Kinostart "alphabet" - ein Film von Erwin Wagenhofer
Schulsystem als unzeitgemäß und nicht kindgerecht kritisiert
Das österreichische und deutsche Schulsystem sei von der Zeit vor den Weltkriegen geprägt. In der Zeit der Industrialisierung wurden Kinder für geregelte Abläufe ausgebildet; wichtig war es, ihr Durchhaltevermögen zu trainieren. "Menschen mussten wie Maschinen funktionieren", wird im Film erklärt. In China wird dieses "Funktionieren" am ausgeprägtesten in den Schulen vermittelt. So würden Kinder dort ihre Eltern beneiden, weil sie sonntags ausschlafen können, heißt es. Die bestmögliche Leistung, prüfungsorientiertes Lernen und die Aufrechterhaltung traditioneller und reaktionäre Werte seien dort das Ziel schulischer Bildung. Aber auch in Europa strebe man ähnliche Ziele und bessere PISA-Ergebnisse an. Dieses unter"richten" sei aber völlig gegen die Natur des Kindes und für die Herausforderungen der Gegenwart nicht mehr ausreichend.
Kritik: Kreativität verkümmert
Die Vorstellungskraft sei unsere größte Kapazität, so der britische Autor und Berater in der Gesellschaftsentwicklung Ken Robinson. Der Film zeigt eine Langzeitstudie von Robinson über Denkansätze. Vorstellungskraft und Genialität würden demnach ab dem Eintritt in die Schule nach und nach verkümmern. Robinson kommt zum Ergebnis: Im ersten Lebensjahr sind noch 98% aller Kinder hochbegabt, da sie individuelle Eigenschaften mit auf die Welt bringen. Diese Begabungen werden aber in unserem Schulsystem, das auf Anpassung ausgerichtet ist, nicht gefördert. Im Gegenteil: Weil wir denken, dass der Wettbewerb so wichtig ist, fangen wir immer früher an, unsere Kinder auf diesen Wettbewerb vorzubereitung. Nach der Schule sind noch 2% dieser Kinder hochbegabt.
Bildung ohne Unterrichten vorstellbar? - ein Beispiel
Einen Handlungsstrang widmet Wagenhofer einem Beispiel nicht schulischer Bildung: Der in Deutschland geborene Pädagoge und Forscher Arno Stern zog in Frankreich gemeinsam mit seiner Frau ihren Sohn André Stern groß, ohne ihn zur Schule zu schicken - und auch ohne ihn häuslich zu unterrichten. Andrés Eltern haben ihn in all seinen Interessen und Aktivitäten unterstützt. Das war seine Art zu lernen. Wenn er töpfern, malen, etwas bauen wollte, sich für irgendwas interessiert hatte, haben seine Eltern Kontakt zu kompetenten Menschen hergestellt. André Stern ist heute Freibildungsexperte, aber auch Gitarrenbauer und geht vielen weiteren sehr unterschiedlichen Tätigkeiten nach. Zentral bei seinem Lernen war stets das kindliche Spielen. André Stern dazu: "Das Spielen wird von den meisten Menschen zur Freizeitbeschäftigung degradiert. Dabei haben wir Menschen das Glück, dass wir auf die Welt kommen mit der allerbesten Apparatur zum Lernen: das Spielen. Sobald man ein Kind in Freiheit lässt, spielt es - und zwar den ganzen Tag. Das ist die wichtigste und einzig sinnvolle Beschäftigung der Kinder." Er meint, die Erwachsenen hätten Angst, dass aus einem Kind nichts wird, wenn es nicht das lernt, was sie vorgeben. Letztlich hätten sie aber keine Ahnung, was aus einem Kind wird, wenn sie es in seiner Freiheit belassen. Kinder würden ganz natürlich lernen, wenn sie spielend ihren eigenen Interessen nachgehen könnten.
Eine radikale, aber durchaus attraktiv wirkende Alternative...