Wie geht es Bildungseinrichtungen in Österreich nach der Pandemie?
Die Geschäftsführerin der ARGE Bildungshäuser Österreich Dr.in Gaby Filzmoser BA MA, die Institutsleiterin des WIFI Österreich Mag.a Tatjana Baborek und der Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen Dr. John Evers haben uns drei Fragen über die Zeit nach der Pandemie beantwortet und geben einen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen in der Erwachsenenbildungslandschaft Österreichs.
Was die drei Institutionen gemeinsam haben: Nach dem plötzlichen Einbruch der Teilnahmezahlen während der Pandemie, der auch in den letzten KEBÖ-Statistiken deutlich wurde, zeigen sich die Einrichtungen aufgrund steigender Teilnahmen wieder optimistisch. Und auch eine gesteigerte Wertschätzung des "Persönlichen" in der Erwachsenenbildung zeichnet sich ab.
Im kommenden Sommer 2023 enden in Österreich die Corona-Krisenmaßnahmen und die alltäglichen Herausforderungen für Bildungseinrichtungen scheinen zurück zu sein: Was ist jetzt für ihre Institution anders als noch 2019?
Gaby Filzmoser (ARGE): Grundsätzlich haben die Bildungshäuser in Bezug auf ihre Veranstaltungszahlen und Teilnahmezahlen fast wieder ihr Vor-Corona-Niveau erreicht. Im Gegensatz zu den Veranstaltungszahlen sind die Teilnahmezahlen aber etwas geringer angestiegen. Das bedeutet, dass die Seminargruppen kleiner geworden sind. Parallel dazu bemerken wir auch, dass die Teilnehmenden sich in dicht gedrängten Seminarräumen nicht mehr so wohl fühlen. Wenn früher zwei Personen an einem Tisch gesessen sind, wird das jetzt als zu eng empfunden.
Online- und Hybridveranstaltungen waren das große Thema während der Coronazeit. Viele Bildungshäuser sind großteils zu Präsenzveranstaltungen zurückgekehrt und Onlineangebote haben abgenommen. Bei einzelnen Fällen fragen potentielle Teilnehmende aktiv nach, ob eine Onlineteilnahme bei der Präsenzveranstaltung möglich ist.
Generell äußern die Teilnehmenden mehr Sonderwünsche als früher. Ob dies einen direkter Zusammenhang zu den coronabedingten Nachwirken darstellt, sei dahingestellt. Auffällig ist, dass Teilnehmende selbstbewusster geworden sind in ihren Forderungen und ihre Erwartungen offener verbalisieren.
Tatjana Baborek (WIFI): Pandemiebedingte Kontaktbeschränkungen, verringerte Geschäftstätigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit hatten in den vergangenen drei Jahren Auswirkungen auf die betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten in Österreich. Laut Statistik Austria lag Österreich mit einem Anteil von 79,3% an weiterbildungsaktiven Unternehmen dennoch weiterhin im europäischen Spitzenfeld. Das zeigt, dass die innerbetriebliche berufspraktische Ausbildung während der Pandemie stabil geblieben ist.
Die berufliche Weiterbildung hat sich durch die Pandemie massiv verändert, d.h. das digitale Lernen ist gekommen, um zu bleiben. Die mehr als 20-jährige Erfahrung mit eLearning und Blended-Learning in den WIFIs war rückblickend im ersten Lockdown Gold wert.
Trotzdem war die österreichweite Umstellung des laufenden Kursbetriebes innerhalb weniger Tage im Frühjahr 2020 eine gemeinsame organisatorische und logistische Meisterleistung aller Mitarbeiter*innen und Trainer*innen. Das hat unsere WIFI-Verbundorganisation jedenfalls krisenfitter gemacht, als wir es noch 2019 in unseren damaligen Krisenszenarien je gedacht hätten. Das belegt auch die positive Entwicklung der Kursteilnehmenden. So konnten wir im Vergleich zum Kursjahr 2019/2020 im letzten Kursjahr 2021/2022 einen 13%-igen Zuwachs an Teilnehmenden verzeichnen.
John Evers (VHS): Wir nehmen grundsätzlich eine Erholung bei den Kursteilnahmen wahr, wobei in rund der Hälfte der Landesverbände noch nicht das Niveau von 2019 erreicht wurde.
Insgesamt ist eine Zunahme von Konflikten im Kursalltag festzustellen, auch Gewalt(prävention) ist stärker in den Fokus unserer Arbeit gerückt.
Unsicherheit besteht sowohl für die Teilnehmenden wie auch institutionell vor allem bezüglich der Auswirkungen der Teuerung. Institutionen haben mit höheren Belastungen bei den Personalkosten, Energiekosten und mit Mieterhöhungen zu rechnen. Und im Hinblick auf die Priorisierung ihrer Ausgaben müssen auch viele Interessierte abwägen, ob sie sich die Teilnahme an einem Kurs leisten können oder ihr Geld für etwas anderes verwenden sollen.
Welche Bildungsangebote funktionieren jetzt nicht mehr in Ihrer Institution? Und welche funktionieren (pädagogisch und wirtschaftlich) gut?
Filzmoser (ARGE): Ein Anstieg der Veranstaltungen und Teilnahmen ist in allen thematischen Bereichen zu verzeichnen. Subjektiv auffällig ist das Bedürfnis nach Austausch und Kommunikation. Zu lange Inputs werden selbstbewusster unterbrochen und der individuelle Austausch wird eingefordert.
Es sind also eher Formate und Methoden, die gut oder weniger gut funktionieren. Möglicherweises holen sich Teilnehmende ihr Vorwissen individuell und informell aus dem Internet und wollen ihre Kenntnisse in Seminaren vertiefen.
