Publikation zu Nationalsozialismus und Volksbildung
Erwachsenenbildung und Nationalsozialismus: ein Widerspruch?
Obwohl sich Volksbildung und NS-Ideologie eigentlich kategorisch ausschließen – hier die demokratieförderliche Anleitung zum selbstständigen Denken, dort die auf rassistischen Grundsätzen basierende Führergläubigkeit – gab es sehr wohl Erwachsenenbildung in der NS-Zeit.
Es existierte ein Angebot an (propagandistischen) Vorträgen, Kursen und kulturellen Veranstaltungen, deren Programmgestaltung den NS-Gauleitungen oblag. Nicht mehr "Denken lernen", sondern die Schulung der NSDAP-Mitglieder und die Erziehung "der Deutschen" im nationalsozialistischen Sinne waren nun Bildungsziele. Die "Volksbildungsstätten", wie die Volkshochschulen nun hießen, waren nur für "arische Volksgenossen" zugänglich. Jüdische und politisch unliebsame KursleiterInnen, administrative Kräfte und Volkshochschulleiter wurden entlassen, inhaftiert, vertrieben oder ermordet.
Die "Spurensuche" beschränkt sich allerdings nicht auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, sondern nimmt ebenso die Vor- und Nachgeschichte in den Blick. Denn weder brach die mörderische NS-Ideologie aus heiterem Himmel in Österreich und Deutschland aus, noch markierte das Jahr 1945 eine "Stunde Null". Deutlich wird das vor allem an den Biografien der VolksbildnerInnen selbst, die ein breites Spektrum von menschlichen Schicksalen und Handlungsmöglichkeiten zeichnen: von den "illegalen" Nationalsozialisten, die nach dem "Anschluss" nur Farbe bekennen mussten, über die OpportunistInnen, die sich mehr oder weniger missmutig anpassten, zu den aus rassistischen und politischen Gründen aus den Volkshochschulen verbannten, verfolgten oder ermordeten Opfern des Nationalsozialismus.
Hier gibt es ein paar Einblicke in die Beiträge:
Entwicklungen vor 1933 beziehungsweise 1938
Celine Wawruschka thematisiert in ihrem Beitrag völkisches Gedankengut in der frühen Volksbildung in Niederösterreich und Wien und beschäftigt sich so mit einem wenig bekannten Kapitel der österreichischen Erwachsenenbildungshistoriografie.
Dass weder die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland noch der "Anschluss" in Österreich den klar markierten Ausbruch antijüdischer Gewalt bedeuteten, zeigt Bernd Käpplinger. In seinem Beitrag geht er auf Leben und Wirken des deutschen Volksbildners Hermann Heller ein, der bereits vor 1933 wüsten antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war.
Volksbildung während des Nationalsozialismus in Deutschland – einige Annäherungen
Ein Fallbeispiel aus dem deutschen Raum liefern Hannelore Bastian und Antje von Rein mit ihrem Beitrag über die Volkshochschule Hamburg in der NS-Zeit. Ihr abschließendes Resümee für den Neubeginn nach 1945 fällt ernüchternd aus: Nicht nur, dass es Kontinuitäten auf institutioneller und personeller Ebene gab, entfiel auch die geplante "Re-Education" auf progammatisch-inhaltlicher Ebene.
Matthias Alke und Maria Stimm setzen bei ihrer Untersuchung der Nazifizierung der Volkshochschule Berlin etwas andere Schwerpunkte: Sie zeigen auf, wie die neuen Machthaber versuchten, durch die Übernahme von grafischen und sprachlichen Elementen ein Anknüpfen an die Tradition der Volkshochschulbewegung zu suggerieren.
Institutionelle Einbettung der Volksbildung in der NS-Zeit
Zwei Aufsätze fokussieren auf die Veränderungen in organisatorischer Hinsicht: Georg Fischer thematisiert in seinem Beitrag über das "Deutsche Volksbildungswerk", auf welche neue institutionelle Grundlage die Volksbildung im Nationalsozialismus gestellt wurde. Das "Volksbildungswerk" unterstand der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude", die wiederum Teil der Einheits-"Gewerkschaft" der "Deutschen Arbeitsfront" war.
Thomas Dostal zeichnet dann die Eingliederung der österreichischen Volkshochschulen in das "Deutsche Volksbildungswerk" nach, die von einer Selbst-Gleichschaltung und Selbst-Provinzialisierung gekennzeichnet war. Dostal beschreibt, wie die BesucherInnen auf diese Änderungen reagierten, welche Kurse gemieden und welche trotz der neuen politischen Ausrichtung besucht wurden.
Biografische Skizzen von ErwachsenenbildnerInnen im Nationalsozialismus
Akribisch nähern sich Christian H. Stifter und Robert Streibel der Neuordnung der Wiener Volkshochschulen vor allem auf personeller Ebene an. Genauso wie nach 1945 niemand Nationalsozialist gewesen sein wollte, so trachteten nach dem März 1938 viele danach, genau das unter Beweis zu stellen. Philippine Faber etwa, die 1937/38 im Rahmen des austrofaschistischen "Mutterschutzwerkes" Kurse gehalten hatte, bekannte sich auf einem Erfassungsbogen nach dem "Anschluss" – für Stifters und Streibels Beitrag titelgebend – nunmehr "freudig zum National-Sozialismus".
Die "Anpassungsfähigkeit" Einzelner war groß – das thematisiert auch Bernhard Schoßig in seinem Artikel über den österreichischen Erwachsenenbildner Karl Witthalm, dessen Karriere – nach 1945 wurde er zum Direktor der Volkshochschule München bestellt – sich fast ungebrochen über vier sehr unterschiedliche politische Systeme zog. Eine wesentlich anders gelagerte Biografie skizziert Christian H. Stifter in einem Artikel über den botanischen Genetiker und Volksbildner Hugo Iltis, der vehementer Kritiker der NS-Rassenideologie war.
Der "Spurensuche"-Band endet mit dem Gedenken an jene Menschen, die Opfer des NS-Regimes wurden. Jüdischen Mäzenen und Mäzinnen, die den Bau der Volkshochschule Ottakring ermöglichten, wurde ebendort im November 2019 mit zwei Erinnerungstafeln gedacht.
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