Streiten will gelernt sein

13.06.2025, Text: Antonia Unterholzer, Redaktion/CONEDU
Demokratie und Streit sind enger miteinander verbunden, als man denkt. „Streiten“ im Sinne eines respektvollen Umgangs mit verschiedenen Meinungen kann in Veranstaltungen der Erwachsenenbildung gelernt werden.
Frau schreit mann mit Megafon an.
Demokratie lebt von Meinungsfreiheit, Austausch und Diskussion.
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Eine Situation, die uns allen bekannt sein dürfte: In geselliger Runde kommt ein kontroverses Thema wie Flucht, Asyl oder Feminismus auf – die Stimmung kippt, Emotionen steigen. Wir schweigen, um die Harmonie zu wahren und Streit zu vermeiden. Auch in Lehr- und Lernsettings nehmen Lehrende und Teilnehmer*innen Konfliktgespräche oder Streits zumeist als Störfaktor wahr. Dabei sind Debatten unverzichtbares Element eines demokratischen Miteinanders: „Demokratie, das ist Streit, Diskurs und das Aushalten anderer Meinungen“, meint der israelisch-deutsche Psychologe Ahmad Mansour. Die Erwachsenenbildung bietet Möglichkeiten, um „streiten“ zu lernen und Konflikte produktiv zu machen.

Meinungsfreiheit, Konflikt und Streit als zentrale Elemente von Demokratie

Wenn Menschen mit unterschiedlichen Ansichten aufeinandertreffen, sind Meinungsverschiedenheiten unvermeidlich. Meinungsverschiedenheiten bergen wiederum Konfliktpotenzial. Streit bezeichnet das offene Austragen solcher Konflikte. Ein Streitgespräch ist oft emotionaler als eine Diskussion oder Debatte, verläuft aber nicht zwangsläufig feindselig. Konflikte bzw. Streit müssen also nicht zwingend negativ sein – im Gegenteil: Die Demokratie lebt von Meinungsfreiheit, und jede*r hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, betont die Demokratieforscherin Nina-Kathrin Wienkoop. Entscheidend ist, dass Konflikte nicht als Störung, sondern als Chance gesehen werden. Sie können Lernprozesse anstoßen, Perspektiven erweitern und neue Handlungsspielräume eröffnen. Dann spricht man von „demokratischem Streit“.

Ein demokratischer Streit zeichne sich durch gewaltfreie Formen der Konfliktaustragung aus, so Beate Rosenzweig. Das heißt, dass im Streit keine physische Gewalt angewendet wird, sondern dass alle Beteiligten darüber diskutieren – auch wenn dies emotional wird. Voraussetzung dafür ist laut Rosenzweig, dass sich alle Teilnehmenden trotz unterschiedlicher Haltungen zumindest darüber einig sind, dass demokratische Grundwerte nicht infrage gestellt werden.

Demokratisch streiten lernen: offener Raum für Dialog nötig

Damit demokratischer Streit gelingen kann, braucht es bestimmte Voraussetzungen: einen offenen Raum für Dialog, in dem unterschiedliche Meinungen und Haltungen respektvoll aufeinandertreffen können. Dabei kommt es darauf an, wie gestritten wird. Rosemarie Klein und Gerhard Reutter empfehlen im Beitrag „Streitkompetenz – Mut zum Debattieren, in Bildungsveranstaltungen gemeinsam mit den Teilnehmenden Gesprächsregeln zu entwickeln. Dazu gehört etwa, dass jede*r die eigene Meinung äußern darf und es keine „richtigen“ oder „falschen“ Meinungen gibt.

Methoden und Literaturempfehlungen für Erwachsenenbildner*innen

Es gibt eine Vielzahl an Literatur, die sich mit dem Thema Streiten praktisch und theoretisch auseinandersetzt. Susanne Jalka etwa untersucht im Buch Streitkompetenz die Bedeutung von Streit für politische Partizipation und fragt, ob wir eine Streitkompetenz brauchen. Marie-Luisa Frick ergründet in Zivilisiert streiten eine Ethik politischer Konflikte.

Rosemarie Klein und Gerhard Reutter geben im Beitrag „Streitkompetenz – Mut zum Debattiereneine Handlungsanleitung und Methodenvorschläge, wie Streiten in der Erwachsenenbildung geübt werden kann. Dabei empfehlen sie beispielweise Methoden wie die Amerikanische Debatte, in welcher eine Pro- und Contra Diskussion anhand eines kontroversen Themas geübt wird.

Beispiel: Argumentationstraining gegen Stammtischparolen

Ein Beispiel zum „streiten Lernen“ aus der österreichischen Erwachsenbildungspraxis ist das Format „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“, welches von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung organisiert wird. Teilnehmer*innen sammeln dabei sogenannte Stammtischparolen – also generalisierende, diskriminierende Äußerungen – und erproben mögliche Gegenargumente und Gesprächssituationen.

Nachrichtenserie „Demokratiebildung in der Erwachsenenbildung“

Der Sturm auf das US-Kapitol im Jahr 2021, Angriffe auf deutsche Politiker*innen während des EU-Wahlkampfes und das Erstarken demokratiefeindlicher Bewegungen zeigen, wie tief die Demokratie in der Krise steckt. Wie können wir sie schützen und gestalten? Unsere Nachrichtenserie beleuchtet, welche Rolle Demokratiebildung dabei spielt und informiert über Neuigkeiten, Projekte und Publikationen.

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