Baborek (WIFI): Die Pandemie hat den Digitalisierungs-Trend in der Arbeitswelt massiv beschleunigt, mit der Folge, dass heute andere Schlüsselkompetenzen als noch vor wenigen Jahren gefragt sind. Die Weiterbildungsangebote der WIFIs kommen den rasanten Veränderungen der Arbeitswelt nicht nur mit top-aktuellen und höchst gefragten Inhalten entgegen, sondern auch mit maßgeschneiderten Bildungsformaten.
Viele haben die Flexibilität der digitalen Lernformate zu schätzen gelernt. Das digitale Lernen und insbesondere die flexiblen Lernformate, wie die Blended-Learning-Variante – die das Beste aus Präsenz- und Online-Lernen verbindet – sind nicht mehr wegzudenken. Das belegen auch die Umfrageergebnisse des WIFI-Weiterbildungsbarometers 2022: Über 50% der Erwerbstätigen sind grundsätzlich bereit, digitale Weiterbildungsangebote zu nutzen, bei den Unternehmer*innen sind es sogar knapp 60%.
Nach wie vor setzen Erwerbstätige in der beruflichen Aus- und Weiterbildung dennoch vermehrt auf Präsenz-Seminare: Die Erfahrung aus den letzten Monaten hat gezeigt, dass reine eLearning-Formate weniger nachgefragt werden, seit die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen weggefallen sind. Der persönliche Austausch mit Trainer*innen und anderen Lernenden steht für viele derzeit wieder hoch im Kurs.
Evers (VHS): Der Bedarf nach Online-Angeboten ist nach der Pandemie wieder zurückgegangen, mit Ausnahme einiger strukturell unterversorgter Regionen.
Ebenso gibt es zum Teil – v.a. im Bereich der Gesundheitsbildung – Probleme mit "Nähe" im Kurs. Im Vergleich zu vor der Pandemie werden dieselben Räumlichkeiten heute manchmal als zu eng empfunden. Insgesamt kommen die Teilnehmenden aber wieder gerne und schätzen die Bedeutung des sozialen Lernens noch mehr als vorher.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie für ihre Institution aus der Pandemie mit, die gegenwärtig oder in der näheren Zukunft noch relevant bleiben werden? Gibt es Erkenntnisse aus der Zeit der Pandemie, die Sie noch umsetzen werden?
Filzmoser (ARGE): Das Thema Hybridveranstaltung bleibt in den Bildungshäusern ein Thema. Diesbezüglich wird mit Formaten und den passenden Vorgangsweisen noch experimentiert. Die Frage ist, wo sind die pädagogisch sinnvollen Grenzen und wo treffen sich die Bedürfnisse der Teilnehmenden mit den technischen und personellen Möglichkeiten der Veranstaltenden.
Die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden und die technischen Möglichkeiten beeinflussen nicht nur das Geschehen im Seminarraum, sondern auch das Bildungsmanagement. Teilnehmende werden in Zukunft zielgruppenorientierter angesprochen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist für die Kommunikation mit Kund*innen vor, nach und während Bildungsveranstaltungen ein hohes Entwicklungspotential erkennbar.
Die Nutzung technischer Möglichkeiten gibt personelle Ressourcen frei, die für intensivere Kund*innenkontakte genutzt werden können. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden diese zu nutzen, setzt eine kund*innenorientierte Haltung voraus, die wir weiter ausbauen wollen.
Baborek (WIFI): Weiterbildung muss auch in Österreich zur Normalität werden. Wir müssen diese noch stärker in den beruflichen Alltag integrieren und alle Kanäle zum Wissenserwerb bestmöglich ausschöpfen, aber auch über Anreizmodelle nachdenken. Der Zeitpunkt ist jetzt ideal, denn viele neue "Skills" sind nötig, um die Transformation der Wirtschaft – Stichworte Digitalisierung und Energiewende – gemeinsam zu schaffen.
Laut WIFI-Weiterbildungsbarometer 2022 stufen unter Österreichs Erwerbstätigen 87% die Bedeutung lebensbegleitenden Lernens als wichtig ein. Die persönliche Umsetzung hinkt demgegenüber etwas hinterher, liegt allerdings seit Jahren beständig auf hohem Niveau. Bemerkenswert ist der Anstieg beim Faktor Zeitmangel gegenüber 2021: Zusammengerechnet 54% der Befragten führen beruflichen Stress oder fehlende Zeit im Privatbereich als Hindernis für eine Weiterbildung an (2021: 37%).
Evers (VHS): Volkshochschulen haben – erneut – bewiesen, wir rasch und flexibel sie reagieren können und sowohl regional wie bundesweit z.B. in der Lage waren Digitalisierungsstrategien zu entwickeln und digitale Angebote umzusetzen.
Besonders hervorzuheben sind die Leistungen im Bereich der Basisbildung und Pflichtschulabschlusskurse, wo durch spezielle Rahmenbedingungen (sowohl rechtlich wie auch strukturell; z.B. der Verankerung von Sozialarbeit für diese Teilnehmenden) der Betrieb ohne wesentlichen Einbruch bei den Teilnehmenden bzw. positiven Abschlüssen durchgeführt werden konnte.
Für die gesamte bzw. weitere Teile der Erwachsenenbildung wäre ein gemeinsamer Rahmen analog zum Aufbau der Initiative Erwachsenenbildung daher unbedingt wünschenswert.
Die Antworten der drei Interviewpartner*innen der ARGE Bildungshäuser Österreich, dem WIFI Österreich und des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen wurden in Absprache mit den Organisationen vor der Veröffentlichung leicht redigiert.
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