Partizipative Räume im Verein schaffen: Das Projekt Frauen Region Ehrenamt
Kathrin Rosenberger: Warum braucht es gerade jetzt ein Ehrenamtlichen-Projekt für Frauen in der Steiermark?
Isolde Seirer-Melinz: Frauen leisten wertvolle Arbeit in den steirischen Vereinen, das Spektrum reicht dabei von der regionalen Kultur über das Soziale bis hin zum Sport. Das ehrenamtliche Engagement findet in der Freizeit statt, neben dem Beruf und neben der täglichen Care-Arbeit. Es geht beim ehranamtlichen Engagement also immer auch um entsprechende Rahmenbedingungen, die es ermöglichen. Wir wollen also mit der Initiative Frauen Region Ehrenamt das Ehrenamt am Land wertschätzen und die vielen engagierten Frauen in den Regionen sichtbar machen.
Welche Ziele hat sich das Steirische Volksbildungswerk mit dem Projekt gesetzt und wieso ist es für die Gleichstellung wichtig?
Zum einen hat Corona die ehrenamtliche Arbeit in den Regionen maßgeblich beeinflusst. Vielerorts wird das kommunale Ehrenamt vor allem von Einzelpersonen getragen. Diese Menschen stellen sich nun nach zwei Jahren, in denen Veranstaltungen immer wieder abgesagt oder verschoben werden mussten, die Frage, wie es weitergehen kann. Wir sehen Diversität im Verein als Chance, um neue Handlungsoptionen zu entwickeln. Darüber hinaus geht es uns darum, Impulse zu setzen, um dem vielzitierten "Vereinssterben" entgegenzuwirken und Frauen als Mitglieder für Vereine zu gewinnen.
Zum anderen haken wir mit dem Projekt Frauen Region Ehrenamt bei der Gleichstellungsstrategie des Landes Steiermark ein. Gemäß einer Studie aus Deutschland sind Frauen derzeit in nur 10% der Vorsitze von Sportvereinen tätig. Frauen sind also in der Führungsebene von Vereinen eher die Ausnahme. Meist sehen sich Frauen in der Rolle der Schriftführerin oder der Jugendmanagerin und leisten als Vereinsmitglied wichtige Arbeit im Hintergund, sie helfen bei der Organisation von Veranstaltungen oder Ähnlichem. In Positionen wie etwa jener des Obmannes/Präsidenten/Kommandanten finden sich immer noch zum überwiegenden Teil Männer.
Warum hat das Steirische Volksbildungswerk für das Pilotprojekt gerade die Region Murau ausgewählt?
Den zentralen Ausgangspunkt des Projekts bildet die - wie schon angesprochen - neun strategische Themenfelder umfassende Gleichstellungsstrategie des Landes Steiermark.
Besonders im Blick steht dabei die Vision, wonach alle Menschen in der Region unabhängig von ihrem Geschlecht Rahmenbedingungen vorfinden, die ein selbstbestimmtes Leben und die Gestaltung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit in der Region ermöglichen.
Kurz gesagt: Fehlen die Perspektiven für junge Frauen, dann wandern sie ab. Fehlen die Frauen, fehlen die Familien, stirbt die Region... So auf den Punkt gebracht, gilt es also, dezentrale Strukturen zu stärken und die steirischen Regionen hinsichtlich ihrer Attraktivität in den Bereichen Bildung, Arbeit, Freizeit, Familie, Vereinbarkeit, Wohnraum, Mobilität und Infrastruktur zu erhöhen sowie Frauen zu ermutigen, sich kommunalpolitisch zu engagieren.
In der Region Murau gibt es ein sehr vitales Vereinsleben, das in viele der genannten Themenfelder hineinreicht. Das zeigen auch die murauerInnen in ihrer Broschüre "Wachsen lassen. Politik, Bildung, Blasmusik, Frauen, Murau" (PDF). Der Verein murauerInnnen hat in den letzten Jahren bereits wertvolle Arbeit zur Sensibilisierung geleistet, hier können wir mit unserem Projekt gut einhaken und eine nachhaltige Verankerung der Frauenförderung sicherstellen.
Sie arbeiten auf Basis der Community Education. Wie sieht das konkret aus?
Die Bildungsarbeit des Steirischen Volksbildungswerk und seiner Partner*innen in der Region, besonders die murauerInnen und das Regionalmanagement Murau Murtal, basiert auf dem Modell der Community Education, was so viel heißt, dass das Projektteam "bottom up" arbeitet. In einem ersten Schritt erheben wir die besonderen Bedürfnisse der Menschen in der Region und arbeiten regionale Spezifika heraus.
Auf Basis der Erhebung bilden wir Hypothesen, die wir im Juni in zwei World Cafés mit Akteur*innen aus der Region diskutieren. Durch das gemeinsame Erarbeiten innovativer Handlungsoptionen stärken wir das ehrenamtliche Engagement. Die Struktur des Vereins könnte etwa einen "geschützten Raum" zum Ausprobieren erster Führungserfahrungen bieten. Denn: Gelernte und praktizierte Handlungsmuster stehen gerade im Zuge der Coronapandemie massiv am Prüfstand. Daraus entsteht dann idealerweise ein gleichberechtigter Raum, in dem sich alle Menschen mit ihren individuellen Kompetenzen wiederfinden.
Gleichzeitig unterstützt das Projekt die tragende Rolle des gemeinwesenorientierten Ehrenamts. Abgeleitet aus den vorangegangenen Erfahrungen werden wir in einer Workshop-Reihe (Geschlechter-)Rollen im Verein sichtbar machen und neue Handlungsräume erarbeiten: vom Argumentationstraining bis zur Anwendung partizipativer Entscheidungsverfahren im Verein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Kathrin Rosenberger, BA MFA, die als pädagogische Referentin im Steirischen Volksbildungswerk tätig ist.
Mst.in Mag.a Isolde Seirer-Melinz, MSc ist Geschäftsführerin im Steirischen Volksbildungswerk.
- Projekt "Frauen Region Ehrenamt"
- Umfrage "Wieviel Ehre steckt im Amt" (für Menschen im Bezirk Murau, Stmk.)
- Gleichstellungsstrategie des Landes Steiermark zum Download (PDF)
- Broschüre "Wachsen lassen. Politik, Bildung, Blasmusik, Frauen, Murau" zum Download (PDF)
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