Nachruf auf Ernst Koller (1952-2012)
Er begann seine pädagogische Tätigkeit als Lehrer in der Erwachsenenbildung, arbeitete im Schulversuch "integrierte Gesamtschule" und dann viele Jahre in einer berufsbildenden höheren Schule. Als Pionier der neuen Fremdsprachendidaktik in der Erwachsenenbildung führte er als Mitglied des Projektteams "Follow Me" den neuen kommunikativen Ansatz des Sprachlehrens ein, der auf die Lebensbedingungen der Lernenden besser einging (z.B. durch Interpretation von Lebensumständen in England oder von Beatles-Texten) und als Vorläuferprojekt zum derzeitigen gemeinsamen Referenzrahmen für Sprachen in Europa angesehen werden kann. Er war auch viele Jahre in der Lehreraus- und -fortbildung tätig.
In den frühen 80er Jahren suchte der politische Mensch Ernst Koller Anknüpfungspunkte in der vielschichtigen Landschaft der Parteien und Meinungsbildner. Als Student hatte er zwar manchmal mit den linken Gruppierungen auf Universitätsboden sympathisiert, hat sich aber immer kritisch auch zu diesen Entwicklungen geäußert. Schließlich setzte sich die Lehrerrolle bei ihm durch - und damit die sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen im pädagogischen Bereich. Auch dort gab es mächtige "Fädenzieher", denen man mit mehr Demokratieanspruch entgegentreten musste. Ernst tat dies nie mit dem Bewusstsein, selber Macht gewinnen zu wollen, sondern mit einer konsequenten Art, demokratische Prinzipien zu verteidigen und damit zu leben.
In diese Zeit fällt auch das "Projekt", gemeinsam mit Gleichgesinnten eine neue Schule für wirtschaftliche Berufe im 21. Bezirk aufzubauen. Das junge Team rund um die Expositurleiterin Viktoria Kriehebauer legte einen beachtlichen Start hin und die bald eigenständige Schule wuchs rasch und wurde später wegen ihrer besonders qualitätsvollen Ausbildung und ihrem speziellen Förderanspruch für Mädchen als Vorbild anerkannt. Ernst nahm in den Gründungsjahren als Englischlehrender eine konstruktive Rolle bei der Entwicklung des Lehrerteams ein, verabschiedete sich aber nach fünf Jahren von dieser Aufbauarbeit, da er sich bildungspolitisch verbreitern und auch in der Schulverwaltung etwas bewegen wollte.
Ab September 1988 war Mag. Ernst Koller als pädagogischer Referent der Abteilung für berufsbildendes Schulwesen im Stadtschulrat für Wien tätig und arbeitete drei Jahre lang mit dem Abteilungsleiter Horst Schön an wichtigen berufspädagogischen Projekten. Der Ansatz war, Reformen in das Schulwesen zu bringen und auf der Basis der Prinzipien egalitärer Gesellschaften echte Änderungen bis in die "Schulklassen" durchzusetzen. Damals entwickelte sich auch die konzeptionelle Linie, Überlegungen der Erstausbildung mit der Fort- und Weiterbildung zu verbinden, und Ernst Koller begleitete diese Entwicklung durch viele bildungspolitischen Projekte. Er war in seiner Rolle ein Unbequemer für die mächtigen Fraktionsbosse, der es allerdings verstand, innerhalb des Apparats der Schulverwaltung nach Veränderungen zu suchen, um diese auch erfolgreich werden zu lassen. Er war immer stolz darauf, nicht von einzelnen "wichtigen Kollegen" in Bezug auf seine Karriere abhängig zu sein. Aus diesen Jahren im Stadtschulrat stammten viele Konzepte und Programme, teils allgemeinpädagogischer, teils bildungspolitischer Natur.
Am 1. August 1991 wurde Mag. Ernst Koller als dienstzugeteilter Lehrer dem damaligen Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Sektion II, im Bereich schulwissenschaftliche Angelegenheiten und Wahrung von Osteuropakontakten zugewiesen. Im Dezember 1991 trug sein bildungspolitisches Engagement Früchte und er wechselte ins Büro des Herrn Bundesministers Dr. Rudolf Scholten für die Bereiche berufsbildende Schulen und Erwachsenenbildung. Die großen Herausforderungen in diesen Jahren waren die Durchsetzung einer echten Schulautonomie (14. Schulorganisationsgesetznovelle), der Beginn der Einrichtung ganztägiger Schulformen, der Integration, einer Fremdsprachenoffensive und der Neugestaltung der 9. Schulstufe. Scholten war sehr darauf bedacht, die Entwicklung im neuen Osteuropa zu begleiten, umfangreiche Internationalsierungsschritte einzuleiten - sehr unterstützt von seinem damaligen Büroleiter Dr. Anton Dobart - und die Schuldemokratie auszubauen. Genau um diese Themen kreisen viele bildungspolitische Papiere und Vorstöße, die Ernst Koller 1991 bis 1994 bearbeitet hatte.
