Politische Erwachsenenbildung im Jahr der Jubiläen
Jahr der Jubiläen
Im Rahmen der Vortragsreihe werden jeweils besondere Aspekte der zeitgeschichtlichen Jubiläen herausgegriffen und aus der Perspektive der politischen Erwachsenenbildung näher beleuchtet:
Zum 100. "Geburtstag" der – von Hans Kelsen maßgeblich mitgestalteten – Verfassung lohnt sich ein Blick auf das historische wie auf das rezente Verhältnis von Politik und Recht. Ebenso wird der Frage nach der vermeintlichen Kontinuität zwischen der Ersten und der Zweiten Republik nachgegangen.
Im Mittelpunkt des Vortrags zur Befreiung vom Nationalsozialismus vor 75 Jahren stehen der Umgang der politischen Parteien mit dem "Opfermythos" in diesem Zeitraum sowie allgemein die Erinnerungs- und Gedenkkultur in der Gegenwart.
Der Staatsvertrag mag – auch nach 65 Jahren – bei vielen zunächst den geflügelten Satz "Österreich ist frei!" in Erinnerung rufen; als Gradmesser für die Reife einer Demokratie spielt die Lage der Minderheiten nach wie vor eine zentrale Rolle, hier kommt der Artikel 7 jenes 1955 unterzeichneten Staatsvertrags ins Spiel.
25 Jahre nach dem EU-Beitritt Österreichs stehen Analyse und Bestandsaufnahme der Umsetzung von jenen Richtlinien im Fokus, die von der Union Anfang der 2000er Jahre verabschiedet wurden und als Meilensteine in der Antidiskriminierungspolitik gelten.
Vier Vorträge ab Oktober
Von Oktober bis Dezember finden in der Hauptbücherei Wien und dem Depot unter dem Titel "Politische Erwachsenenbildung im Jahr der Jubiläen" bei freiem Eintritt vier Vorträge statt. In allen Vorträgen wird gefragt: Welche politische Rolle spielen die historischen Ereignisse und ihre Nachwirkungen heute? Wie kann und soll politische Bildung die erwähnten Aspekte der Jubiläen adäquat vermitteln und didaktisch begleiten?
Ein "Staat, den keiner wollte": Die Erste Republik in der Zweiten Republik
Die Erste Republik erscheint zum Teil auch heute noch als Negativfolie der vermeintlichen Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik, die ihre Stärke ja gerade daraus bezog, aus den Fehlern und dem Scheitern ihrer Vorgängerin gelernt zu haben. Damit waren weitreichende vergangenheitspolitische Konsequenzen verbunden, die von der Idealisierung der Monarchie über die Ausblendung der demokratischen und sozialen Aufbauleistungen nach 1918 bis hin zur Hochstilisierung der Zweiten Republik zur "Insel der Seligen" reichen. Eine kritische Differenzierung scheint geboten.
Meilensteine in der Gleichbehandlung
Mi., 11. November 2020, 19:00 Uhr, Depot, Wien
Seit dem EU-Beitritt Österreichs gelten die einschlägigen Gleichbehandlungsrichtlinien. Im Jahr 2000 erweiterte sich das Spektrum über das Geschlecht hinaus. Heute gilt in den Mitgliedsstaaten ein umfassendes Diskriminierungsverbot auch hinsichtlich ethnischer Zugehörigkeit, Religion und Weltanschauung, Alter, sexueller Orientierung und Behinderung. Im Jahr 2000 wurde auch die Notwendigkeit von Gleichbehandlungsstellen erwähnt. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft stellt heute eine wesentliche Institution im Kampf gegen Diskriminierung und für die Förderung von Gleichstellung dar.
Vortragende: Mag.a Sandra Konstatzky, Juristin, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft.
Staatsvertrag zwischen Angebot und Nachfrage
Do., 26. November 2020, 19:00 Uhr, Depot, Wien
Beim Österreichischen Staatsvertrag von 1955 denken wohl sehr viele Burgenland-Kroat*innen und Kärntner Slowen*innen an den Artikel 7. Es geht um den Teil des Vertrages, der sich den Mindestbedürfnissen der kroatischen und slowenischen Minderheiten nach Schule sowie Amts- und Gerichtssprache zuwendet. Im Zentrum steht die Forderung nach topographischen Aufschriften. Dieser Punkt war auch der Grund für die Weigerung vieler österreichischer Regierungen, den Forderungen des Staatsvertrages nachzukommen. Es ist der Beharrlichkeit einzelner Minderheitenangehöriger zu verdanken, dass Teile des Artikels 7 umgesetzt wurden.
Vortragender: Dr. Vladimir Wakounig, Bildungswissenschaftler, Universität Klagenfurt/Celovec.
Deutungskämpfe. Parteien und (NS-)Vergangenheit
Mi., 9. Dezember 2020, 19:00 Uhr, Depot, Wien
1945 wollten die ehemaligen politischen Gegner den demokratischen Wiederaufbau in Angriff nehmen. Die Opferthese wurde zum Gründungsmythos und "master narrative" der Zweiten Republik. Doch bald setzte ein Wettlauf um die Wählerstimmen der ehemaligen Nationalsozialist*innen (und ihrer Angehörigen) ein. Nicht wenige von ihnen fanden in ÖVP und SPÖ ihre politische Heimat; ihr eigentliches Sammelbecken war aber der Verband der Unabhängigen (VdU) und die Nachfolgepartei FPÖ. Mit der Haltung der Nachkriegsparteien zum Nationalsozialismus, Austrofaschismus und zu "Ehemaligen" gingen und gehen (Beispiel: FPÖ-"Historikerbericht") Deutungskämpfe einher.
Vortragende: Dr.in Margit Reiter, Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Salzburg.
