Mit den ÖGB KulturlotsInnen auf Expedition in die Wiener Kulturlandschaft
Der Prozentsatz jener, die nie oder nur sehr selten Kulturveranstaltungen besuchen liegt in Österreich lt. Statistik Austria über 50 Prozent. Fehlende Motivation, zu hohe Eintrittspreise, fehlende Begleitung, negative Erfahrungen oder mangelnde Informationen über mögliche Kulturangebote werden häufig als Gründe genannt, nicht an Kulturveranstaltungen teilzunehmen (vgl. Renz/Mandel und Gutknecht-Gmainer).
Die ÖGB KulturlotsInnen setzten an diesen Punkten an und bemühen sich, in Zusammenarbeit mit ArbeitnehmervertreterInnen, Wiener Kulturinstitutionen und der Kulturabteilung der Stadt Wien, Erwachsenen und auch Lehrlingen ein möglichst breites Kulturangebot zu erschließen.
Die Qual der Wahl
Einer der wohl größten Vorteile der Wiener Kulturszene erweist sich nicht selten als deren Achillesferse: ihre Vielfalt. Nur wenige Kulturfans schaffen es, in puncto Angebot immer up to date zu sein. Der Großteil der (möglichen) KulturkonsumentInnen erfährt von neuen Ausstellungen über Plakate oder Zeitungsartikel. Je größer das Budget der Marketingabteilungen, desto größer ist oftmals die BesucherInnenzahl. Kleine Bühnen oder Ausstellungshäuser bleiben dabei trotz ambitionierter Programmierung oft weitgehend unerkannt.
Die Kulturlotsinnen wählen in Zusammenarbeit mit ArbeitnehmervertreterInnen gezielt Veranstaltungen aus, die sich an den Interessen und Bedürfnissen der KollegInnen im Betrieb orientieren. Durch die Erfahrungen der ArbeitnehmervertreterInnen und das breitgefächerte Angebot der Kulturlotsinnen können maßgeschneiderte Kulturprogramme für Betriebe entworfen werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Belegschaft, den ArbeitnehmervertreterInnen und den Kulturlotsinnen ist ein wesentliches Erfolgsrezept der ÖGB KulturlotsInnen.
An das Konzept der Vermittlung auf Augenhöhe knüpfte auch das Projekt BildungslotsInnen an, das vom VÖGB ausgearbeitet wurde aber bislang noch nicht umgesetzt werden konnte.
Hast du Zeit und Lust?
Oft besteht zwar ein grundsätzliches Interesse, an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen, es fehlt jedoch der Anreiz und somit auch die Zeit, die dafür investiert werden muss (Gutknecht-Gmeiner, S.14).
Zeit für Kultur muss man/frau sich bewusst „nehmen“. Im Projekt Kulturlotsinnen hat sich gezeigt, dass dieser Anreiz einfach darin bestehen kann, dass ein konkreter Termin in Aussicht gestellt wird, zu dem sich die TeilnehmerInnen einige Wochen vorher anmelden können.
Wird dieser Termin noch mit vergünstigten Eintrittspreisen und einer interessanten Vermittlungsaktion (Themenführungen, Führung hinter die Kulissen, Einführungsgespräch, …) verknüpft, sprich: etwas Besonderes in Aussicht gestellt, will man/frau sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Lieber gemeinsam statt einsam
Ein weiterer Grund, nicht an Kulturveranstaltungen teilzunehmen, ist laut einer Studie, die Thomas Renz und Birgit Mandl 2010 durchgeführt haben, die fehlende Begleitung (Renz/Mandel, S. 3). Auch hier haben wir im Projekt KulturlotsInnen sehr gute Erfahrungen gemacht. Wird ein Kulturbesuch vom Betriebsrat organisiert, kennen sich die KollegInnen teilweise bereits untereinander. Werden regelmäßig Kulturveranstaltungen angeboten, intensivieren sich diese Bekanntschaften.
Viele Betriebe beginnen mit relativ kleinen Gruppen und steigern sich kontinuierlich. Daran zeigt sich, dass die TeilnehmerInnen ihren KollegInnen von Veranstaltungen berichten und diese dadurch motivieren, an der nächsten Veranstaltung teilzunehmen.
Regelmäßig im Kreis von Bekannten Kulturveranstaltungen zu besuchen führt auch dazu, dass die TeilnehmerInnen zunehmend experimentierfreudiger werden und sich
auf „Neues“ einlassen. „Das brut kenn ich gar nicht, aber wenn es die KULOS empfehlen ist es sicher wieder super“, erzählt Betriebsrätin Silvia K.
Wozu Kultur vermitteln?
Besonders wenn Erwartungen nicht eingelöst werden (z.B. „Kunst ist schön“), kann Vermittlung dafür sorgen, dass Teilnehmerinnen nicht frustriert sind und dementsprechend negativ auf die Werke reagieren, sondern sich kritisch damit auseinandersetzen.
Vermittlungsprogramme können jedoch auch eine abschreckende Wirkung haben, nämlich dann, wenn das Angebot eines Vermittlungsprogrammes als Indikator für die Unverständlichkeit der Kulturveranstaltung interpretiert wird (Renz/Mandel. S. 4).
Im Programm der KulturlotsInnen wird dem entgegengewirkt, indem jede Veranstaltung mit einer Vermittlungsaktion verknüpft wird. Diese Kontinuität bewirkt auch einen Lerneffekt: Es fällt anfangs leichter, die KanalarbeiterInnen im Zuge der „Dritten Mann Tour“ zu ihrer Arbeit zu befragen, als den Leiter der Maskenwerkstatt im Burgtheater. Ist die Hemmung, vor der ganzen Gruppe eine Frage zu stellen oder eine Kritik anzumerken, einmal überwunden fällt es zunehmend leichter, sich aktiv an der Vermittlungsaktion zu beteiligen.
Allein im Jahr 2014 haben über 8.000 Personen an Veranstaltungen der ÖGB KulturlotsInnen teilgenommen, seit dem Projektstart 2009 konnte die TeilnehmerInnenanzahl jährlich um 10-20 Prozent gesteigert werden - und die Nachfrage ist weiter steigend.
Serie "Kunst und Kultur in der Erwachsenenbildung"
In einer Serie von Berichten, Interviews, Essays und programmatischen Beiträgen berichten Korrespondentinnen und Korrespondenten aus Verbänden, Netzwerken und Einrichtungen 2015 über die künstlerischen und kulturellen Aspekte von Erwachsenenbildung. In dieser Gemeinschaftsinitiative soll sichtbar werden, wie wichtig kreative Zugänge zur Welt und deren Aneignung sind. Bildung fungiert hier ebenso sehr als Kulturträger wie auch Innovator. Sie eröffnet Freiräume im Denken und Handeln, schafft Verständigung zwischen den Menschen und Kulturen und hilft uns Identität im Wandel zu begreifen und immer neu zu entwickeln. Alle Beiträge zur Serie finden Sie hier.
- KulturlotsInnen
- Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung
- Kunst und Kultur für alle
Nachricht vom 10.02.2012
Literatur:
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