steiner, abif, Redaktion: Franziska Haydn, Initiative Bildungsberatung - ÖSB Studien & Beratung
Welche aktuellen Herausforderungen in der Beratung von Personen 50+ erleben die BildungsberaterInnen in Österreich in ihrer täglichen Praxis? Dieser Frage widmete sich das Forschungsinstitut abif in einer aktuellen Erhebung.
Aktuelle Studie von abif zeigt Trends und Bedarfe in der Bildungs- und Berufsberatung für Personen 50+ auf.
Grafik: Alle Rechte vorbehalten, Jörg Schiemann (2015), http://www.trueffelpix.com/
Ab wann ist man alt? Oder besser: Ab welchem Alter werden Personen als "älter" angesehen? Die aktuelle Studie von abif, durchgeführt im Sommer bzw. Herbst 2019, beschäftigt sich mit der Zielgruppe der Personen ab einem Alter von 50 Jahren. Doch wo dieser "Cut-Off-Point" genau liegt, wird nicht (nur) biologisch begründet: Denn wer von GesetzgeberInnen, ArbeitgeberInnen und vom Umfeld als "älter" empfunden wird, hängt unter anderem auch von der soziodemografischen Entwicklung der Gesellschaft ab.

Bildungs- und Berufsberatung für Personen ab 50 ist nicht auf Grund des Alters anders

Gestaltet sich die Beratung älterer KundInnen anders? Aus den ExpertInnen-Interviews lässt sich nicht herauslesen, dass Personen ab 50 eine spezielle Herausforderung für die BeraterInnen darstellen:

"Die [Herausforderungen] sind nicht anders als für andere Gruppen. Es gibt immer Herausforderungen in der Beratung, egal welche Menschen man berät. Die Herausforderung ist jedoch der Mensch an sich und nicht irgendein verallgemeinerbares Merkmal." (Interview ExpertIn)

Umfrage: Kein abnehmender Bedarf bei aktuell arbeitsmarktrelevanten Zielgruppen bis 2022

Nach Angaben der 344 Umfrage-TeilnehmerInnen zählen jene Personen 50+ zu den aktuell wichtigsten Zielgruppen, die (längere Zeit) erwerbsarbeitslos sind oder sich in einem Umorientierungsprozess befinden. Die zentrale Botschaft beim Beratungsbedarf bis 2022 lautet: Bei den meisten Zielgruppen wird ein (stark) zunehmender Bedarf erwartet; zurückgehen wird der Bedarf bei keiner der genannten Zielgruppen.

Die aktuell fünf wichtigsten Zielgruppen in der Beratungstätigkeit sind nach Angaben der 344 befragten Personen aus dem Online-Survey:

  • Arbeitsuchende und arbeitslose Personen 50+ (52%)
  • Frauen 50+ im Prozess der beruflichen Um- bzw. Neuorientierung (48%)
  • Langzeitarbeitslose Erwachsene 50+ (45%)
  • Menschen 50+ mit Pflichtschulabschluss als höchstem Bildungsabschluss (40%)
  • Männer 50+ im Prozess der beruflichen Um- bzw. Neuorientierung (39%)

Künftige Herausforderungen für KundInnen und BeraterInnen

Eine zukünftige Herausforderung bzw. ein anzustrebendes Ziel bestehen laut befragten BildungsberaterInnen darin, die Erreichbarkeit der Zielgruppe von Personen ab einem Alter von 50 Jahren zu erhöhen. Ein generelles Ziel sollte in diesem Zusammenhang sein, die Sinnhaftigkeit von Beratung, Qualifikation und Lebenslangem Lernen fortwährend zu betonen.

 

An erster Stelle rangiert das "Matching von Fähigkeiten, beruflichen Interessen und tatsächlicher Arbeitswelt", das von 99% der Befragten als "sehr" oder "ziemlich wichtige" Herausforderung eingestuft wurde. Ein zentrales Anliegen ist auch hier wiederum das Aufbrechen der bestehenden Vorurteile und das Verändern der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Der "Abbau gesellschaftlicher Ressentiments gegenüber ArbeitnehmerInnen/Arbeitsuchenden 50+", wird von insgesamt 94% als "sehr" oder "ziemlich wichtige" Herausforderung angesehen. Wenn die Gruppe der Personen ab 50 weiterhin als defizitär wahrgenommen wird, wird sich deren Situation am Arbeitsmarkt laut der interviewten BeraterInnen verschlechtern.

