Fünf Empfehlungen zur Umsetzung von Klimaschutz in der Erwachsenenbildung

12.02.2024, Text: Andrea Widmann und Karin Dullnig, Initiative "Klimaschutz in der Erwachsenenbildung", Julia Seyss-Inquart, selbsttständige Beraterin, Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Sie möchten Klimaschutz in Ihrer Bildungseinrichtung vorantreiben? Dabei gibt es einige Besonderheiten der Branche zu beachten. Fünf Tipps für den Umgang damit.
Zeichnung: Drei Zahnräder zu denen je eine Hand greift
Die Beteiligung an Organisationsentwicklungsprozessen ist in Bildungsorganisationen von Bedeutung.
Grafik: CC0 Public Domain, Mohamed Hassan, https://pxhere.com

Wer Klimaschutz in der eigenen Bildungsorganisation umsetzen will, muss wesentliche strukturelle und kulturelle Merkmale der Erwachsenenbildung berücksichtigen. Bei Organisationsentwicklungsprozessen (OE-Prozesse) mit dem Ziel von mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit zeigen sich in Einrichtungen der Erwachsenenbildung fünf Besonderheiten, die sich von anderen Branchen oder Organisationsformen unterscheiden. Diese gilt es zu berücksichtigen – fünf Empfehlungen dazu:

Empfehlung 1: Eindeutigen Themen-Fokus setzen

An die Erwachsenenbildung gibt es sehr hohe gesellschaftliche Ansprüche: Sie soll Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bedienen. An Weiterbildung werden Erwartungen formuliert, wie etwa „Fachkräftebedarfe zügig zu decken, […] kompensatorisch Bildungsdefizite auszugleichen, den digitalen Rückstand aufzuholen und die Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme in Gang zu setzen […]“ (siehe Editorial Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 2022 - PDF). Das sind unerfüllbare Ansprüche, weil Entwicklungen am Arbeitsmarkt, im Umweltschutz oder in Demokratien in hohem Maße von politischer Steuerung, Regularien und internationalen Entwicklungen abhängig sind.

Handelnden Akteur*innen in einem Organiationsentwicklungsprozess wird also abverlangt, aus den vielen Anforderungen auszuwählen und eigene Schwerpunkte zu setzen. Damit werden Erwartungen von außen - und oftmals auch eigene Ansprüche - enttäuscht.

Eine Themen-Fokussierung und inhaltliche Konzentration hilft allerdings dabei, in Prozessen der Organisationsentwicklung erfolgreich zu sein. Aus den vielen möglichen Themen und Aufgaben eine Auswahl im eigenen Wirkungsraum zu treffen, hilft handlungsfähig zu werden und Ohnmachts- sowie Frustrationsgefühle zu vermeiden.

Empfehlung 2: Unterschiedliche Bedarfe und Anspruchsgruppen berücksichtigen

Ziele und Auftrag von Einrichtungen der Erwachsenenbildung werden von unterschiedlichen Anspruchsgruppen (mit-)formuliert. Je nach politischer Schwerpunktsetzung auf EU-, Bundes- oder kommunaler Ebene werden Leistungsvereinbarungen formuliert, Projekte vergeben und Förderlogiken angepasst. Das führt dazu, dass es relativ schwierig ist, selbst gesetzte Ziele langfristig zu verfolgen.

Für Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die Klimaschutz in ihrer Organisation vorantreiben wollen, ist es jedenfalls wesentlich, Auftrag- und Fördergeber*innen einzubeziehen: Verantwortungsträger*innen in der Erwachsenenbildung können etwa Fördervorgaben explizit auf Vorgaben für Klimaschutz und Nachhaltigkeit hin analysieren, um Anknüpfungspunkte zu finden. Zum anderen können sie die Fördergeber*innen auch aktiv darauf hinweisen, wenn Förderbestimmungen klimafreundliches Handeln erschweren. Das kann z.B. der Fall sein, wenn Fördernehmer*innen eine bestimmte Anzahl von Parkplätzen für Kursteilnehmende vorweisen müssen, Maßnahmen für die Anreise mit Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln aber keine Voraussetzungen für eine Förderung sind (siehe dazu auch weitere Anregungen im Artikel Erwachsenenbildung klimafit machen).

Empfehlung 3: Mehr Zeit für das Einüben kollektiver Prozesse einplanen

Eine weitere Besonderheit der Branche ist, dass in Bildungsorganisationen im Unterschied zu Organisationen in anderen Bereichen die einzelnen Mitarbeiter*innen über eine relativ hohe individuelle Autonomie in der Leistungserstellung verfügen. Dies erklärt sich aus der Art der Tätigkeit: Die Aufgabe, Lernprozesse zu initiieren und Ideen zu produzieren, benötigt in hohem Maße Freiräume für Lehrende und Lernende, um qualitätsvoll zu sein (siehe etwa auch Buch: „Dynamische Unternehmensentwicklung").

Damit einher geht der Umstand, dass das Personal relativ unabhängig voneinander arbeiten kann, die Organisation also eher fragmentiert ist, was bei Projekten der Organisationsentwicklung, die idealerweise auf partizipativen Entscheidungsformen aufbauen, durchaus herausfordernd sein kann. Die Autonomie der Erwachsenenbildner*innen, die sie in ihren Bildungsveranstaltungen haben, führt auch dazu, dass es schwierig sein kann, gemeinsame Meinungsbildung in der Organisation herbei zu führen. In der Praxis bedeutet das meistens, dass mehr Zeit dafür eingeplant werden muss, um die Beteiligten in der Einübung kollektiver Prozesse zu begleiten. Hilfreich ist ebenfalls, dass die gemeinsame Meinungsbildung gut strukturiert wird – dazu dienen systematische Verfahren (siehe Überblick auf partizipation.at). Damit Personen dafür auch Zeit haben, muss Beteiligung an OE-Prozessen in Arbeitsverträgen bzw. Ressourcenplanungen vorgesehen werden.

