Buch: Erwachsenenpädagogische Kompetenzen stärken

20.02.2013, Text: Giselheid Wagner, Redaktion: Bianca Friesenbichler, Redaktion/CONEDU
Welche Wege gibt es, den Erfahrungsschatz und die Kompetenzen von ErwachsenenbildnerInnen sichtbar zu machen? Buch stellt zwei Modelle vor.
Professionalisierung ist national wie international ein zunehmend wichtiges Thema in der Erwachsenenbildung. Dabei liegt das Augenmerk besonders auf der Qualifizierung des in der Erwachsenenbildung tätigen Personals, da die Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich uneinheitlich und nicht standardisiert ist. Hierbei kommt vor allem neuen Formen der Kompetenzerfassung und -anerkennung sowie Zertifizierungsverfahren eine wichtige Rolle zu. Ein kürzlich erschienener Sammelband, der als deutsch-österreichisches Gemeinschaftsprojekt entstanden ist, bietet dabei sowohl einen Einblick in die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema als auch Berichte aus der Praxis von Kompetenzanerkennungsverfahren.

Welche Kompetenzen sollen ErwachsenenbildnerInnen mitbringen?
Die Erwachsenenbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem heterogenen Berufsfeld entwickelt. Das bringt große Veränderungen in den Aufgaben, Tätigkeitsprofilen und Rollen des in der Erwachsenenbildung tätigen Personals mit sich. Es existieren zwar sowohl im akademischen als auch non-formalen Bereich eine Vielzahl von Aus- und Weiterbildungen für ErwachsenenbildnerInnen, es besteht aber kein bildungspolitischer Konsens darüber, welche Kompetenzen ein/e ErwachsenenbildnerIn eigentlich mitbringen sollte ("Minimalstandards").

Anerkennung und Validierung von Kompetenzen nötig
Neuen, zeitgemäßen Verfahren der Bilanzierung, Anerkennung und Zertifizierung von vorhandenen Kompetenzen kommt eine immer wichtigere Rolle zu. Dies wird auch durch Initiativen der EU verstärkt, die über Instrumente wie den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF) bzw. die einzelnen nationalen Qualifikationsrahmen, durch die Forcierung von Lernergebnis- und Outputorientierung und der Ermittlung informell erworbener Kompetenzen wichtige Impulse setzt und Projekte fördert. Anerkennung und Validierung von Kompetenzen erfordern jedenfalls Standards, an denen die ermittelten Kompetenzen gemessen werden können - und dies ist, wie mehrere Beträge in diesem Band zeigen, keine einfache Aufgabe, wenn diese Standards landes- oder gar EU-weit akzeptiert werden und zu einer Zertifizierung im Sinne einer formal-/berufsrechtlichen Anerkennung führen sollen.

Wissenschaftliche Fragen und konkrete Modelle
Die Beträge im vorliegenden Band beschäftigen sich zunächst mit wissenschaftlichen Fragen zum Thema Professionalisierung in der Erwachsenenbildung, geben dann in einem zweiten Teil einen umfangreichen Einblick in zwei existierende Modelle von Kompetenzanerkennungsverfahren aus Österreich und Deutschland (Weiterbildungsakademie Österreich, wba, und KOMPASS, Kompetenzpass für WeiterbildnerInnen), um schließlich mit einem internationalen Ausblick zu schließen.

Aktuelle Professionalitätsforschung
Der Artikel von Sabine Schmidt-Lauff und Annika Lehmann "Entwicklungsstränge im Professionalisierungsverständnis" nähert sich anhand aktueller wissenschaftlicher Forschung begrifflich an das Thema an, diskutiert Fragen von Profession, Professionalisierung und Professionalität und positioniert Kompetenzanerkennungsverfahren im aktuellen Diskurs. Mit einem durchaus kritischen Blick auf die neueren Entwicklungen betonen die AutorInnen, dass ein "wertgebundener Professionsdiskurs" nötig ist, damit wichtige Werte wie Selbstbestimmung und professionelle Autonomie nicht verloren gehen.

