Mit Falschmeldungen auseinandersetzen - mehr als der Quellencheck

20.10.2021, Text: Johanna Urban, Uni Wien u. freiberufliche Trainerin, Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Quellen- und Faktenchecks gehören zu den Basics im Kampf gegen "Fake News". Doch wo können wir in der Erwachsenenbildung sonst noch ansetzen? Meine Erfahrungen als Trainerin. (Reihe: Stimmen aus der Praxis)
Falschinformationen rund um Covid-19 haben viele verunsichert.
Freepik-Lizenz, Social media vector created by pikisuperstar, www.freepik.com
Nicht zuletzt die Coronakrise zeigt uns: Falschmeldungen sind omnipräsent und niemand ist davor gefeit. Wenn ich mit Erwachsenen zum Thema Hass im Netz und Falschmeldungen arbeite, ist es mir besonders wichtig, die Teilnehmenden insbesondere zur Selbstreflexion anzuregen. Im Rahmen einer Übung zeige ich den Teilnehmenden verschiedene Bilder, die ich online gefunden habe und lade sie dazu ein, spontan darauf zu reagieren – würden sie das Bild teilen/weiterleiten, wenn es ihnen online unterkommt? Würden sie es mit einem "Like" oder einer anderen Reaktion (z.B. auf Facebook) versehen? Die Bildimpulse, die ich auswähle, stammen allesamt von Seiten, die häufig diskriminierende Inhalte oder Falschinformationen verbreiten. Die Teilnehmenden sehen aber nur das Bild ohne Kontext. Nun könnte man meinen, das sei eine eindeutige Sache, denn diskriminierende Inhalte oder Falschmeldungen erkennen viele doch sofort (zumindest sind die Teilnehmenden davon oft überzeugt ?). Jein!

 

Tatsächlich habe ich beobachtet, dass zwar offensichtlich fragwürdige Bildmotive häufiger Misstrauen wecken, die Teilnehmenden aber oftmals, ohne zu zögern, Inhalte weiterleiten oder mit einem "Like" belohnen würden, die im ersten Moment nicht problematisch erscheinen, deren Urheber*in oder Verbreiter*in jedoch sehr wohl kritisch beäugt werden sollte. Ein konkretes Beispiel zur Illustration: Viele von Ihnen haben im Jahr 2020 wahrscheinlich mehr online eingekauft als sonst, oft auch bei bekannten Internetriesen. Die Geschäfte vor Ort waren geschlossen und fielen um ihre Einnahmen. Schnell entwickelte sich ein Gegentrend: Es entstanden Datenbanken für lokale Onlineshops und häufig wurden Sujets auf Social Media geteilt, die dazu aufriefen, lokal einzukaufen. So weit, so gut!

Eine klare Message teile ich gerne?

Auch in meinen Seminaren arbeite ich gerne mit solchen Sujets. Dort ist dann beispielsweise zu lesen "shop local, boycott amazon". Häufig reagieren Teilnehmende sehr rasch positiv auf dieses Beispiel. Nun fragen Sie sich vermutlich, was daran falsch sein soll und was dies nun mit Falschmeldungen zu tun hat? Nun, im ersten Moment ist daran überhaupt nichts falsch. Das Problem liegt jedoch im Ursprung des Postings: Während der Inhalt des Sujets harmlos daherkommt, verstecken sich hinter derartigen Posts häufig fragwürdige Seiten, die oftmals diskriminierende Inhalte und Falschinformationen verbreiten.

 

Mit harmlosen Sujets wie dem oben beschriebenen versuchen sie, Menschen auf ihre Seite zu locken und ihre Reichweite zu erhöhen. "Shop local" ist in aller Munde, viele haben eine Meinung dazu, die sie anderen online mitteilen möchten. Von den Klicks und Shares profitieren dann aber häufig Seiten, die man bei näherer Betrachtung nicht unterstützen würde. Einerseits wird so also die Reichweite der Seite verstärkt, gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mir durch den Algorithmus in Zukunft andere Inhalte dieser oder ähnlicher Seiten vorgeschlagen werden. Natürlich haben die Teilnehmenden in der Übung keine unmittelbare Möglichkeit, den*die Urheber*in zu eruieren oder nachzuvollziehen, von welcher Seite das Sujet z.B. in Umlauf gebracht wurde. Dennoch lässt sich diese Dynamik, dass Menschen impulsartig Dinge teilen, ohne den Kontext einzubeziehen, online sehr häufig beobachten.

