Health Literacy für “vulnerable” Zielgruppen: Beispiele guter Praxis
Health Literacy und Basisbildung/Literacy
Gesundheitskompetenz wird nach Auskunft von Peter Nowak (Gesundheit Österreich GmbH) im deutschsprachigen Raum synonym mit dem Begriff Health Literacy verwendet, der Definition von Sörensen et al. folgend. Studien seit den neunziger Jahren belegen laut Gesundheit Österreich GmbH Zusammenhänge zwischen Basisbildung (Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten) und Gesundheit. Unterdurchschnittliche Gesundheitskompetenz zeigt sich, wie Christine Dietscher konstatiert, insbesondere bei schlechter Gebildeten, chronisch Kranken und Älteren ab 65.
Im Bildungssystem wird das Potenzial gesehen, die Gesundheitskompetenz zu verbessern. Dies scheint auch dringend notwendig zu sein, wenn man Ulla Sladek vom Frauengesundheitszentrum in Graz folgt: "Leider ist der Großteil der Gesundheitsinformationen, die wir über die Medien erhalten, verzerrt oder falsch: An die 60% der Artikel in österreichischen Medien stehen im krassen Gegensatz zum aktuellen Stand der Wissenschaft, wie ForscherInnen des Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie an der Donau-Universität Krems herausgefunden haben."
Intervention
2013 hat das Frauengesundheitszentrum Graz eine Übersicht über Angebote zur Förderung der Gesundheitskompetenz im Bereich Information, Beratung und Schulungen erstellt. Laut Auskunft des Frauengesundheitszentrums existiert keine neuere Übersicht. „Bei Erwachsenen geht es vor allem darum, sehr gezielt auf besonders vulnerable Gruppen zuzugehen, dazu zählen nicht deutschsprachige, bildungsferne Personen, ältere Personen, Menschen mit Mehrfachbehinderungen etc." so Peter Nowak. Da ein klarer Zusammenhang von gesundheitlicher und sozialer Ungleichheit (die sich nach Mielck in den Parametern Beschäftigung, Einkommen und Bildung manifestiert) nachweisbar ist, setzen Maßnahmen immer wieder an Erwachsenen mit geringer Basisbildung an. Peter Nowak sieht „in diesem Zusammenhang die wichtige Grundlage der Bekämpfung von funktionalem Analphabetismus, da dieser fast jeden Zugang zu Gesundheitsinformationen behindert."
Die Kärntner Volkshochschulen: Angebote für Privatpersonen und für Health Professionals
Projekte in diesem Kontext werden häufig von Erwachsenenbildungseinrichtungen vorangetrieben, einige Beispiele werden hier stellvertretend vorgstellt. Die Kärntner Volkshochschulen setzten zwei entsprechende Projekte um: Eines davon, „werd aktiv, bleib gesund" entwickelte ein umfassendes Bildungsangebot für Personen mit nicht ausreichender Basisbildung mit dem Schwerpunkt Gesundheit. Das Projekt „Alpha-Power im Gesundheitsbereich" war ein Angebot für MultiplikatorInnen aus dem Pflegebereich, den medizinisch-technischen Berufen, dem medizinischen Bereich und aus dem Verwaltungsbereich des Gesundheitswesens.
ISOP GmbH – Fokus auf den zweiten Arbeitsmarkt
Die ISOP GmbH in Graz hat 2009 bis 2011 ein Projekt zur Gesundheitskompetenz in der Basisbildung durchgeführt und im Anschluss daran eine Fokussierung auf den 2. Arbeitsmarkt vorgenommen. „Ein Schwerpunkt entwickelte sich aus der Fragestellung, wie man vulnerable Zielgruppen erreicht und Angebote entwickelt, die von deren Bedürfnissen ausgehen.", wie Projektleiter Rainer Saurugg festhält. Gerade bei Menschen mit geringer Basisbildung bringt die Fokussierung auf den Informationsaspekt wenig, führt Saurugg weiter aus, entscheidend ist die Niederschwelligkeit des Angebotes und das Erkennen der Motive der Zielgruppe.
Gesundheitskompetenz unter Gender-Perspektive: Frauengesundheitszentrum
Das Frauengesundheitszentrum stellt im Bereich Gesundheitskompetenz Angebote für Privatpersonen zur Verfügung, unterstützt aber auch Fachpersonen und Einrichtungen des Gesundheitswesens und begleitet sie bei ihrem Weg zu einer gesundheitskompetenten Organisation. „Eine gesundheitskompetente Organisation zeichnet sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie verständliche, evidenzbasierte und nützliche Informationen bereitstellt." konstatiert Ulla Sladek vom Frauengesundheitszentrum.