1994, nach den Wahlen im Herbst, wurde Dr. Erhard Busek Unterrichtsminister und Dr. Scholten Wissenschaftsminister. Ernst Koller hätte im Kabinett "ins Wissenschaftsressort" mitgehen können, entschied sich aber dann, bei seinem Hauptanliegen, nämlich der Schule zu bleiben und übernahm das neu gegründete Zentrum für Schulversuche IV in Wien. Er konnte viele seiner Entwicklungsarbeiten dort weiter betreiben. In dieser Zeit wurden auch erste Überlegungen einer Strategie des lebensbegleitenden Lernens angestellt. Noch immer lesenswert ist dabei eine Publikation, die vom "Donaukreis", einer privaten parteinahen Zusammenkunft von Bildungsreformern unter Leitung von Anton Dobart im Frühherbst 1994 publiziert wurde und den Zusammenhang zwischen Erst- und Weiterbildung neu definierte.
Die politischen Zustände hatten sich mittlerweile geändert, auf die kurze Ressortleitung von Dr. Busek als Unterrichtsminister folgte 1995 Elisabeth Gehrer. Im Jahr 1997 wurde Ernst Koller mit der Leitung der Abteilung für Erwachsenenbildung betraut, die er bis 2012 leitete.
In diesen Jahren wurde die Förderpolitik der Institutionen der Erwachsenenbildung auf Basis mehrjähriger Leistungsvereinbarungen neu strukturiert, das BIFEB in Strobl als zentrale Begegnungsstätte vieler bildungspolitischer Aktivitäten weiter ausgebaut und Maßnahmen des Qualitätsmanagements in die Erwachsenenbildung eingeführt. Erste Überlegungen zur Weiterbildungsakademie der ErwachsenenbildnerInnen wurden gesetzt. Gerade 1997 wurde ein Gesetz zur Einrichtung einer völlig neu gestalteten Berufsreifeprüfung verabschiedet, das zu einem Erfolgsmodell für alle Bildungsinteressierten werden sollte. Ernst Koller war mit der Umsetzung betraut und konnte eine Reihe von Maßnahmen setzen, die dem neuen Modell einen entsprechenden Rahmen gaben. In gleicher Weise trat er für die erwachsenengerechte Hauptschulabschlussprüfung ein, ein Modell, dessen Realisierung lange verwehrt wurde und erst vor kurzer Zeit gesetzlich verankert werden konnte. In den entscheidenden Fragen des "Nachholens von Bildungsabschlüssen" gehen viele Initiativen auf Ernst Koller zurück, die in den letzten Jahren eine reiche Ernte bewirkt haben. Während seiner Zeit als Abteilungsleiter wurde der Staatspreis für Erwachsenenbildung neu konzipiert. Ein besonderes Anliegen waren Ernst Koller die internationalen Aspekte. So leistete er als österreichsicher Vertreter im Rahmen der EU, der OECD und des Europarates wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung der Erwachsenenbildung auf europäischer Ebene.
Im Juni 2006 wurde er überraschend mit einer schweren Krankheit konfrontiert, gegen die er mit Unterstützung seiner Frau Veronika sechs Jahre ankämpfte. Er haderte nie mit seinem Schicksal, blieb engagiert, lud Freunde ein, diskutierte über Musik, Literatur und Politik in allen Phasen dieser "neuen" Situation. Er ließ sich nie unterkriegen, und war bis zum Schluss ein wacher Geist und ein echter Humanist.
Was bleibt: Die europäische Perspektive der Erwachsenenbildung entwickelte sich zu einem Memorandum des lebensbegleitenden Lernens mit vielfältigen positiven Konsequenzen und vielen Meilensteinen, die Bildungswilligen aller Altersgruppen entgegen kommen. Das Bewusstsein dazu entstand ab Mitte der 90er Jahre und wird im europäischen Gleichklang noch viele Jahre wirken. Es ist zu hoffen, dass es in Österreich mit dem Namen von Ernst Koller in entsprechender Weise verbunden bleibt.
Christian Dorninger, Veronika Koller-Kreimel, Regina Barth
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