Bee_Com[e] erprobt neue Angebote: Erfolge und Erkenntnisse aus drei Modulen
Eine Lernbiografie des Scheiterns in Zuversicht umkehren
Basisbildung bedeutet nicht nur das (Wieder-)Erlernen von Grundkenntnissen in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen, Computerbeherrschung und Alltagsenglisch. Basisbildung begegnet Menschen, die in ihrer Lernbiografie Erfahrungen des Scheiterns und Abwertungen erlebt und diese verinnerlicht haben. Der negativ gefärbte Bick auf sich selbst als Lernende fokussiert sich dabei häufig auf den Kontext Schule, Schulwissen und Bildung. Non-formal und informell erlerntes Wissen ist in der Lage, eine selbstermächtigende Wirkung zu entfalten. Dazu muss man die Aufmerksamkeit darauf lenken, den Blick dafür schärfen und die entstandenen Kompetenzen würdigen. So kann es sein, dass eine Teilnehmerin sagt: "Ich kann mir nichts merken, mein Gedächtnis ist schlecht, das war in der Schule schon so, ich war einfach blöd", dabei aber gänzlich übersieht, dass sie neben ihrer Muttersprache auch Deutsch in Wort und Schrift versteht und sich unmissverständlich in Deutsch ausdrücken kann. Die Erfahrung des Scheiterns in Zuversicht umzukehren, war eine besondere Herausforderung im Kurs, da sich ein lang gehegtes negatives Urteil nur mit Zeit und Achtsamkeitsübungen verändern lässt. Daher sahen die Kursgestaltenden es als großen Vorteil, dass die Kurse über einen langen Zeitraum und in dieser Intensität stattfinden konnten.
Blick auf die Erfolge und das Positive
Um das verinnerlichte, negative Urteil zu ändern, braucht es Training im "Blick auf die Erfolge und das Positive" und dafür braucht es Zeit, um den Ernst der Veränderung zu vermitteln. Denn häufig erleben BasisbildnerInnen, dass TeilnehmerInnen in der Basisbildung auch ihre Erfolge als unbedeutend abwerten. "Das kann doch jede/r" bedeutet aber nicht, dass es kein persönlicher Erfolg ist. Ebenso werden Fertigkeiten, die im Lauf des Kurses erworben wurden und die leicht von der Hand gehen, wie zum Beispiel E-Mailschreiben mit Anhang oder Formatieren in Word, manchmal von den Teilnehmerinnen rasch als selbstverständlich und daher unbedeutend angesehen. Aber wenn etwas leicht geworden ist, ist es trotzdem eine persönliche Errungenschaft und ein Erfolg, lernen die Teilnehmerinnen. Die Teilnehmerinnen von Bee_Com[e], die zwei bis drei Module besuchten, hatten durch die Zeit und das intensive Training die Möglichkeit, diesen Blick auf sich selbst zu ändern, die eigenen Stärken und Kompetenzen zu erkennen und darauf aufbauend die Perspektive auf eine erfüllende Erwerbs- und Arbeitstätigkeit zu ermöglichen.
Bedeutung von körperlicher Bewegung für die Gesundheit erfahren
Beim Entwickeln eines Pilotprojekts bietet sich die Möglichkeit Methoden und Settings auszuprobieren, die im Alltagstraining nicht möglich sind. Im Falle von Bee_Com[e] wurde das Curriculum um kreative, politische und Bewegungsinhalte bereichert. In allen drei Modulen wurde am Beginn des Trainings eine ca. 20-minütige Bewegungseinheit durchgeführt. Basis waren einfache Yoga-Übungen ergänzt durch Dehnung, Tanz oder Koordinationsübungen. Auch wenn regelmäßige körperliche Ertüchtigung aber wahrscheinlich ein Gruppenerlebnis bleibt, da die Teilnehmerinnen in den Zeiten zwischen den Modulen ihrem persönlichen Anspruch an Bewegung nicht nachgekommen sind, zeigten sich Erfolge. Die Teilnehmerinnen haben die Bedeutung von Bewegung erkannt und einige gesundheitliche Probleme wie Verspannungskopfschmerz oder Kreuzschmerzen konnten dadurch gelindert werden.