Genderrelevante Perspektiven spielen für das Frauengesundheitszentrum eine wichtige Rolle in allen Health Literacy-Angeboten. Diese Einrichtung ist Mitglied der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz und hat gemeinsam mit einem Redaktionsteam die „Gute Gesundheitsinformation Österreich" herausgegeben. „Das Dokument richtet sich an alle, die Gesundheitsinformationen in Auftrag geben, verfassen und vermitteln und evidenzbasierte, geschlechtergerechter Gesundheitsinformation weitergeben wollen." so Sladek.
Health Literacy und Migration: IKEMBA
Menschen mit Migrationshintergrund aus sozial schwachen Gruppen gelten als „hard-to-reach" Gruppen, was die Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention anbelangt. In diesem Kontext arbeitet das Projekt HEL4everyone „zur Förderung der Gesundheitskompetenz von "hard-to-reach-Gruppen" und der interkulturellen Öffnung im Gesundheitswesen" der Organisation IKEMBA arbeitet an der gelingenden Interaktion zwischen MigrantInnen und Health Professionals, indem auch systembedingte Zugangsbarrieren adressiert werden. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Gesundheitskompetenz schwer erreichbarer Menschen zu fördern und zu gelingenden interkulturellen Interaktionen im Gesundheitswesen beizutragen.
Geringe Basisbildung – „hard to reach"
Menschen mit geringer Basisbildung gelten sowohl im Gesundheitsbereich als auch im Bildungskontext als spezielle Zielgruppe, da sie mit Bildungsangeboten besonders schwer erreichbar sind. Auch Angebote zur Steigerung der Gesundheitskompetenz werden wenig angenommen, wenn sie sehr informationsorientiert sind. Da diese Gruppe auch im Kontext von Health Literacy als besonders vulnerable Gruppe gelten, wäre gerade hier ein intensiveres gemeinsames Vorgehen des Gesundheits- und Bildungssystems sinnvoll.
- Health Literacy: Eine weitere Kompetenz, die man messen könnte?
Nachricht vom 20.12.2017 - Gesundheitskompetenz: Definition der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz
- Health Literacy Survey 2016
- Ikemba: Angebot zur Gesundheitsförderung
- Angebote zur Förderung von Gesundheitskompetenz in Österreich (PDF)
- Christina Dietscher: Gesundheitskompetenz – Bedeutung und Relevanz (PDF)
- Ludwig Boltzmann Institut: Gesundheitskompetenz messen und fördern
- Health literacy and public health: A systematic review (PDF)
Literatur:
- Andreas Mielck (2012): Soziale Ungleichheit und Gesellschaft. Empirische Belege für die zentrale Rolle der schulischen und beruflichen Bildung. In: Brähler, Elmar et al. (Hrsg.): Gesund und gebildet. Voraussetzungen für eine moderne Gesellschaft. Vandenhoeck und Ruprecht 2012, S. 129-145.
Verwandte Artikel
Erwachsene in reichen Ländern nehmen häufiger an Weiterbildung teil
Außerdem nehmen die digitalen Skills in den meisten Ländern zu. Dies geht aus dem aktuellen Weltbildungsbericht der UNESCO hervor.Wissenschaft vermitteln: Welche Möglichkeiten bietet Erwachsenenbildung?
38% der Österreicher*innen vertrauen dem gesunden Menschenverstand mehr als der Wissenschaft. Wie kann Erwachsenenbildung dieser Skepsis begegnen?Gesundheitsinformationen zu überprüfen, fällt in Österreich vielen schwer
Außerdem weisen Personen ab 60 Jahren und ohne Matura die geringste Gesundheitskompetenz auf. So das Ergebnis einer Erhebung zur psychosozialen Gesundheitskompetenz.Wie Lehrende mit Widerstand und Emotion in der Klimabildung umgehen können
In der Bildungsveranstaltung soll es um Klimawandel und Klimaschutz gehen. Schnell zeigen sich feste Positionen: Den einen geht Klimaschutz nicht weit genug, die anderen wollen davon nichts wissen. Was können Lehrende tun?Der Ökologische Fußabdruck ist für die Klimabildung nicht immer hilfreich
Klimaschutz ist wichtig, aber der eigene Ökologische Fußabdruck ist viel zu groß? Frustrierend! So geht es vielen. Klimabildung braucht daher Raum für Widerspruch und Reflexion und ein Denken weg von Defiziten hin zu Potenzialen.Fernsehpreis der Erwachsenenbildung verliehen
Die prämierten Sendungen beschäftigen sich mit Fake News im Kaisertum Österreich, einer modernen Romeo-und-Julia-Geschichte, Bodypositivity und der Geschichte eines Bildungshauses.