Micro-Credentials: Potenziale in der Erwachsenenbildung

04.08.2023, Text: Birgit Aschemann, Redaktion/CONEDU
Microcredentials sind seit 2021 auf der Agenda der EU - jetzt werden ihre Potenziale für die österreichische Erwachsenenbildung beforscht.
Viele Abzeichen als Symbol für Microcredentials.
Micro-Credentials heben den Wert kleiner Lerneinheiten hervor.
Foto: Unsplash Lizenz, Robert Anasch, https://unsplash.com

Eine Ratsempfehlung gibt den Weg vor

Seit Dezember 2021 existiert eine Empfehlung des Rates der Europäischen Union für EU-weite Micro-Credentials. In dieser Empfehlung werden Micro-Credentials definiert als Nachweise über die Lernergebnisse, die eine Lernende bzw. ein Lernender im Rahmen einer weniger umfangreichen (qualitätsgesicherten) Lerneinheit (nachweislich) erzielt hat. Den Bedarf danach begründet die Europäische Kommission mit einem steigenden Weiterbildungs- und Umschulungsbedarf, der Nachfrage nach flexibleren Lernangeboten und der generellen Notwendigkeit einer „wirksamen Kultur des lebenslangen Lernens“. Micro-Credentials sollen außerdem die Inklusion fördern und zur Erleichterung des Zugangs zu Bildung und Ausbildung für ein breiteres Spektrum von Lernenden beitragen, so die Empfehlung.

 

Als Anbieter von Micro-Credentials werden Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung ebenso wie Sozialpartner, Arbeitgeber und Industrie, Organisationen der Zivilgesellschaft und nationale Behörden angesprochen. Richtlinien für die Gestaltung von Micro-Credentials wurden veröffentlicht.

Unterstützung für Anliegen der Erwachsenenbildung

Das formulierte Ideal in der Ratsempfehlung kommt einigen genuinen Anliegen der Erwachsenenbildung entgegen: Lernende sollen auch für kleinere Lerneinheiten sichtbare Anerkennung erhalten und das Zusammenbauen von Micro-Credentials zu einer größeren Qualifikation oder Bildungseinheit soll motivierend wirken und auch eine internationale Anerkennung ermöglichen.

 

Angebote der Erwachsenenbildung sind typischerweise als solche kleine Lerneinheiten konzipiert. Lebenslanges Lernen kann attraktiver werden, wenn auch schon kleine Einheiten sichtbar etwas wert sind. Wenn sie „stapelbar“ mit anderen zusammengesetzt werden können, fördert das ihre Verwertbarkeit. Gleichzeitig unterstützen die definierten Vorgaben für Micro-Credentials eine zielgerichtete kompetenzorientierte Ausrichtung der Bildungsangebote.

 

Die Europäische Kommission sieht weitere Potenziale für Lernende, Anbieter und Arbeitgeber.

Umsetzung in Europa: Belege der CEDEFOP

Die Umsetzung in Europa wird im Auftrag der Europäischen Kommission von CEDEFOP beforscht. Am 22. und 23. Juni 2023 hat dazu eine Konferenz stattgefunden, bei der die bisherigen Forschungsergebnisse vorgestellt und weitere Potenziale diskutiert wurden. Die Ergebnisse belegen ebenso wie der letzte einschlägige CEDEFOP-Bericht, dass es in der europäischen Erwachsenenbildung bereits diverse lohnende Umsetzungen, aber auch noch reichlich ungenutztes Potenzial zum Thema gibt. Auf der Konferenzwebsite sind Details in Form von Präsentationen und Aufzeichnungen verfügbar 

Praxis in Österreich: Universitäten als erste Umsetzer

In Österreich sind bisher vor allem die Universitäten in die praktische Umsetzung gegangen.

 

Dabei hinterlegen sie in der Regel ihre eigenen Weiterbildungsangebote mit Micro-Credentials und setzen diese soweit möglich kombinierbar zu größeren Einheiten zusammen, um sie auf diese Weise für Lerninteressierte attraktiver zu gestalten.

 

Im universitären Diskurs wurde unter anderem der Anspruch laut, dass Micro-Credentials nur von Universitäten vergeben werden dürfen. Das deckt sich nicht mit der EU-Ratsempfehlung, jedoch ist die Vergabe von ECTS den Universitäten vorbehalten.

 

In der Praxis ist es an österreichischen Universitäten derzeit eher die Ausnahme (und am ehesten von einer Weiterbildungsuniversität zu erwarten), wenn für neue Anerkennungswege wie  Micro-Credentials mit klassischen Anbietern bzw. Angeboten der Erwachsenenbildung kooperiert wird.

Erster Umsetzungsvorschlag für die österreichische Erwachsenenbildung

Im EU-Projekt Micro-Quest arbeitet der österreichische Verein Auxilium zusammen mit der Wirtschaftskammer Steiermark sowie internationalen Partnern daran, einen standardisierten und abgesicherten Weg für die Anerkennung von Micro-Credentials vorzuzeichnen. Die bestehende Qualitätsrichtlinie ISO 17024 spielt dabei eine wichtige Rolle.

 

Angekündigt ist dafür ein Leitfaden für Bildungseinrichtungen, die Micro-Credentials einsetzen wollen. Bereits im Herbst 2023 sollen Schulungen für Bildungseinrichtungen angeboten werden, die für die Vergabe von Micro-Credentials den im Projekt empfohlenen Weg gehen möchten.  Ein Netzwerk ist im Aufbau und bietet Zugang zu aktuellen Informationen.

Forschung und Abklärung beauftragt

Tatsächlich ist in Zusammenhang mit Micro-Credentials noch einiges zu klären. Wie können sie wirklich "stapelbar" gestaltet werden? Wie hoch ist die Bereitschaft und das potenzielle Investment bei Bildungsanbietern? Wie sieht es aus mit Anerkennung und Interessen der Unternehmen bzw. generell am Arbeitsmarkt? Welches Interesse besteht seitens der Lernenden? Sind punktuelle Verbindungen mit Universitäten dennoch möglich und wünschenswert? Und wäre eine österreichweite Standardlösung für die Erwachsenenbildung sinnvoll und umsetzbar? Wie können verfügbare Micro-Credentials für eine über-institutionelle Nutzung katalogisiert werden? Wie kann verhindert werden, dass Micro-Credentials ähnlich wie ECVET-Punkte verblassen?  

 

Eine Investition von Zeit und Ressourcen in das Anerkennungsmodell der Micro-Credentials will gut überlegt und vorbereitet sein. Der Arbeitsbereich DigiProf von erwachsenenbildung.at wurde vom BMBWF (Abteilung Erwachsenenbildung) im laufenden Arbeitsjahr mit der ersten Beforschung dieser Situation beauftragt und hat dazu eine empirische Erhebung in Form von Desktop-Research und Expert*innen-Befragungen umgesetzt. Wer sich derzeit ebenfalls forschend oder entwickelnd mit der Thematik in Österreich auseinandersetzt ist herzlich zur Kontaktaufnahme eingeladen. Eine Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse ist bis Jahresende zu erwarten.

Weitere Informationen
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