50 Jahre Elternbriefe: Ein Erfolgsmodell der Elternbildung

Julia und Patrick stehen zum ersten Mal am neu gekauften Wickeltisch. Vor ihnen liegt ihr erstes Baby, das sie leicht über eine Seite drehen und die Windel darunterlegen. Von dieser Technik haben sie aus dem ersten Elternbrief erfahren, den sie im Krankenhaus nach der Geburt bekommen haben. Sie wissen, dass man die Bänder des Babys überdehnen kann, wenn man es an den Gelenken zieht. Ein Satz hat den beiden in ihrer neuen Rolle als Eltern besonders geholfen: „Sie werden vieles richtig und nur weniges falsch machen.“
Julia und Patrick stehen symbolisch für zwei von 28.600 Eltern, die sich pro Jahr Tipps aus dem niederschwelligen Angebot der „Elternbriefe“ holen. Den ersten Brief erhält man im Krankenhaus, die weiteren kann man bestellen und bekommt sie regelmäßig per Post zugeschickt. In den Briefen wendet sich ein fiktives Kind namens Anna in der Ich-Perspektive an die Eltern, das die gleichen Entwicklungsstufen wie das eigene Kind durchlebt. Anna erzählt etwa, dass sie gerne gehalten wird, wenn sie weint und dass sie niemals geschüttelt werden will. Im Brief finden Eltern zudem Informationen zur jeweiligen Entwicklungsphase. Die Erziehungswissenschafterin Brigitte Singer vom Salzburger Bildungswerk erklärt das Ziel dahinter: „Das Konzept vom Kind Anna, das zeitgleich mit dem eigenen Kind auf die Welt kommt, ist eine Einladung zur Empathie- und Verständnisförderung für Entwicklungsabläufe und dafür, was diese für das Kind bedeuten.“
Passende Begleitung für jedes Alter
Eltern schätzen vor allem die altersangepassten Tipps in den Elternbriefen. Singer sammelt Rückmeldungen von Eltern und hebt eine besonders hervor, die ihr eine Mutter geschickt hat:
„Noch Anfang der Woche las ich, dass Kinder im Alter meines 4,8 Jahre alten Sohnes bereits Themen wie Tod beschäftigen. Und wie man als Eltern darauf reagieren sollte. Ich dachte noch 'Gott sei Dank ist das bei uns (noch) kein Thema'. Zwei Tage später: Mein Sohn erzählt mir, dass die Miriam (Anm.: Name durch die Redaktion geändert) aus dem Kindergarten ihm sagte, dass ein Baby im Bauch gestorben ist. Und dann kamen natürlich Fragen, wie so was passieren kann, ob die Mama vom Baby traurig war, ob der Herrgott das so wollte und wie ein neues Baby in den Bauch kommt. Ziemlich heftige Fragen für einen Mittwochabend. Ohne eure Elternbriefe wäre ich wirklich überfordert gewesen und hätte vor allem versucht, auszuweichen oder eine abmildernde Geschichte erfunden. Aber durch eure Elternbriefe konnte ich recht souverän damit umgehen und wir hatten sogar unser erstes, tiefer gehendes Mama-Sohn-Gespräch. Also von Herzen vielen Dank für eure Elternbriefe. Ihr behandelt die richtigen Themen, zeitlich und mengenmäßig gut portioniert und direkt nach Hause geschickt. Ein super Service, für den ich sehr dankbar bin.“
Singer und ihr Redaktionsteam sind auf die Altersgruppe 0 bis 6 Jahre spezialisiert und verfolgen ein Konzept, das Eltern bestärkt und ihnen zu mehr Sicherheit in der Erziehung verhilft: „Die Elternbriefe verfolgen einen salutogenen (Anm.: gesundheitsfördernden und -erhaltenden) Ansatz, immer passend zum Alter des Kindes. Das bedeutet, wenn das Kind zum Beispiel zwei Monate alt ist, kommt ein Brief mit passenden Infos für dieses Alter. Ist das Kind drei Jahre alt, kommt wieder ein passender Brief und so weiter – bis das Kind sechs Jahre alt ist. Insgesamt kommen 26 Elternbriefe.“
Immer am Nerv der Zeit: Stete Aktualisierungen seit 50 Jahren
Viermal jährlich ruft Singer ihr Redaktionsteam zusammen, bestehend aus Expert*innen aus den Bereichen Psychologie, Elementarpädagogik, Erziehungs- und Rechtswissenschaft und Ergotherapie. Gemeinsam arbeiten sie die neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis in die Elternbriefe ein. Heute spiele etwa Mediennutzung in der Erziehung eine viel wichtigere Rolle als früher, erklärt Singer: „Die Mediennutzung in den 1980er Jahren war ganz anders als heute. Eltern sind heute vom Handy massiv abgelenkt. Studien zeigen, dass sich dies inzwischen auch in Entwicklungsverzögerungen und Auffälligkeiten bei Babys und Kleinkindern niederschlägt.“ Zusätzlich zu diesen inhaltlichen Anpassungen erweitert das Redaktionsteam laufend die Kontakte wichtiger Anlaufstellen in den Elternbriefen.
Elternbriefe bekommen und Inspiration holen
Die Elternbriefe sind ein Vorzeigeprojekt des Salzburger Bildungswerkes im Auftrag des Landes Salzburg und können aktuell nur von Eltern (oder interessierten Pädagog*innen z.B. aus der Elternbildung) in diesem Bundesland über die Webseite des Landes Salzburgs bestellt werden oder digital über die Familienpass-App gelesen werden.

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