Professionalisierung durch Interaktion von Wissenschaft und Praxis
Wolfgang Jütte und Markus Walber beschäftigen sich in ihrem Artikel "Interaktive Professionalisierungsszenarien in der Weiterbildung" mit der These, dass Professionalisierung in der Erwachsenenbildung nur durch die Interaktion von Wissenschaft und Praxis stattfinden kann. An diesen "Möglichkeitsräumen zur Konstruktion von Professionswissen" müssen VertreterInnen aus beiden Systemen beteiligt sein; für die Hochschuldidaktik sind "Lernszenarien" zu schaffen. Dies kann schließlich zu einer produktiven Verbindung von wissenschaftlichem und berufspraktischem Wissen führen.

Weiterbildungsakademie als Beitrag zur Professionalisierung
Einen Einblick in die bildungspolitischen Umstände der Entstehung der Weiterbildungsakademie Österreich (wba) gibt der Artikel von Anneliese Heilinger "Professionalisierung mit Kompetenz steuern am Beispiel der Weiterbildungsakademie Österreich". Unter Bezugnahme auf EU-Entwicklungen und die Geschichte der österreichischen Erwachsenenbildung zeigt sie auf, dass das Verfahren der wba ein folgerichtiger Schritt in der Qualifizierung von ErwachsenenbildnerInnen war und einen wesentlichen Beitrag zur Professionalisierung der Erwachsenenbildung leistet.

Erfolgskriterien und Risikofaktoren in der Kompetenzanerkennung
In einem E-Mail-Dialog diskutieren anschließend zwei langjährige AkteurInnen der wba, Christian Ocenasek und Karin Reisinger, über Erfolgskriterien und Risikofaktoren dieses mittlerweile seit über sechs Jahren erfolgreich funktionierenden österreichweiten Kompetenzanerkennungsverfahrens. Hinweise auf die partnerschaftliche und kooperative Entstehungsgeschichte der wba werden ebenso gegeben wie Einblicke in das konkrete Funktionieren dieser komplexen Anerkennungseinrichtung (Curriculum als Standard, Zielgruppen, Zertifizierungswerkstatt, Gremien, Beratung und Begleitung etc.). 

Evaluierung der Weiterbildungsakademie
Anita Brünner, Elke Gruber und Susanne Huss berichten in ihrem Beitrag von den Ergebnissen des seit 2007 andauernden Evaluationsprozesses der Weiterbildungsakademie Österreich. Neben einer kurzen Vorstellung des Verfahrens werden Zahlen, Daten und Fakten auch anhand von Tabellen und Grafiken veranschaulicht, die im Großen und Ganzen die Erfolgsgeschichte der wba widerspiegeln. Ein Ausblick auf die noch laufende qualitative Erhebung zeigt auch die Folgen für die gesamte Landschaft der Erwachsenenbildung und die positive Weiterentwicklung des Professionalisierungsprozesses auf.

Instrument zur Kompetenzbilanzierung KOMPASS
In den zwei folgenden Artikeln wird das von der TU Dresden entwickelte Kompetenzbilanzierungsinstrument KOMPASS vorgestellt. Jan Böhm und Gisela Wiesner ordnen in ihrem Beitrag das KOMPASS-Modell in bislang bestehende Kompetenzbilanzierungsansätze ein und beschreiben den Aufbau und Einsatz von KOMPASS: Neun typischen Arbeitssituationen werden die  jeweils passenden Kompetenzen zugeordnet. Im Dreierschritt von Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung und kommunikativer Validierung erfolgt der praktische Einsatz, der flexibel handhabbar ist und auch an neue Arbeitsfelder angepasst werden kann.