Was lässt sich daraus für die Erwachsenenbildung ableiten?

Kurz innehalten!

Insbesondere in schnelllebigen virtuellen Umgebungen lohnt es sich, kurz innezuhalten und zu recherchieren, bevor man Inhalte impulsiv teilt oder Likes vergibt. Gerade bei emotional aufgeladenen Themen gilt dies umso stärker.

 

Über die Schlagzeile hinauslesen!

Haben Sie sich auch bereits einmal dabei ertappt, wie Sie einen verlinkten Beitrag geteilt haben, obwohl sie nur die Schlagzeile und gegebenenfalls den eingeblendeten Vorschautext überflogen hatten? Keine Sorge, Sie sind nicht allein – oftmals werden Inhalte geteilt, obwohl sie leicht als unrichtig identifiziert hätten werden können (siehe Pennycook/Rand 2021). Darum sollte auch hier angesetzt werden. Denn hinter reißerischen Schlagzeilen verstecken sich allzu oft Websites, die nur darauf abzielen Werbeeinnahmen zu generieren oder fragwürdige Inhalte zu verbreiten.

 

Eigene Bias hinterfragen!

Gerade im Bereich der kognitiven Psychologie wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien veröffentlicht, die zeigen, wie unsere Voreingenommenheit die Rezeption von Informationen beeinflussen kann. So neigen wir eher dazu Informationen zu glauben, wenn sie von unserem näheren sozialen Umfeld geteilt werden oder konsumieren Informationen, die unsere eigenen Vorstellungen bestätigen. Auch diese Dynamiken sollten besprochen werden (siehe z.B. Weber/Knorr 2020; Brodnig 2017).

 

Algorithmen und Funktionsweisen von Social Media verstehen!

Hiermit bin ich eigentlich auch schon beim – aus meiner Sicht – aktuell relevantesten Punkt angelangt: dem Verständnis wie Algorithmen beeinflussen, was wir online zu sehen bekommen und dies insbesondere auch vorgeschlagene Inhalte betrifft (siehe dazu z.B. Fry 2019). Damit einhergehend gilt es zu vermitteln, dass soziale Medien kein wertfreier demokratischer Raum sind. Sie ermöglichen uns zwar Austausch und Teilhabe, aber schlussendlich handelt es sich um Unternehmen, die ein Interesse an unseren Daten haben (Stichwort Cambridge Analytica!) und von Inhalten mit großer Reichweite profitieren.

 

Es ist also wichtig, nicht nur das Hinterfragen von Quellen aufzugreifen, sondern auch die zugrundeliegenden Mechanismen und Interessen zu begreifen und individuelle Prädispositionen in den Blick zu nehmen. Anregungen, wie dies gelingen kann, finden sich hier - im Dossier Kritische Medienkompetenz von erwachsenenbildung.at.

 

Johanna Urban ist Mitarbeiterin am Zentrum für Lehrer*innenbildung (Arbeitsbereich Didaktik der Politischen Bildung) der Universität Wien und freiberuflich als Trainerin und Vortragende (on- und offline) tätig.

 

Dossier Kritische Medienkompetenz

Das Dossier "Kritische Medienkompetenz" bietet einen Überblick über die Konzepte und Grundlagen und beleuchtet relevante Schwerpunkte für die Praxis der Erwachsenenbildung. Neben Fachbeiträgen versammelt das Dossier auch Stimmen aus der Praxis. Zum Dranbleiben lädt eine begleitende Nachrichten-Serie mit aktuellen Beiträgen interner und externer AutorInnen ein.

Weitere Informationen:
Creative Commons License Dieser Text ist unter CC BY 4.0 International lizenziert.

Verwandte Artikel