Wir und die Anderen. Basisbildung und Differenz.

12.02.2019, Text: Angelika Hrubesch, VHS / lernraum.wien
Zwischen 2008 und 2018 haben sich im Netzwerk MIKA bundesweit sieben Organisationen mit Aus- und Weiterbildung sowie mit Qualitätsentwicklung im Bereich Basisbildung und Migration auseinander gesetzt.
Netzwerk MIKA
Grafik: Alle Rechte vorbehalten, Netzwerk MIKA, auf erwachsenenbildung.at
Die VHS Wien/AlfaZentrum für MigrantInnen, Verein BILL, Verein Danaida, das kollektiv, Verein Frauen aus allen Ländern, Frauenservice Graz, Verein Projekt Integrationshaus haben in den vergangenen Jahren im Netzwerk MIKA (Migration - Kompetenz - Alphabetisierung) zusammengearbeitet. In den von ESF- und BMBWF- geförderten Projekten hat sich das Netzwerk mit Aus- und Weiterbildung sowie mit Qualitätsentwicklung im Bereich Alphabetisierung/Basisbildung und Migration beschäftigt.

 

Migrationspädagogik und Basisbildung

Im vergangenen Jahr lag der inhaltliche Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit auf einer Beschäftigung mit dem Ansatz der Migrationspädagogik. Die Migrationspädagogik problematisiert eine interkulturelle Perspektivierung, die Migrationsandere erst hervorbringt, um sie dann in die pädagogische Rahmung einzubetten. Lehren und Lernen werden als Prozesse in den Blick genommen, die sich in spezifischen Machtverhältnissen abspielen und diese reproduzieren. Da die verfügbaren Publikationen zur Migrationspädagogik ihren Blick vor allem auf die Schule richten, war es uns im Netzwerk MIKA ein Anliegen, den Ansatz im Kontext der österreichischen Erwachsenenbildung bzw. Basisbildung zu besprechen und zu hinterfragen. Aus unserer Auseinandersetzung im Netzwerk sind Analyseraster zur Betrachtung von didaktischen Materialien hervorgegangen, und es wurde ein Positionspapier verfasst, das das Verständnis von Basisbildung in der Migrationsgesellschaft des Netzwerks zusammenfasst.

 

Positionen des Netzwerks MIKA

Das Netzwerk MIKA sieht in der Basisbildung keinen erzieherischen, sondern einen emanzipatorischen Auftrag. Die Lernenden sollen in Basisbildungsangeboten Möglichkeiten finden, den eigenen Lernprozess selbstbestimmt zu gestalten und sich mit gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen in einem wechselseitigen Dialog kritisch auseinandersetzen zu können. Sie können Lerninhalte und Lernziele mitbestimmen. Basisbildungsangebote werden in einem dialogischen Prozess mit den Lernenden entwickelt und gestaltet, um Lernen auf beiden Seiten zu ermöglichen und das eigene Verständnis von Deutungs- und Handlungsmustern zu erweitern. Die Lehrenden und die Lernenden werden zu einem differenzierten Blick auf die Möglichkeiten gesellschaftlichen Handelns und des Zusammenlebens ermutigt.

 

Die Migrationspädagogik macht uns auf Differenzierung zwischen "wir" und "den Anderen" aufmerksam, die bewusst oder unbewusst in allen gesellschaftlichen Bereichen hergestellt werden. Die Auseinandersetzung damit wäre u.E. Aufgabe aller Lehrenden und Aktuer_innen in der Basisbildung. Die Wahrnehmung der mit den Differenzierungen verbundenen herrschenden sozialen Ungleichheiten - z.B. zwischen Migrant_innen und Nicht-Migrant_innen - ist eine Voraussetzung dafür, diese auch verändern zu können.

 

MIKA verabschiedet sich

Da ein Folgeantrag nicht genehmigt wurde, kann das Netzwerk MIKA aktuell leider keine gemeinsamen Projekte durchführen, was angesichts der Schwerpunktsetzung des Netzwerks im Kontext Migration und der Notwendigkeit, sich hier professionell mit den damit verbundenen Herausforderungen auseinander zu setzen, höchst bedauerlich ist.

 

Gegenwärtig nehmen wir gerade im Kontext von Deutsch als Zweitsprache Tendenzen wahr, dass Lernende in Curricula und Kurskonzepten als Unwissende betrachtet werden, denen nicht nur die deutsche Sprache, sondern gleich die ganze Welt aus einer eurozentristischen Perspektive erklärt werden muss. Umso wichtiger ist es, dass Räume für die kritische Auseinandersetzung mit dem Lehren und Lernen in der Migrationsgesellschaft geschaffen und bestehende Räume erhalten werden: in der Aus- und Weiterbildung, aber vor allem auch in der laufenden Arbeit. Lehrende müssen dabei kontinuierlich unterstützt werden. Dann können sie sich der Herausforderung, die das Dilemma der eigenen Verstricktheit mit sich bringt, stellen und Mut zu Veränderung entwickeln.

 

Trotzdem: die Geschichte geht weiter!

Das Netzwerk MIKA hat im Lauf seiner zehnjährigen Arbeit immer dazu beigetragen, solche Räume kritischer Auseinandersetzung zu schaffen. Obwohl dies gerade nicht mehr möglich ist, sind wir der festen Überzeugung, dass die bisherigen Bemühungen nicht umsonst waren. Die Auseinandersetzungen und Impulse, die im Rahmen unserer Aus- und Weiterbildungen sowie unserer zahlreichen Publikationen in der Landschaft der Basisbildung geführt wurden, werden nicht einfach aus der Praxis der kritischen Erwachsenenbildungsarbeit dieses Landes wegradiert werden. Die Geschichte geht weiter.

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