KOMPASS in der betrieblichen Weiterbildung
Wie das KOMPASS-Modell in der betrieblichen Weiterbildung verwendet werden kann, beschreibt Jan Böhm im folgenden Artikel. Es wurde im Rahmen eines Projekts zwischen dem VW Bildungsinstitut und der TU Dresden an die speziellen Erfordernisse dieser Zielgruppe angepasst. Dabei mussten sowohl die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen als auch die Interessen der Personalentwicklung berücksichtigt werden.

Kompetenzanerkennung international
Im abschließenden Beitrag versucht Anne Strauch, die Bemühungen um Standardisierung und Kompetenzanerkennung sowie -zertifizierung im internationalen Kontext zu betrachten. Sie resümiert, dass noch viele Hürden genommen werden müssen, weil es keine allgemein akzeptierte Übereinkunft gibt, welche Kompetenzstandards für ErwachsenenbildnerInnen gelten sollen. Auch eine Zertifizierung im Sinne einer formalrechtlichen Anerkennung ist bislang die Ausnahme. Erfolgreich umgesetzte Anerkennungsverfahren mit breit anerkanntem Abschluss bilden bis jetzt nur die Weiterbildungsakademie Österreich und "Ausbildung der Auszubildenden" (AdA) in der Schweiz.  Der EQF bzw. NQR/DQR müsste in einen sektoralen Qualifikationsrahmen für die Weiterbildung (SQR) übersetzt werden, wo dann von allen AkteurInnen akzeptierte Standards festgeschrieben werden. Dies ist aber derzeit allein aus bildungspolitischen Gründen noch Zukunftsmusik.

Resümee
Durch den breiten inhaltlichen Bogen sind die Beiträge durchaus unterschiedlich - auch unterschiedlich leicht lesbar. Die beiden Modelle wba und KOMPASS werden in mehreren Aufsätzen in ihrer Unterschiedlichkeit übersichtlich und kompakt dargestellt. Und wie Jütte und Walber in ihrem Aufsatz betonen: Forschung und Praxis bedingen einander und sollten gerade im Bereich der Kompetenzanerkennung eng zusammen arbeiten. Dies ist wohl auch der Verdienst dieses Sammelbandes: Wissenschaft und Praxis werden zusammengeführt und praktisch erprobte Modelle vorgestellt, von denen zwar oft die Rede ist, wobei aber doch die wenigsten wissen dürften, wie sie konkret funktionieren. Dabei bleibt immer auch der bildungspolitische Hintergrund präsent, der gerade bei diesem Thema eine eminent wichtige Rolle spielt. Allein zwischen Deutschland und Österreich gibt es in der Erwachsenenbildung neben vielen Gemeinsamkeiten auch große Unterschiede. Die Tatsache, dass es in Österreich gelungen ist, ein Modell wie die Weiterbildungsakademie bundesweit zu implementieren, hat sicherlich mit den genuin österreichischen Strukturen der Erwachsenenbildung zu tun. Wenig überraschend daher, dass es EU-weit noch viel schwieriger sein dürfte, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, weil die Kompatibilität der Bildungssysteme (noch) nicht gegeben ist. Initiativen wie der Europäische Qualifikationsrahmen wollen diese Barrieren überwinden und eine bessere Vergleichbarkeit schaffen. Letztlich spielen alle Verfahren zur Kompetenzanerkennung hier mit hinein, da sie sich ausschließlich mit dem "Output" eines Lernprozesses beschäftigen - unabhängig davon, auf welchem Weg diese oder jene Kompetenz erworben wurde. Diese Zusammenhänge zwischen internationaler Bildungspolitik, nationalen Ausprägungen und praktischen Umsetzungen machen die Lektüre dieses Sammelbandes empfehlenswert für alle, die sich für das Thema Kompetenzanerkennung, -validierung und Zertifizierung interessieren.

Gruber, Elke/Wiesner, Gisela (2012): Erwachsenenpädagogische Kompetenzen stärken. Kompetenzbilanzierung für Weiterbildner/innen. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. ISBN: 978-3- 7639- 4908-3, EUR 22,90.

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