Anerkennung von Kompetenzen: Ein Zwiegespräch

20.12.2024, Text: Irene Cennamo, Bildungswissenschaflerin, und Doris Rottermanner, Kärntner Bildungswerk, Redaktion: Doris Rottermanner, Kärntner Bildungswerk/Ring ÖBW
Eine Erwachsenenbildnerin und eine Bildungsforscherin sprechen über Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Anerkennung informell erworbener Kompetenzen.
Zwei Sprechblasen
Irene Cennamo und Doris Rottermanner sprechen über die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen.
Foto: Pexels Lizenz, Miguel Á. Padriñán, https://pexels.com

Informell erworbene Kompetenzen sind für Bildungspolitik, Arbeitsmarkt, die Gesellschaft, aber auch für Individuen selbst oft unsichtbar. Diesem Thema widmete sich die Veranstaltung "Anerkannt! Fachtag - Vielfalt in der Green Community Education" - organisiert vom Verein inspire thinking im Oktober 2024. Irene Cennamo (Erwachsenenbildungswissenschaftlerin Universität Klagenfurt) und Doris Rottermanner (Erwachsenenbildnerin Kärntner Bildungswerk) thematisierten den erwachsenenpädagogischen Bildungsauftrag, informell erworbene Kompetenzen sichtbar zu machen und ihr Potential zur Stärkung von Communities zu entfalten. Außerdem sprachen sie über Problemlagen und Herausforderungen hinsichtlich einer Kompetenzvalidierung. Der Input fand in Form eines Dialoges statt (leicht abgeändert übernommen):

Informelles Lernen am Beispiel von (Green) Community Education

IRENE: Doris, wir verbringen so viel Zeit damit, über die Fähigkeiten nachzudenken, die wir in der Schule oder im Beruf lernen, aber was ist mit den Fähigkeiten, die wir fast zufällig erwerben? 

DORIS: Genau, zum Beispiel all die Dinge, die man durch Freiwilligenarbeit oder einfach durch die aktive Teilnahme an der Gemeinschaft lernt. 

IRENE: Es ist, als ob diese ganze andere Welt des Lernens direkt vor unserer Nase abläuft und wir es nicht einmal merken.

DORIS: Und genau deswegen schauen wir heute etwas genauer hin und tauchen ein in die Welt der informell erworbenen Kompetenzen - geleitet vom Konzept der Green Community Education (GCE). 

IRENE: Green Community Education. Das klingt interessant. Kannst du das genauer beschreiben? 

DORIS: Stell dir zum Beispiel Gemeinschaftsgärten vor, mit frischem Gemüse und Obst; oder Reparatur-Cafés, bei denen alten Geräten neues Leben eingehaucht wird. Oder ein Tag der offenen Gartentür, an dem sich Menschen aus der Gemeinde in Nachbarsgärten treffen und sich über Tipps und Tricks zum nachhaltigen Gärtnern austauschen. Dies sind alles Beispiele für Green Community Education in Aktion. Es geht darum, Menschen mit gemeinsamen Interessen und Zielen zusammenzubringen und gleichzeitig eine nachhaltigere Lebensweise zu fördern.

IRENE: Okay, es ist also gemeinschaftsorientiert, praxisnah und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Das ist klar. Aber was macht GCE so besonders? Was ist die Zauberformel? 

DORIS: Nun, eigentlich geht es weniger um Magie als um einige wirklich solide Prinzipien, wie etwa darum, Menschen eines Gemeinwesens  zu aktivieren, Koordination und Vernetzung zu forcieren sowie Partizipation und Selbstorganisation der Teilnehmenden zu fördern. Es geht also darum, an den Bedürfnissen des Gemeinwesens orientierte Bildungsangebote zu organisieren (nicht-formales Lernen), regionale Gruppen und Organisationen zu vernetzen, um schlussendlich gemeinsam zu handeln (informelles Lernen) – und das alles von Engagierten vor Ort getragen und unterstützt von gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildungseinrichtungen, wie jenen des Rings Österreichischer Bildungswerke. Und GREEN Community Education ist im Grunde eine thematisch spezifische Form, bei der es um die solidarökologische und nachhaltige Umsetzung von Anliegen eines Gemeinwesens geht.

Hintergrundinformationen zur Green Community Education gibt es unter Punkt 1 der „ergänzenden Erklärungen“ (PDF).

Herausforderungen bei der Anerkennung von Kompetenzen

IRENE: Okay, wir haben also Gemeinschaftsgärten, Repair-Cafés, Menschen, die neue Kompetenzen erlernen, Wissen teilen und zusammenarbeiten. Klingt großartig. Aber es stellt sich auch die Frage: Wenn niemand diese Kompetenzen formell anerkennt, zählen sie dann wirklich?

DORIS: Das ist wohl die Millionenfrage. Und sie führt zu einer noch größeren Frage: Wem nützt es, diese verborgenen Kompetenzen sichtbar zu machen? Es gibt zu denken: Übersehen wir eine Fülle von Talenten und Potenzialen, wenn wir keine Wege finden, diese Fähigkeiten anzuerkennen und zu validieren? Darüber sollte man auf jeden Fall nachdenken. Es ist, als würde man versuchen, den Wert von etwas zu erklären, das kein Preisschild hat. 