Empfehlung 4: An werte-basierter Organisationskultur anknüpfen und Gestaltungsspielräume vorsehen

Ein großer Vorteil für OE-Prozesse in Organisationen der Erwachsenenbildung liegt in einer vierten Besonderheit der Branche: Während Produkt- oder Dienstleistungsorganisationen in hohem Maße von Technik und den sozialen Beziehungen untereinander geprägt sind, werden Einrichtungen der Erwachsenenbildung vor allem von Werten, gemeinsamen Ideen und einer verbindenden Organisationskultur getragen (siehe auch Buch: „Dynamische Unternehmensentwicklung"). Initiativen für mehr Nachhaltigkeit sind daher erfolgsversprechender, wenn sie an der Berufsethik und dem Qualitätsverständnis der Erwachsenenbildner*innen anknüpfen und standardisierte QM-Prozesse erst nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Zielen und Werten einführen.

Tippelt/Lindemann 2018 weisen zudem darauf hin, dass starre Strukturen das professionelle Handeln in der Erwachsenenbildung beeinträchtigen und zu verminderter Qualität führen. Eine Vorgehensweise, die den pädagogischen Akteur*innen auch „autonome und eigenverantwortliche Gestaltungsräume zugesteht“, trägt zur „Professionalität und zur Qualität“ bei.

Empfehlung 5: Raum für notwendige Konflikte vorsehen

Die hohe individuelle Autonomie der Akteur*innen in Bildungsorganisationen führt auch zu einer fünften Besonderheit:

Im Unterschied zu anderen Branchen entzünden sich Konflikte ebenfalls an den zentralen Werten der Profession: Durch ein sehr strukturiert vorgegebenes Verfahren z.B. bei Einführung eines Umweltmanagementsystems fühlen sich Erwachsenenbildner*innen beispielweise in ihrer Freiheit und Kreativität eingeschränkt. Sie unterscheiden häufig nicht, dass ihre individuellen Freiräume – die für die Initiierung von Lernprozessen qualitätssichernd sind - nicht für organisationsspezifische Aspekte ihrer Aufgaben gelten: Wie also womöglich die Kommunikationsstrukturen in einer Einrichtung gestaltet sind, wie Urlaubsvertretungen gehandhabt oder wie auch Klimaschutzmaßnahmen gesetzt werden, liegt nicht im persönlichen Entscheidungsraum der einzelnen Personen, sondern richtet sich nach verbindlichen Regeln und Praxen der Organisation.

Die Orientierung an der eigenen Berufsethik und damit verbundene hohe pädagogische Qualitätsvorstellungen sind zudem mit starken eigenen Überzeugungen verknüpft. Das wiederum mündet darin, dass Personen „nicht in der Lage [sind], ihre persönlichen Auffassungen innerhalb eines verbindlichen Gesamtrahmens der Policy der Gesamtorganisation zu verfolgen“ (Glasl 2020). Während also im pädagogischen Setting die individuelle Fachlichkeit und das eigene Qualitätsverständnis leitend ist (und sein soll), ist in Bezug auf die Organisation eine vorgegebene oder vereinbarte Regelung für alle der relevante Bezugspunkt, dem sich einzelne Personen in einem gewissen Maße auch „unterordnen“ müssen, um das Funktionieren der Organisation zu gewährleisten. Das gleiche gilt für die Akzeptanz eines „Informationsmonopols“, wie es z.B. Klimaschutz-Beauftragte repräsentieren (siehe Buch Konfliktmanagement).

Nachhaltigkeitsinitiativen in Bildungseinrichtungen bergen also Konfliktpotenzial. Für die Implementierung von Klimaschutz in der Erwachsenenbildung ist es daher ratsam, explizit Formate für Grundsatzdiskussionen vorzusehen, in denen auch die Logiken verschiedener Sub-Systeme einer Organisation thematisiert, gegenseitig Bedürfnisse (nach Freiräumen oder nach Regelhaftigkeit) diskutiert und zur gegenseitigen Akzeptanz geleitet werden.

 

Über die Autorinnen: Andrea Widmann und Karin Dullnig sind für die "Ich tu's"-Initiative "Klimaschutz in der Erwachsenenbildung" tätig. Andrea Widmann (hochschulberatung.at) ist für die pädagogische und didaktische Projektberatung zuständig. Karin Dullnig setzt mit ecoversum Schulungen und Projekte rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz um. Julia Seyss-Inquart ist Erziehungswissenschafterin und bietet als Beraterin Supervision, Kommunikationstrainings, Coaching und Prozessberatung an. 

 

Serie und Dossier zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Hochwasser, Waldbrände, Hungersnot – Expert*innen der Klimaforschung warnen vor den Folgen extremer Wettereignisse durch den Klimawandel. Verschiedene politische Strategien wie etwa der UN-Aktionsplan Agenda 2030 versuchen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei sehen sie auch Bildungsinstitutionen gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten, Diskurse zu ermöglichen und „grüne“ Kompetenzen zu fördern. Wo setzt hier die Erwachsenenbildung an? In der Serie „Klima- und Umweltschutzbildung“ versammeln wir Beiträge, die sich dieser Frage widmen und Antworten geben. 

Was können wir in der Erwachsenenbildung in unserem eigenen Wirkungsbereich noch für den Klimaschutz tun? Tipps und Hintergründe rund um Klimaschutz in der Erwachsenenbildung – unter dem Dach der Nachhaltigkeitsperspektive – finden Sie in unserem Dossier „Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Erwachsenenbildung“!

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