"Irgendwie schmeckt das echter"

14.09.2012, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Warum ist der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache so besonders? (Serie: Fremdsprachendidaktik heute, 5)
Petra Eyawo-Hauk unterrichtet Deutsch-als-Zweitsprache (DaZ) beim Verein DANAIDA in Graz; Thomas Fritz ist Leiter des lernraum.wien (VHS) und ebenfalls DaZ-Lehrender. Beide verraten im Interview, was ihre Tätigkeit so besonders macht, mit welchen Herausforderungen Lernende und Lehrende zu kämpfen haben, und warum Deutsch nicht alles ist. (5. und letzter Teil der Serie "Fremdsprachendidaktik heute)

Lernen für das Leben
Im Gegensatz zu Thomas Fritz hat Petra Eyawo-Hauk den Weg in die DaZ-Lehre aktiv gesucht. Spannend und herausfordernd finden ihren Beruf aber beide. Eyawo-Hauk über die spezifischen Anforderungen des DaZ-Unterrichts: "Die Arbeit mit Erwachsenen finde ich so besonders, weil diese sehr genau wissen, was sie wollen und brauchen - und ich es sehr spannend finde, Lernumgebungen zu entwickeln, die den LernerInnen ermöglichen, ihre Ziele zu erreichen. Eine Zweitsprache zu 'unterrichten' bedeutet, dass ich bis zu einem gewissen Sprachniveau teilweise Unterstützung - sprich Dolmetscherinnen für die Kommunikation - brauche, um  Kompetenzen zu erheben, Ziele zu vereinbaren, komplexe Themen zu besprechen oder Lernprozesse zu reflektieren." Beide PraktikerInnen sehen den DaZ-Unterricht aber nicht nur als reinen Sprachunterricht, sondern als umfassenden Lernprozess. Fritz betont, dass die Lernenden in DaZ-Kursen ja nicht nur "eine Sprache lernen wollen/müssen, sondern viele andere Dinge des Lebens." Das unterscheide den DaZ- vom "klassischen" Fremdsprachunterricht, auch weil die Lernenden ihren Alltag teils in der Zielsprache bestreiten müssen - aber "irgendwie schmeckt das echter", meint Fritz.

Druck behindert Lernfortschritt
Der Umstand, dass die Lernsprache auch Alltagssprache des Aufenthaltslandes ist, kann das Lernen erleichtern. Gleichzeitig lassen sich im DaZ-Unterricht aber auch eine Vielzahl hemmender Faktoren feststellen, die in anderen Kurssituationen eher weniger gegeben sind. "Wir haben im DaZ-Bereich sehr viel damit zu tun, dass Menschen verpflichtet werden Deutsch zu lernen und dieser Druck das Lernen nicht fördert", klagt Fritz. Er berichtet auch von Asylsuchenden mit Fluchttraumata, von TeilnehmerInnen mit Existenzängsten und hoher Arbeitsbelastung, um die Familie versorgen zu können. "Viele der Menschen arbeiten sehr viel und sind dann im Kurs rechtschaffen müde." Ähnliche Erfahrungen hat auch Eyawo-Hauk gemacht: "Nicht alle TeilnehmerInnen haben mit Schwierigkeiten zu 'kämpfen', aber aufgrund der rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie ihres physischen und/oder psychischen 'Zustands', und auch aufgrund ihrer Bildungsbiografie stehen einige vor großen Herausforderungen, die Lernprozesse beeinträchtigen und somit dazu beitragen, dass für einige TeilnehmerInnen das Erlernen der Sprache oft ein sehr schwieriger und langwieriger Prozesse ist und dass nicht alle das Sprachniveau erreichen, das sie gerne erlangen wollen."

Problemfeld Dialekt
(Bildungs-)biografische Faktoren sind individuell und höchst unterschiedlich. Eine Schwierigkeit erfahren aber sicherlich alle DaZ-Lernenden, nämlich die Diskrepanz zwischen der deutschen Hoch- und Schriftsprache einerseits, und den verschiedenen Dialektformen andererseits. DaZ-Lehrende müssen diese Unterschiede daher auch im Unterricht behandeln. Eyawo-Hauk betont, dass sie ihren Kursteilnehmerinnen vor allem die Angst vor dem Nicht-Verstehen nehmen will: "Wichtig ist für mich auch ihnen zu sagen, dass es in der Zweitsprache nicht möglich ist, immer alles zu verstehen und dass auch  ErstsprachlerInnen immer wieder in Situationen kommen, wo sie nicht alles verstehen." Insgesamt seien die verschiedenen Sprachvarianten anfangs sehr herausfordernd für ihre KursteilnehmerInnen. Eigene Dialektkurse hält sie dennoch für nicht besonders sinnvoll:  "Welcher Dialekt, für wen, wann, wo?"

ExpertInnen der eigenen Situation
Sowohl Eyawo-Hauk als auch Fritz haben sich privat und beruflich dem Lebenslangen Lernen verpflichtet. Eyawo-Hauk behauptet von sich selbst: "Ich bin immer auch Lernende und habe einiges dazu gelernt." Und auch Fritz hält sich für einen fähigeren Lehrer als zu Beginn seiner Karriere: "Sicherlich bin ich heute besser als damals, vor allem aber, weil ich die Lernenden besser wahrnehmen kann." Das bedeute unter anderem, die Lernenden "nicht als defizitäre Menschen", sondern als "ExpertInnen ihrer eigenen Situation" zu sehen. Der DaZ-Unterricht beider PraktikerInnen orientiert sich darum auch stark an den jeweiligen Kompetenzen und Zielsetzungen der Lernenden. Dennoch sei der DaZ-Unterricht in gewisser Hinsicht auch Empowerment, das zu Mündigkeit und Eigenständigkeit sowohl im Leben als auch im Lernen hinführen solle. "Grundsätzlich sehe ich es als meine Aufgabe, den LernerInnen jenes Handwerkszeug mitzugeben, das sie befähigt es anzuwenden und ab einem gewissen Punkt selbständig weiter zu lernen", sagt Eyawo-Hauk. Thomas Fritz und Petra Eyawo-Hauk sehen ihre Rolle demnach weniger in der traditionellen Lehre, denn darin, ihre KursteilnehmerInnen auf dem Lernprozess zu begleiten.

Zu den Personen
Thomas Fritz ist seit 1977 in der Erwachsenenbildung tätig, und hatte unter anderem Positionen als Kursleiter an Wiener Volkshochschulen, Lehrbeauftragter an den Universitäten Linz, Klagenfurt und Wien, sowie im Kuratorium des Österreichischen Sprachendiploms (ÖSD) inne. Derzeit ist er Vorsitzender des Kuratoriums des Vereins ÖSD und Leiter des lernraum.wien.

Petra Eyawo-Hauk ist langjährige Mitarbeiterin beim Verein DANAIDA in Graz und zuständig für Deutschkurse, Basisbildung und Alphabetisierung von Migrantinnen. Sie hat unter anderem den Hochschullehrgang "Deutsch als Fremdsprache" absolviert und in der Lernprozessbegleitung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gearbeitet. 2006 initiierte sie das Projekt AGALA - "AsylwerberInnen in Gartenbau und Landschaftspflege".
Weitere Informationen:

Serie: Fremdsprachendidaktik heute