AMS-Infos und Tools: Hohe Bekanntheit und Nützlichkeit

Laut den Angaben der 344 TeilnehmerInnen des Online-Surveys sind die AMS-Tools und Info-Angebote für die Zielgruppe nicht nur gut bekannt, sondern auch eine wichtige Ressource für ihre Arbeit mit der Zielgruppe (Zustimmung von 81%). Die Online-Angebote sowie Print-Angebote zur Unterstützung der Bildungs- und Berufsberatung sind dabei in etwa gleich gut bekannt (Zustimmung: 68% online bzw. 66% Print). Am bekanntesten ist laut der Umfrage das AMS-Berufslexikon, das fast 98% der Befragten angeben zu kennen. Danach folgt der e-Job-Room, der nicht nur bekannt ist, sondern auch fast von der Hälfte der Personen wöchentlich oder öfter (täglich: 24%, wöchentlich: 23%) genutzt wird.

Ausgewählte und abgeleitete Empfehlungen aus der Datengrundlage

Eine frühzeitige Beratung kann eine erfolgreiche Berufsorientierung, eine qualifikationsgerechte Beschäftigung und den längeren Verbleib am Arbeitsmarkt erleichtern und ermöglichen. Beratung sollte also nicht erst beim Eintreten von Arbeitslosigkeit, sondern bereits berufsbegleitend stattfinden.

 

Der Umgang mit psychischen Belastungen der BeratungskundInnen kann für die BeraterInnen eine Herausforderung darstellen, da diese Themen den eigenen Kompetenzbereich oft übersteigen. Psychische Belastungen sollten demzufolge im Rahmen dezidiert psychologischer Beratung behandelt werden. Hier ist eine Vernetzung mit entsprechenden Beratungseinrichtungen wichtig und notwendig.

 

Das Thema Vorurteile gegenüber älteren Personen am Arbeitsmarkt wird von der Literatur wie auch von den befragten InterviewpartnerInnen fortwährend betont. Daher müssen Rahmenbedingungen für Personen über 50 durch den Abbau von Ressentiments und Vorurteilen verbessert werden. Ein konkreter Ansatzpunkt ist hier etwa die Sensibilisierungsarbeit beispielsweise durch die Einführung/Implementierung von Älteren-Beauftragten (vergleichlich eine Gender-Beauftragte) oder durch öffentliche Projekte und Kampagnen. Ansonsten schlagen sich Diskriminierungen aufgrund des Alters weiterhin auf die Selbstwahrnehmung der Menschen nieder:

"Die Leute kommen teilweise zu uns und sagen, ‚ich bin zu alt' weil es ihnen ganz super eingeredet wird und weil sie sich dementsprechend fühlen." (Interview ExpertIn)

Studiendesign: Trends und Bedarfe zur Optimierung des AMS-Angebots

In Österreich ist das Arbeitsmarktservice (AMS) direkt (durch BerufsInfoZentren) und indirekt (durch Förderungen) einer der größten Player in der Bildungs- und Berufsberatung. Deswegen sieht abif – analyse, beratung, interdisziplinäre forschung im Auftrag des AMS genau hin und erhebt Bedarfe und Trends sowie Wünsche und Veränderungsvorschläge zur Optimierung des Angebots. Durchgeführt wurde dazu eine Daten- und Literaturanalyse, 13 Interviews sowie ein Online-Survey mit 344 Personen aus der Beratungspraxis als auch dem Management der Bildungs- und Berufsberatung, die mit der Zielgruppe arbeiten.

 

Die Studienergebnisse werden vor Sommer 2020 auf der Plattform des AMS-Forschungsnetzwerks unter "AMS Publikationen - Forschung" veröffentlicht.

 

Erstellung des Artikels gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und des Europäischen Sozialfonds.

 
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