Spiele in der Erwachsenenbildung
Wer spielen will, muss lernen.
„Es kann doch nicht so schwierig sein, dieses nächste Bossmonster zu besiegen!“ denkst du, während du Tutorials auf Youtube suchst. Du schaust anderen beim Spielen zu und trainierst mit deinen Online-Kumpels. Es macht dir nichts aus, tausende Male denselben faden Ablauf durchzuackern, bis du genug Edelsteine für die Leoparden-Rüstung zusammen hast. Und ganz klar: Du musst es gleich nochmal probieren, auch wenn es schon fünf vor Amsel ist.
Die Energien, die Spieler*innen für das Erlernen und Trainieren unbekannter Abläufe und Fähigkeiten und für das Lösen von Rätseln und Problemen aufwenden, sind enorm – und so, wie es sich Trainer*innen in ihrem Kursraum wünschen würden: Das Lernen im Spiel ist handlungsorientiert, konstruktiv, selbstgesteuert, findet im sozialen Verbund statt, ist emotional und – wenn sich Spieler*innen z.B. in eine fiktive Rolle hineinversetzen – situiert.
Spielbasierte Didaktik: Game Based Learning und Serious Games
Da liegt es nahe, diese spielerische Energie, diesen „Flow“, auf explizite Bildungssettings übertragen zu wollen – im „Game Based Learning“ als didaktisches Konzept oder konkret umgesetzt als „Serious Games“, in denen Lerninhalte als Spiele aufbereitet werden. Die gute Nachricht: das kann wirklich funktionieren. Es gibt natürlich ein „Aber“: es ist nämlich kompliziert.
Ob Spielen im Bildungskontext für eine Gruppe sinnvoll ist, hängt sehr von sozialen Dynamiken wie etwa Zusammensetzung der Lerngruppe, Persönlichkeit oder Tagesverfassung des/der Trainer*in und auch Umgebungsfaktoren wie Stress und Lernzielvorgaben ab.
Lernspiele oder mit Spielmechaniken didaktisierte Lerninhalte können stark spalten – sie können Gruppen begeistern, festgefahrene Nicht-Lern-Muster aufbrechen, neue Perspektiven aufzeigen und ungemein motivierend sein. Sie können aber auch abschrecken, verwirren, den aufbereiteten Lerninhalten Gewicht nehmen oder eine Gruppe in unnötigem „Gegeneinander“ zerbröseln lassen. Der Einsatz von Spielen und Spielmechaniken hat ausgesprochen viel Potential, ist aber kein sicherer Mittelweg.
Spiel-Szenarien: Wettbewerbe, Quests und Edu-Breakouts
Wer einen spielerischen Ansatz im Unterricht einbringen möchte, hat viele Möglichkeiten mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Je nachdem, ob etwa digitale oder physische Materialien verwendet werden, ob mit- oder gegeneinander gespielt wird, ob Spiele nur einzelne Segmente des Unterrichts oder aber das Gesamtkonzept des Kurses ausmachen, ergeben sich völlig unterschiedliche Realisierungen von Game Based Learning.
Wer seine Lerninhalte nicht anpassen möchte, hat immer die Möglichkeit, sie in „gamifizierte“ Szenarien einzubinden. Die einfachste Form ist die eines Wettbewerbs, der z.B. auch digital und online mit Kahoot oder H5P in eine Gruppenchallenge verwandelt werden kann. Viele Gruppen beziehen Motivation aus solchen Wettkämpfen – besonders, wenn sie über einen längeren Zeitraum mit unterschiedlichen Aufgaben (und ggf. mittels einer achtsam geführten Wertungstafel oder einer digitalen Fortschritts-Anzeige) betrieben werden.
Beispiele für komplexere Spiele, die mit regulären Unterrichtsmaterialien durchgeführt werden können, sind „Quests“ oder Schnitzeljagden, die in Form von seriellen Lernpfaden realisiert werden: erst das Lösen oder Absolvieren einer Aufgabe führt zur nächsten. „Quests“ können digital, analog oder hybrid durchgeführt werden: so kann das Lösungswort eines Kreuzworträtsels die Webadresse vervollständigen, unter der die nächste Aufgabe zu finden ist, oder umgekehrt eine Online-Aufgabe ein „Losungswort“ ausgeben, mit dem bei der Lehrperson die nächste Aufgabe angefordert werden kann.
Ein wenig mehr Aufwand sind „Edu-Breakouts“. Diese didaktische Form lehnt sich an das „Escape Room“-Konzept an, wo innerhalb einer gewissen Zeit eine Serie von Rätseln gelöst und ein finaler Code geknackt werden muss. Da die Edu-Breakout-Rätsel nicht ausschließlich am Papier stattfinden, kann hier mit Gadgets wie verschlossenen Boxen oder Puzzles, mit Geräuschen, Gerüchen oder Geheimtinte gearbeitet werden.
Wer seinen gesamten Kurs als Spiel anlegen möchte, kann dies in den meisten Lernmanagementsystemen umsetzen – hier können „Level Ups“ oder „Achievements“ Benotungen ersetzen, Bedingungen für das Freischalten von neuen Inhalten gesetzt oder Fleißarbeit mit virtuellen Badges belohnt werden. Oft werden solche Kurse noch mit einer eigenen „Welt“ versehen, um den fiktiven Charakter von Spielen zu nutzen.
