Nur für Nerds? Das Fediverse, Mastodon und die Erwachsenenbildung

25.05.2023, Text: Julia Schindler, Universität Innsbruck, Redaktion: Karin Lamprecht (geb. Kulmer), Redaktion/CONEDU
Nach der Twitter-Übernahme von Elon Musk suchten viele Nutzer*innen eine Alternative und fanden sie im Mikroblogging-Dienst Mastodon. Auch wenn die Erwachsenenbildung dort derzeit noch wenig vertreten ist, bieten dezentrale Netzwerke spannende Möglichkeiten für die Zukunft.
Smartphone mit Mastodon-Startbildschirm
Die Idee des Fediverse basiert auf Freiheit, Autonomie und Dezentralität. Eine der Plattformen im „föderierten Universum“ ist die Twitter-Alternative Mastodon.
Foto: Unsplash Lizenz, Rolf van Root, https://unsplash.com
Die Turbulenzen bei der Twitter-Übernahme durch Elon Musk sind schon fast wieder vergessen, aber sie haben „Mastodon“, dem dezentralisierten Kurznachrichtendienst des „Fediverse“, zu einiger Bekanntheit verholfen. Obwohl das Twitter-Exitus-Momentum erwartungsgemäß wieder abflaute, wurde mit dieser Bewegung immerhin die Idee von dezentralisierten, nicht direkt monetarisierten Social Media-Diensten wieder mehr ins Bewusstsein von Nutzer*innen gerückt. Allerdings wird das Netzwerk und seine Dienste immer noch recht misstrauisch beäugt: ist das nur was für Nerds? Für Fanatiker*innen aller Coleurs? Höchste Zeit für die Erwachsenenbildung, sich mit diesem Konzept auseinanderzusetzen – sei es, um die Dienste selbst (zB für professionelle Vernetzung) zu nutzen, sei es, um sie im Unterricht einzusetzen oder sei es, um qualifiziert über sie informieren zu können.

Das Fediverse, unendliche Weiten

Wenn von Alternativen zu den großen Social Media-Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram oder Tiktok die Rede ist, führt kein Weg vorbei am Fediverse.  Die Idee des Fediverse basiert auf Freiheit und Autonomie – ein Netzwerk, das User*innen für User*innen entwickeln, erhalten und betreiben. Unterstützt wird diese Idee durch Dezentralisierung – es gibt nicht die eine Firma, die einen Dienst betreibt; es sind immer viele kleine, von Einzelnen betriebene Instanzen, die das Netzwerk ausmachen. So entsteht in den letzten Jahren eine wachsende Ansammlung unterschiedlicher Social-Media-Dienste, die über ein gemeinsames Kommunikationsprotokoll funktionieren, wodurch es möglich ist, mit nur einem Account unterschiedliche Plattformen zu nutzen. Blogging-Plattformen wie Hubzilla verwenden ebenso dieses Kommunikationsprotokoll wie die Youtube-Alternative PeerTube oder Pixelfed, das an Instagram erinnert.

 

Eine der Plattformen des Fediverse, die durch die Twitter-Turbulenzen im letzten Jahr mehr Aufmerksamkeit bekam ist Mastodon. In Erscheinungsbild und Bedienung erinnert Mastodon tatsächlich sehr an Twitter: es gibt „toots“ statt „tweets“, eine enge Zeichenbegrenzung, es gibt „threads“ und „timelines“ und man kann „boosten“ oder mit Sternchen „liken“.

Mastodon, wie es funktioniert…

Wer sich bei Mastodon registriert, muss sich – anders als bei Twitter - für eine digitale Mastodon-Heimat entscheiden. Schließlich besteht Mastodon – wie alles im Fediverse - aus einzelnen, oft themenspezifischen, Instanzen und nicht einer einzelnen großen „Zentrale“, die alle Informationen hält. Von Beiträgen dieser Instanz wird die lokale Timeline zusammengestellt. So finden sich auf ravenation.club andere Inhalte als auf bildung.social oder mastodon.social und Nutzer*innen der jeweiligen Instanzen bekommen sehr unterschiedliche lokale Timelines angezeigt.

 

Die zweite Timeline, die Mastodon anbietet, ist unabhängig von der Heimatinstanz – natürlich können alle User*innen auf alle Inhalte auf allen Instanzen zugreifen. Instanzen-übergreifend werden Beiträge von Konten, denen man folgt plus Beiträge von Konten, denen diese Konten folgen zu einer föderierten Timeline zusammengestellt.

