Matthias Fenkart ist Erwachsenenbildner 2024!

19.04.2024, Text: Sabine Schnepfleitner, Redaktion/CONEDU
Mit einer Lehr- und Lernplattform für Gebärdensprache hat Matthias Fenkart den Staatspreis gewonnen. Im Gespräch erzählt er über digitale Chancen und Hürden für gehörlose Menschen.
Preisträger Matthias Fenkart (Mitte) bei der Verleihung des Staatspreises für Erwachsenenbildung mit BM Martin Polaschek (links) und Jurymitglied Gudrun Feucht (rechts).
Foto: Alle Rechte vorbehalten, BMBWF/Sabine Klimpt, auf erwachsenenbildung.at

Matthias Fenkart ist Prokurist, Schulungsmanager und Projektleiter für digitale Entwicklung bei equalizent, einem Schulungs- und Beratungsanbieter für gehörlose Menschen und für Gebärdensprache. Er ist selbst gehörlos und arbeitet seit 20 Jahren an der Schnittstelle Digitalisierung und Erwachsenenbildung für gehörlose Menschen. Als Leiter des Projekts „DLL – Digitales Lehren und Lernen“ (DLL) wurde er mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnet.

Jurymitglied Gudrun Feucht begründet diese Entscheidung in der Laudatio, dass die Arbeit Matthias Fenkarts ein Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven und zukunftsorientierten Erwachsenenbildung sei, den Herausforderungen der Digitalisierung begegne und Chancen für alle biete.

Im Gespräch mit der Redaktion erzählt Matthias Fenkart über die anfängliche Skepsis gegenüber Digitalisierung im Projekt, über Partizipation auf Augenhöhe als Schlüssel des Erfolgs und über die Herausforderungen für Gehörlose in einer digitalen Gesellschaft.

Online-Lernressourcen von und für Gehörlose

„Gehörlose Menschen stoßen im Bildungssystem auf viele Barrieren. Bei equalizent versuchen wir unter anderem Bildungsdefizite aufzuarbeiten. Vor allem auch durch digitale Lösungen. Der große Vorteil von Digitalisierung ist, dass sie es möglich macht, den Lernprozess zu adaptieren und zu individualisieren“, erklärt Fenkart. Geht es um die Bildung und Beratung für gehörlose Menschen, ist equalizent zentraler Anbieter in Österreich. Von Anfang an unterstützte und förderte das Sozialministeriumsservice, Landesstelle Wien, das Schulungszentrum darin, Bildung für gehörlose Menschen barrierefreier zu machen.

Drei wesentliche Komponenten haben die Idee des ausgezeichneten Projekts DLL und ihre Weiterentwicklung geprägt: Digitalisierung, Deaf Didaktik (eine Unterrichtsmethode zur Gebärdensprache) und aktive Partizipation. Entstanden ist eine multimediale Plattform für Trainer*innen und Lernende, mit Lehr- und Lernressourcen für gehörlose Menschen in unterschiedlichen Formaten. Neben klassischen Arbeitsblättern gibt es Gebärdensprach-Videos, Online-Spiele wie beispielsweise ein Memory aus Gebärde und Wort oder Gebärde und Bild, und verschiedene Online-Tools. Trainer*innen und Mitwirkende bleiben über ein integriertes Intranet im Austausch.  

Neuer Lehr- und Lernalltag mit Deaf Didaktik und digitalen Tools

Gebärdensprache ist eine visuell-räumliche Sprache. Eine Herausforderung der digitalen Lernplattform bestand darin, die Materialien demnach so zu gestalten, dass sie für gehörlose Lernende gut nutzbar sind. Deaf Didaktik ist eine Unterrichtsmethode, die sich mit den Prinzipien zur Vermittlung von Wissen in Gebärdensprache auseinandersetzt. Ziel war eine zielgruppengerechte digitale Lernplattform.

Am Anfang gab es Skepsis bei den Lehrenden, erzählt Fenkart. „Die Trainer*innen waren zufrieden mit der Methode und den Unterlagen, die sie bisher für sich verwendet hatten und sahen keinen Bedarf für Veränderung. Da war ein Umdenken gefordert. … Immer wieder haben wir die Vorteile des Systems erklärt. Am Anfang war es mühsam, aber es hat geklappt.“ Die Argumente, alle relevanten Informationen an einem Platz zu haben, das System als Austausch-Plattform nutzen zu können und deafdidaktisch aufbereitete Materialien jederzeit zur Verfügung zu haben, haben schlussendlich überzeugt.

Partizipation und Bewusstseinsbildung als Erfolgsfaktoren

Das Gelingen des Projekts schreibt Fenkart vor allem der aktiven Partizipation zu: „Wir lernen und entwickeln hier gemeinsam und auf Augenhöhe. Bei DLL war aktive Partizipation von Anfang an ein fixer Bestandteil. Das Projekt haben wir mit den Trainer*innen gemeinsam entwickelt.“ Im Fokus stand die Frage an die Trainer*innen „Was braucht ihr?“. Vorhandene Materialien wurden den Antworten entsprechend  weiterentwickelt, auf Basis der deafdidaktischen Prinzipien und neuer Umsetzungsformate durch die Digitalisierung. Das Entwickler*innen-Team war dabei ständig mit Trainer*innen und Lernenden im Austausch.