This is a serious game!
Auch die Lehrbuchindustrie hat das Medium Videospiel für sich entdeckt und experimentiert mit Lernspielen. Darin werden Lerninhalte so aufbereitet, dass sie mit Hilfe bekannter Videospiel-Funktionsweisen vermittelt werden. Diese Spiele haben allerdings oft ein Problem: Die Budgets für die Lernspielentwicklung sind meist vergleichsweise gering. Bei Personen, die mit zeitgemäßen Spielen sozialisiert sind, kann die Spielerfahrung nicht mit der von kommerziell entwickelten Spielen mithalten. Lernspiele werden deshalb manchmal als weniger immersiv oder fesselnd und als etwas bunter aufbereitetes Lehrbuch wahrgenommen.
Erfolgreiche Lernspiele lösen sich von dem Lehrbuch-Szenario und nehmen sich eine isolierte Thematik (oft mit einem absurden Twist) vor. Solche Lernspiele in den Unterricht zu integrieren, ist allerdings eine besondere Herausforderung - das Spiel als optionale Aufgabe zu präsentieren, die für weniger Spiel-affine Teilnehmer*innen auch mit klassischen Übungsformen abgedeckt ist, hat sich hier aber als recht gute Lösung erwiesen.
Übrigens: auch bei Serious Games gibt es Abstufungen, ob die Unterhaltung oder das Erreichen von Lernzielen im Vordergrund steht. Und es gibt sie natürlich nicht nur als Video- sondern auch in Brettspielform!
Von Helikoptern und Mikroskopen
Ein anderes Szenario, bei dem im Kontext Bildung oft von Spielen gesprochen wird, sind Simulationen, wie man sie vielleicht von Börsenspielen oder Flugsimulatoren kenn. Hier wird weniger auf den immersiven „Flow“- Effekt sondern mehr auf den fiktiven Aspekt des Spielens gesetzt. Simulationen werden mit zunehmender Rechenleistung und technologischen Möglichkeiten gerade in der beruflichen Bildung immer öfter eingesetzt. Formalisierte Abläufe wie die Bedienung von Maschinen (sei es Laborequipment oder ein Flugzeug), die Darstellung von Wirkungsbeziehungen (z.B. in Unternehmensplanspielen) oder die Einhaltung von Reihenfolgen (z.B. Fließbandarbeit oder Notfallplänen) können mittlerweile naturgetreu simuliert werden: mittels VR Brillen, Demo-Maschinen oder in Rollenspielen (und in ein paar Jahrzehnten sicher auch mit Holodecks).
Let’s Play!
Das Konzept „Spielen“ ist also in der Erwachsenenbildung in vielen unterschiedlichen Ausprägungen präsent – und das nicht erst, seit Smartphones und Online-Games unsere ständigen Begleiter sind. Ein Aspekt, der bei aller Begeisterung für das Spielerische nicht unterschlagen werden sollte: die Kerncharakteristik von „Spielen“ ist, dass es sich dabei um eine nicht zielgerichtete Aktivität handelt. Kein Fünfjähriger spielt Lego mit dem Ziel, seine Hand-Auge Koordination und sein räumliches Vorstellungsvermögen zu schulen; keine Zwölfjährige wählt Fortnite, um ihre Teamfähigkeit und ihr Reaktionsvermögen in Stresssituationen zu verbessern: Das Lego-Raumschiff und der Fortnite-Rekord kommen aus reiner Spielfreude zustande. Jedes Spiel, das ein Lernziel hat, kann die Prämisse des nicht-zielgerichteten Handelns nicht einhalten.
Trotzdem haben Spiele in Bildungsveranstaltungen ihre Berechtigung und wandeln sich auch mit sozialen Veränderungen und technologischen Weiterentwicklungen. In den nächsten Jahren dürften einige Entwicklungen aus der Spieleindustrie den Weg in die Bildung finden: Virtuelle Spielewelten mit der VR-Brille, „mitlernende“ Aufgabenstellungen und fast-reale Gesprächspartner*innen durch Künstliche Intelligenz und Machine Learning, oder Lernformen, die reale und virtuelle Szenarien zur Augmented Reality verbinden. Besonders spannend im Kontext Bildung: jene Algorithmen, die mit Belohnung und Bestrafung inzwischen ungemein zielsicher das menschliche Empfinden so manipulieren, dass wir keine andere Wahl haben als nochmal zu spielen. Auch wenn es schon fünf vor Amsel ist. Weil es ja nicht so schwer sein kann, dieses Bossmonster zu besiegen.
- Beispiel für „schnell mal ein Spiel für die Bildung entwickeln“ von Nele Hirsch (eBildungslabor)
- Vorlage, um ein Spiel zu entwickeln (pdf)
- Beispiel für Quests: Saferinternet Schnitzeljagd
- Tools für Edu-Breakouts
- Ideensammlung für Edu-Breakouts
- Beispiel für ein Edu-Breakout – Österreichischer Bibliotheksverbund
Serious Games:
- Brettspiel-Beispiel: Textura
- Programmieren lernen (englischsprachiges Puzzle-Game)
- Nikolaus Staudacher: Digitale Spiele und ihr Potenzial als Bildungs- und Lernräume (pdf)
Simulationen:
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