IRENE: Wie misst man zum Beispiel die Fähigkeit einer Person, eine Gemeinschaft zusammenzubringen, die komplexe Gruppendynamik zu steuern, die man in Freiwilligenorganisationen vorfindet, oder sogar ihr tiefes Verständnis lokaler Ökosysteme, das sie durch jahrelange praktische Erfahrung in einem Gemeinschaftsgarten erworben hat?

DORIS: Du hast Recht. Diese Fähigkeiten passen nicht genau in die traditionellen Schubladen von Lebensläufen und Bewerbungen. Und selbst Bildungsforscher*innen versuchen seit langem, eine klare Definition für informelles Lernen zu finden. Das macht Sinn, denn wie kann man jemandem eine Note oder ein Zertifikat dafür geben, dass er*sie beispielsweise weiß, wie man Konflikte in einem Gemeinschaftsgarten löst?

IRENE: Eben. Es stellt unsere traditionellen Methoden zur Bewertung von Wissen und Fähigkeiten in Frage. Es fühlt sich an, als ob man versucht, etwas Organisches und Dynamisches mit Instrumenten zu messen, die für etwas viel Starreres und Standardisiertes entwickelt wurden. Und genau daran scheitern viele der derzeitigen Ansätze. Selbst Rahmenwerke wie der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), der versucht, eine gemeinsame Sprache für den Vergleich von Qualifikationen zwischen verschiedenen Ländern zu schaffen.

DORIS: Oberflächlich betrachtet klingt das nach einer guten Idee, aber am Ende konzentriert man sich oft mehr auf die formale Bildung und Ausbildung, wodurch all die informellen Fähigkeiten, die durch gelebte Erfahrungen erworben wurden, in einer Art Schwebezustand bleiben. 

Hintergrundinformationen zu den Herausforderungen bei der Anerkennung von Kompetenzen gibt es unter Punkt 2 der „ergänzenden Erklärungen“ (PDF).

Anerkennungsmöglichkeiten

DORIS: Es ist, als bräuchten wir ein System, das versteht, dass jemand, der*die jahrelang Community Education organisiert hat, wahrscheinlich über sehr gute Organisations- und Führungsfähigkeiten verfügt, auch wenn er*sie keinen formalen Abschluss hat.

IRENE: Wie können wir also diese Lücke schließen? Wie können wir überhaupt anfangen, diese weniger greifbaren Fähigkeiten anzuerkennen, diese Erfahrungen, die uns prägen, aber vielleicht nicht mit einem Abschlusszertifikat versehen sind? 

DORIS: Zum Glück gibt es einige innovative Ansätze, und einer, den ich besonders interessant finde, ist die Dialogische Kompetenzerfassung vom Ring Österreichischer Bildungswerke. Dabei handelt es sich um eine „begleitete Selbsterkundung/Selbstbewertung“, bei der die Teilnehmenden im Gespräch mit zertifizierten Begleiter*innen oder Peers anhand einer detaillierten Beschreibung ihrer alltäglichen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten herausfinden, welche Kompetenzen dahinterstecken oder welche sie dabei erworben haben. Der Fokus liegt auf dem subjektiven Erkennen, wobei der Prozess der Kompetenzerfassung selbst als Lernprozess gilt. Im Mittelpunkt stehen somit Lernende und ihre Lernprozesse und nicht die Bewertungen von außen.

Hintergrundinformationen zur dialogischen Kompetenzerfassung gibt es unter Punkt 3 der „ergänzenden Erklärungen“ (PDF).

Das Dilemma der Kompetenz-Anerkennung

IRENE: Ich kann mir vorstellen, dass das eine große Hilfe sein kann, vor allem für Menschen, deren Fähigkeiten und Erfahrungen vielleicht nicht in die traditionellen Kategorien passen. 

DORIS: Das stimmt. Das Kompetenzportfolio hat sich als besonders wirkungsvoll erwiesen, da es zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund helfen kann, ihre Fähigkeiten zu präsentieren, wenn ihre früheren Erfahrungen in einem neuen Land nicht so leicht anerkannt werden.

IRENE: Es ist, als würde man ihnen eine Stimme geben, eine Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen und ihre Talente anzuerkennen, unabhängig von ihrem ökonomisch, sozio-kulturellen, genderbezogenen Hintergrund. 

DORIS: Ganz genau. Aber selbst bei diesen innovativen Ansätzen gibt es immer diese Spannung zwischen der Anerkennung des Wertes des informellen Lernens und dem Versuch, es zu messen, etwas zu quantifizieren und zu standardisieren, das von Natur aus kontextabhängig ist.

IRENE: Falk Rössler schreibt ja im Buch „Lebenslang lernen können“ auch, dass informelle Lernprozesse, insbesondere im Bereich der sozialen und personalen Kompetenzen, auch künftig kaum erfassbar und nicht eindeutig messbar sein werden.

DORIS: Dazu kommt auch, dass es letztlich keine verbindlichen (Rechts-)Ansprüche für die Anerkennung von informell erworbenen Lernleistungen gibt.

IRENE: Das Anerkennen von informellen Kompetenzen bleibt also ein ambivalentes Thema. Einerseits hat es das Potential, Fähigkeiten, die abseits klassischer Bildungswege erworben worden sind, vor den Vorhang zu holen und ihnen einen Wert zu geben. Die Umsetzung von Anerkennung bleibt aber ein schwieriges Unterfangen und die Vorteile in der realen Lebenswelt bleiben oft noch aus.

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