Dass DLL heute selbstverständlich im Lehr- und Lernalltag integriert ist, sei einer kontinuierlichen Bewusstseinsbildung geschuldet, so Fenkart. „Wir haben dazu Weiterbildungen angeboten, es gab Handbücher und Austauschgruppen von verschiedenen Fachrichtungen. Aber vielmehr war es ein unbewusster Prozess. Wir haben die Inhalte von DLL immer wieder en passant mitgenommen und auf das System referenziert. So sind die Trainer*innen dann hineingewachsen.“

KI als Chance für gehörlose Menschen?

Digitalisierung hat aus Sicht von Fenkart die Gesellschaft barrierefreier gemacht. Mit den Möglichkeiten der KI kommt nun ein weiterer Aspekt in der digitalen Welt hinzu. Öffnet die KI auch für gehörlose Menschen Türen? „Die KI ist derzeit sehr textlastig. Um sie nutzen zu können, muss man die deutsche Schriftsprache halbwegs gut beherrschen. Für die meisten gehörlosen Menschen ist das eine Schwierigkeit.“ Die KI kommuniziere nicht einfach und nicht eindeutig. Das mache die Ergebnisse für Gehörlose oft unbrauchbar. Eigene Angebote in Gebärdensprache gebe es noch kaum. „Auf der KI liegt auch mein Fokus für die Weiterentwicklung von DLL. Ich bin dabei einen Weg zu finden, wie sie in die Lehre mit gehörlosen Menschen eingebunden werden kann.“

Die Erstsprache von gehörlosen Menschen ist Gebärdensprache - auch online!

„Unsere Gesellschaft hat bestimmte Normen. Die Norm der Kommunikation ist die Lautsprache. Die Erstsprache von gehörlosen Personen ist die Gebärdensprache und die fehlt in vielen Bereichen – nach wie vor!“ Als nur ein Beispiel nennt Fenkart den Museumsbesuch, bei dem Besucher*innen mit Audio-Guides in 20 unterschiedlichen Lautsprachen begleitet werden. Die Gebärdensprache fehle oftmals. Dabei könne es mit Video-Guides gut gelöst werden.

Gehörlose Menschen stünden auch in der digitalen Welt vor großen Herausforderungen. Die Gebärdensprache ist die Erstsprache von Gehörlosen. Deutsch ist die Zweitsprache. Das gilt auch für den schriftlichen Text. Die deutsche Grammatik und komplexe Inhalte seien für viele gehörlose Menschen nur schwer zugänglich. Eine große Lücke gäbe es damit im Bereich E-Governance, so Fenkart. Anträge seien komplexe Textdokumente. Die Kommunikation mit Chat-Bots, die mit Erklärungen unterstützen sollen, sei ebenso sprachlich herausfordernd. Schlussendlich brauche es den persönlichen Behördengang begleitet von Dolmetscher*innen, was wieder Kosten verursache.

Die menschlichen Barrieren sind die schwierigen, nicht die technischen

„Die Digitalisierung hat die Situation für Gehörlose verbessert. Trotzdem gibt es noch sehr viele Baustellen. Es fehlen Gesetze und es gibt Diskriminierung, vor allem auch im Bildungsbereich oder der Berufsorientierung“, resümiert Matthias Fenkart. Möchte sich eine Person beispielsweise umschulen lassen, sei das eine Frage der Dolmetschkosten und somit der Willkür der Behörden unterworfen. Die Dolmetschkosten fallen nicht nur für die Beratung, sondern auch für die Aus- und Weiterbildung an. Das sei teuer, und damit bleibe die Person dann meist im ersten (veralteten) Beruf. „In den Köpfen der Menschen gibt es so viele Meinungen und Vorurteile, vor allem in Richtung: ‚Oh, das ist schwierig mit Gehörlosen!‘ Da braucht es noch sehr viel Aufklärungsarbeit." Für ein besseres Verstehen vom Leben als gehörlose Person hat Fenkart einen besonderen Tipp: „Besuchen Sie die Ausstellung HANDS UP in Wien. Wir haben HANDS UP gegründet, um Hörende für die Lebensbedingungen gehörloser Menschen zu sensibilisieren. Diese können sehr gut selbstständig leben und arbeiten. Aber dafür brauchen sie barrierefreie Bedingungen. Und die müssen in vielen Bereichen erst geschaffen werden.“

Der Österreichische Staatspreis für Erwachsenenbildung 2024

Der Staatspreis für Erwachsenenbildung wurde in diesem Jahr in drei Kategorien vergeben. Matthias Fenkart wurde mit dem Projekt „DLL – Digitales Lehren und Lernen“ zum Erwachsenenbildner 2024 – Kategorie Digitalisierung gewählt.

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