 

Anders als bei Twitter ist die Auswahl der Beiträge, die man angezeigt bekommt, selbstbestimmt - durch die Wahl der Heimatinstanz und die Wahl der Konten, denen man folgt. Timelines kommen nicht durch (zugegeben, komplexe) Berechnung zustande, sondern sind strikt chronologisch. Kein Algorithmus – keine Kuration. Und da es keine „Zentrale“ gibt, ist auch keine Instanzen-übergreifende Zensur möglich; was also gepostet werden kann oder nicht ist (außer vom rechtlichen Rahmen natürlich) auch von der Instanz abhängig.

…und wofür es benutzt wird

Da sich die Funktionsweise von Mastodon trotz des ähnlichen Auftretens sehr von Twitter unterscheidet, ist auch Art und Auffindbarkeit der Inhalte und die Art der Interaktion zwischen Nutzer*innen sehr anders. Speziell der Duktus der Beiträge ist – natürlich immer abhängig vom  Heimatserver -  durchgängig etwas gemäßigter als auf Twitter und es ist einfacher, unerwünschten Inhalten oder Interaktionen aus dem Weg zu gehen. Dadurch ist es auch leichter, ein professionelles Netzwerk zu pflegen, da Mastodon im Vergleich zu Twitter ein weniger aufgeregtes, themenorientierteres Umfeld bietet.

 

Für deutschsprachige Erwachsenenbildner*innen bietet etwa der Server bildung.social die Hashtags #FediLZ und #Bildung einen natürlichen Lebensraum, es können facheinschlägige Veranstaltungen wie kürzlich das #Ausbaldowercamp mitverfolgt werden, aber es ist auch möglich Personen-Accounts wie dem von Jöran Muuß-Merholz (freie Bildungsmaterialien) Ingrid Brodnig (Netzpolitik) oder Nele Hirsch (digitale Bildung) zu folgen und mit ihnen in Kontakt zu treten. 

 

Die Strategien, wie eine Person, eine Einrichtung, aber auch ein Projekt oder eine Veranstaltung auf Mastodon präsent sein kann, sind dieselben wie auf Twitter – allerdings ohne die Möglichkeit, mittels Geldeinwurf Reichweite oder Interaktion zu erhöhen oder Werbung zu schalten. Mastodon eignet sich als Netzwerk für die Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen und Projekten oder um mit der Öffentlichkeit und den Teilnehmer*innen in Kontakt zu bleiben und Feedback zu sammeln. Methodisch-didaktisch kann Mastodon in hybriden Lernsettings eingesetzt oder sogar Kurse oder Workshops über Mastodon angeboten werden.

Software für eine eigene Austauschplattform

Ein weiterer Aspekt der Plattformen des Fediverse und speziell Mastodon ist die Tatsache, dass die benutzte Software gemeinschaftlich entwickelt und gewartet wird und frei verfügbar ist. Das bedeutet, es ist relativ einfach möglich, einen eigenen Mastodon-Server aufzusetzen (wie es z.B. die Corporate Learning Community gemacht hat). Allerdings ist der Aufwand, der mit dem laufenden Betrieb eines öffentlich zugänglichen Diensts verbunden ist, nicht zu unterschätzen. Wer eine solche Instanz betreibt, hat die Kontrolle über Themen und Regeln und entscheidet, wer auf der Instanz ein Konto einrichten darf – ist aber trotzdem mit allen anderen Mastodon-Instanzen verbunden. So kann Mastodon nicht nur als „Twitter-Ersatz“ gedacht werden, sondern auch als Open-Source-Software für eine eigene Austauschplattform von Ideen und Ressourcen.

Selbstbestimmt sozial netzwerken

Wie eingangs erwähnt, wird das Fediverse von User*innen für User*innen gemacht – im Umkehrschluss aber auch nur jene bedient, die sich aktiv einbringen, seien das nun Nerds, Fanatiker oder Erwachsenenbildner*innen. Das bedeutet, dass die Erwachsenenbildung, wenn sie ihren Platz im Fediverse finden möchte, diesen auch gestalten und bespielen muss. Derzeit ist die österreichische Erwachsenenbildung allerdings nur sehr spärlich durch Institutionen oder Personen vertreten. Ein guter Zeitpunkt also, um diesen spannenden Ort für die Erwachsenenbildung zu erschließen! Und, bei genauerem Hinsehen: ist die österreichische Erwachsenenbildung nicht auch irgendwie… eine Ansammlung von Nerds?

Zum Nachmachen:
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