Buch: Go west - learn free

21.10.2010, Text: Anneliese Heilinger, Redaktion: Wilfried Hackl (seit 2016: Wilfried Frei), Redaktion/CONEDU
Eine Bildungsforscherin gönnt sich und ihren drei Kindern ein Auslandsjahr in Canada. Ihre Erzählung bildet den Ausgangspunkt "Narrativer Empirie".
Die Autorin Ute Twrdy sowie ihre Kinder Ella, Lasse und Sophia machen sich auf den Weg. Der Familienbeschluss: ein Auslandsjahr; geografisches Ziel: das englisch sprechende Canada. Übergeordnetes Ziel: eine Bildungsreise eigener Art, öffentlich gemacht dadurch, dass die Erlebnisse von Ute Twrdy erzählt und reflektiert werden. So will Twrdy mittels Narrativer Empirie qualitative Forschung betreiben. In diesem erzählten Jahr bleibt Ute Ute, die Kinder suchen sich Namen für die Erzählung aus. Sie sind im Alter von 9, 13 und 15. Erzählt werden Alltagsgeschichten und Besonderheiten. Freilich ist zu Beginn der Alltag in Montréal allemal Besonderheit.

Twrdy, für die ihre Tagebucheintragungen Grundlage für ihre Dissertation sein werden, erzählt von dem, was sie und die Kinder erstaunt, was sie erfreut und tief berührt, bereichert, was sie traurig macht, was unterschiedlich zur Heimat (Kärnten) erlebt wird. Die Kinder vermissen manchmal ihre Freunde zu Hause oder andere Selbstverständlichkeiten. Was sie gewinnen sind Erfahrungen, die viele von uns ein Leben lang nicht machen. Sie lernen dieses neue Land, die Menschen dort und viele ihrer Verhaltensweisen tief kennen und lieben. Freilich sind auch Frustrationserlebnisse, Niederlagen und Misserfolge nicht zu vermeiden. Insgesamt bewähren sie sich großartig in einem vorerst fremden Kulturkreis und Land.

Was genau verfolgt Twrdy? Sie geht Bildungsprozessen nach: das Selbstverständliche verlassen, Neues (im Denken und im Erleben) wagen, den Horizont erweitern und eigene Wege finden. Sie erlebt und beobachtet auch, wo Bildung Kontinuität braucht, wie Bilder und Vorbilder wirken.
In kleinen theoretischen Ausflügen, die sie da und dort zwischen Kapitel stellt, geht sie den Begriffen und Theorieaspekten zum interkulturellen Lernen nach. Zum Beispiel dem Begriff der Kultur, als Ordnungssystem, als Art und Weise, wie Menschen ihr Leben und ihr Zusammenleben bewusst und unbewusst gestalten (vgl. S. 37, auch 55f. oder 55ff., 81).

"Das Leben bildet. Wären alle Eltern so gebildet, wie sie wünschen, dass ihre Kinder es werden, es genügte, das Leben mit ihnen zu teilen - und Zeit zu haben." (Hartmut von Hentig) So steht es am Beginn des Buches. Genau das scheinen die Alleinerzieherin Twrdy und ihre Kinder praktiziert zu haben.

Sei noch zu erwähnen, dass die Dissertation (das Buch) die akademischen Gemüter erhitzt und in zwei Lager spaltet. "Ist das Wissenschaft? Darf es das sein?", die einen. "Wunderbar, dass jemand bestehendes theoretisches Wissen in dieser Form an Erlebtem verarbeitet und gleichzeitig in dieser speziellen Art an Theorieentwicklung mitwirkt.", die anderen.

Ute Twrdys Buch bietet LeserInnen vieles: eine vergnügliche Schilderung des Lebens und Treibens von KärntnerInnen in einem fremden Land, die berührende Geschichte einer Mutter mit drei Kindern, die ein Lebensabenteuer wagen, trotz geringer finanzieller Mittel ein Bildungsgeschenk einer Mutter an ihre Kinder, die Reflexionsarbeit einer Wissenschafterin, die interkulturelles Lernen hautnah erlebt, reflektiert und in theoretische Zusammenhänge einbettet, über wissenschaftliche Ausflüge ordnet und einordnet. Und nicht zuletzt bietet dieses Buch ein sprachlich und stilistisch hervorragendes, amüsantes, auch lehrreiches Lesevergnügen.

Ute Twrdy: Go west - learn free
Sieben Koffer, drei Kinder und ein Auslandsjahr in Canada.
Qualitative Forschung mittels Narrativer Empirie.
Profil Verlag, München-Wien 2010, 182 Seiten.
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