Geschlechterrollen hinterfragen und ändern
Politische Bildung wird in der Basisbildung als eigener und wichtiger Inhalt gesehen und anerkannt. Basisbildung erhebt den Anspruch Teilhabe sowohl am Erwerbsleben als auch am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und zu verbessern. Einige Erfahrungen aus Bee_Com[e] sprechen außerdem dafür, dass auch der Lernerfolg – speziell in den Bereichen der Selbstwirksamkeit und Berufsorientierung – davon profitiert. Gearbeitet wurde in Bee_Com[e] insbesondere zu Themen wie Medienkompetenz, Geschlechterrollen und Gleichstellungspolitik und der Situation von Frauen und Bildung weltweit. Die Erkenntnis, dass Berufsmöglichkeiten, Bildungsbiografien, Einkommen und sogar private Verhältnisse wie Aufgaben- und Arbeitsverteilung in der Familie und damit auch Bildungs- und Lernchancen gesellschaftlich und politisch bedingt sind, erweitert die subjektiv wahrgenommenen Handlungsspielräume. Die Wahrnehmung, dass Frauen und Männer ihr Verhältnis zueinander nicht unabhängig von einem gesellschaftlichen Kontext gestaltet haben und dass es weiterhin auch gestaltet werden kann, bringt Bewegung in die Konzepte und die tatsächlichen Beziehungen und Verhältnisse: Eine Teilnehmerin erzählte etwa, dass sie die traditionellen und geschlechtsspezifischen Rollenbilder und damit verbundenen Arbeitsaufteilungen in der Familie, die bislang unreflektiert gelebt wurden, anders wahrnehmen konnte. Die Folge war, dass die bereits halbwüchsigen Kinder – zu deren großem Erstaunen – mit Haushaltsaufgaben betraut wurden, vor allem auch der Sohn mit "typischen Frauenarbeiten" wie Staubsaugen. Nachdem die Arbeiten verteilt waren, fragten die Kinder die Mutter: "Und was machst du jetzt?" "Ich lese jetzt die Zeitung!", antwortete die Mutter.
Kreativer Ausdruck als Lernstimulus für das Gehirn
Ein mehrtägiger Workshop zu Stimme, Atem, Artikulation und Auftreten förderte die Sicherheit beim Sprechen vor Publikum, beim Bewerbungsgespräch oder für den KundInnenkontakt im künftigen Arbeitsleben. Es half aber auch beim Erlernen von Deutsch, und die Kursgestalterinnen konnten im Kurs die Erfahrung machen, wer ein Wort bis zur letzten Silbe beim Lesen ausspricht macht weniger (Fall)Fehler und hörte, wie schön sich das anhört. Das gemeinsame Singen, auch von englischen Liedern, hat allen viel Spaß gemacht und förderte Lebenslust und Lernfreude, berichteten Teinehmerinnen wie Kursleiterinnen.
In einem mehrtägigen Filmworkshop lernten die Teilnehmerinnen viele Berufe vor und hinter der Kamera kennen. Vom Drehbuchschreiben über Licht, Kamera, Ton und Klappe bis hin zur schauspielerischen Darstellung übten sich die Teilnehmerinnen in vier Workshops in kreativem filmischen Gestalten. In den Workshops hatten die Frauen die Möglichkeit, sich mit der eigenen (Lern-)Biografie, der Persönlichkeit, den Wünschen und Zielen in künstlerischer Form auseinander zu setzen. Mache Übungen galten auch dem Zusammenwachsen als Team und dem Erkennen von persönlichen Grenzen und Grenzüberschreitungen. Ohne viele Worte lernten sich so die Frauen kennen und zusammen zu arbeiten.
Lernen in der Coronakrise
Corona kam auch für das Pilotprojekt Bee_Com[e] unerwartet und zwang alle Kursbeteiligten ins Distance Learning, was gut gelang. Im dritten Modul waren alle Frauen schon so versiert im Umgang mit Bildschirm teilen, Breakout Sessions und kommentieren am Whiteboard, Padlet und Edu Pad, dass sie sich in der Lage sehen, auch an weiteren Bildungsmaßnahmen oder Bewerbungsgesprächen online teilzunehmen. Was aber durch die Corona bedingte Situation besonders trainiert wurde, war Durchhalten und nicht aufzugeben. Vieles, was geplant war, wie Praktika in Betrieben und Unternehmensbesuche, konnte nicht verwirklicht werden. Und die täglichen Nachrichten über die wirtschaftlichen Entwicklungen und die steigende Zahl der Arbeitslosen aber auch die privaten Probleme der Frauen, die sich in dieser Zeit, wie bei vielen in der Gesellschaft verschärften, waren auch für die Teilnehmerinnen des Kurses eine große Belastung. Trotzdem hat keine Frau den Kurs frühzeitig verlassen. Jede bündelte ihre Kräfte und im Zusammenhalt des Teams motivierten sich die Teilnehmerinnen bis zum Ende mitzumachen. Allein das sehen die Kursbeteiligten als Erfolg und als Ergebnis des veränderten Blicks auf Erfolge und Positives.
Lernen braucht Raum
Das Projekt konnte zeigen, dass ausreichend Raum fürs Lernen weitreichende Erfolge bringen kann: Lernen braucht Raum für Zeit, Miteinander, Beziehung, Vertrauen, Teamgeist, Vorbild, Führung, Motivation, Ort und Infrastruktur. Es braucht Raum, um zeitgemäße Inhalte zu vermitteln und komplexe Zusammenhänge erkennbar zu machen. Es braucht Raum für Bewegung, Kunst und Kultur und wohlwollende Förderung durch persönliche Forderung. Nur so können Lerngelegenheiten entstehen, die den Prinzipien der Basisbildung folgen, über Grundfertigkeiten hinaus gehen und letztlich Teilhabe ermöglichen.
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