Politische Bildung mit der Sprache des Theaters

19.11.2013, Text: Bianca Friesenbichler, Redaktion/CONEDU
InterACT, die Werkstatt für Theater und Soziokultur, wurde für interaktive, partizipative und politische Theaterarbeit mit dem Staatspreis für Erwachsenenbildung 2013 ausgezeichnet.
Auseinandersetzung mit ges. Problemfeldern mittels Theater
Foto: (C) InterACT
Jubelrufe ertönten im Saal des Odeon Theaters in Wien vergangene Woche. Als Bildungsministerin Dr. Claudia Schmied verkündete, dass die steirische Werkstatt für Theater und Soziokultur, InterACT, den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung 2013 in der Kategorie "Themenschwerpunkt 2013: Politische Bildung" erhalten habe, erhoben sich die Ausgezeichneten mit Begeisterung von den Plätzen. In seiner vorangehenden Laudatio hatte Juror Niki Harramach, langjähriger Sprecher der WirtschaftstrainerInnen in der Wirtschaftskammer Österreich, vor allem den kreativen und interaktiven Zugang zu politischer Bildung hervorgehoben und InterACT als nachhaltige Initiative bezeichnet. Seit 1999 macht das Ensemble rund um den künstlerischen Gesamtleiter und Geschäftsführer Michael Wrentschur Theater und szenisches Spiel für eine Kultur des Zusammenlebens nutzbar. Wrentschur, der auch Universitätsassistent am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz ist, gab im Interview konkrete Einblicke in die Arbeit von InterACT.

 

InterACT verbindet politische Bildung, Soziale Arbeit und Kunst

Die Arbeit von InterACT wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, berichtet Wrentschur. 2007 erhielt der Verein vom BMUKK den "Würdigungspreis für Projekte der Kunst im sozialen Raum". 2010 folgte mit der "Sozialmarie" für soziale Innovation - ausgelobt von der Unruhe Privatstiftung - ein weiterer wichtiger Preis. Jetzt ist mit dem Staatspreis für Erwachsenenbildung 2013 für innovative politische Bildungsarbeit eine dritte Preiskategorie hinzugekommen. Der künstlerische Gesamtleiter und Geschäftsführer von InterACT, Michael Wrentschur freut sich über diese Mehrfachauszeichnung aus dem Kunstbereich, dem Sozialbereich und schließlich dem Bereich der Erwachsenenbildung. Dies spiegle sehr genau wider, worum es InterACT geht und wo sich der Verein bewegt. "Theater ist eine universale Sprache, ein Kulturgut, dass uns zur Verfügung steht - weltweit - mit dem Vorteil, dass es dabei nicht nur um die verbale Sprache, sondern auch um nonverbale Ausdrucksformen und um das Handeln geht", betont Wrentschur. Die Menschen seien oft selbst überrascht, wie gut es ihnen mit dieser Sprache gehe. Sie fordere die Mitspielenden aber durchaus heraus und zwinge zur ästhetischen Verdichtung von lebensweltlichen Erfahrungen.

 

Stimmen von "Ungehörten" in die Öffentlichkeit geholt

InterACT ist eine in der Steiermark angesiedelte, aber weit darüber hinaus tätige Theater- und Kulturinitiative, die mittels des Theaters zu politischer Partizipation und Empowerment beitragen will. Theater als ästhetische Ausdrucksform wird dabei für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problem- und Konfliktfeldern nutzbar gemacht. Über die Sprache des Theaters werden Stimmen von Menschen in die Öffentlichkeit geholt, denen sonst oft kein Gehör geschenkt wird. Dazu zählen zum Beispiel armutserfahrene, arbeitslose oder wohnungslose Menschen, von Ausgrenzung betroffene Jugendliche, MigrantInnen, Menschen mit Behinderungen. Über die Theaterarbeit soll zu einer Kultur des Dialogs und des Zusammenlebens sowie zu persönlichen, sozialen und politischen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen beigetragen werden.

 

Brückenfunktion zwischen Betroffenen und Politik

"Das Spezielle an unserer Arbeit ist, dass wir die Öffentlichkeit einbeziehen und eine Brückenfunktion zu politischen Verantwortungsträgern übernehmen", erläutert Wrentschur. InterACT arbeitet zu bestimmen Themen, mit bestimmten Gruppen. Dabei gehe es letztlich immer um die Auseinandersetzung mit bestehenden Machtverhältnissen, politischen Strukturen, Rahmenbedingungen und Rechten und deren Zusammenhang zu alltäglichen und lebensweltlichen Erfahrungen.

 

Überlegte Projektarbeit auf verschiedenen Ebenen

Den Ablauf von InterACT-Projekten beschreibt Wrentschur folgendermaßen: In einer ersten Phase vernetze sich InterACT mit einschlägigen Institutionen und Initiativen, um jene Menschen, die von den Themen - wie etwa Armut - unmittelbar betroffen sind, einbeziehen zu können. In Workshops werden Betroffene dann dazu ermutigt, sich der Sprache des Theaters zu bemächtigen, um ihre Probleme und Anliegen zum Ausdruck zu bringen. - Ein Zugang, der für viele neu und daher anfangs befremdlich sei, dessen Anfangshürden sich aber stets bald auflösen, beschreibt Wrentschur seine Erfahrungen. Vielen TeilnehmerInnen werde oft erst dadurch bewusst, dass sie ihre Probleme und Anliegen mit anderen teilen; die kollektive und verbindende Kraft, die dem Theater innewohnt, werde erlebbar.

 

Ausgehend von diesem Prozess werden Szenen und Theaterstücke entwickelt, die schließlich in der Öffentlichkeit aufgeführt werden. Was die Öffentlichkeit damit zu sehen bekommt, sind Geschichten, die reale Lebenssituationen darstellen - keine Nacherzählungen tatsächlicher Ereignisse, aber real mögliche Erlebnisse. Die Theater-Spielenden treten mit den ZuseherInnen in Dialog und fragen nach Ideen für Möglichkeiten und nach den Handlungsspielräumen für die Betroffenen, gleichzeitig aber auch nach den Strukturen und Grenzen, die solche Spielräume verkleinern.


Diese Theaterform nennt sich Forumtheater. Als Dialogform inkludiert sie eine Einladung an das Publikum mitzuspielen, wenn jemand eine Idee zu einer dargestellten Situation hat. Damit werden Handlungsräume und strukturelle Änderungsanforderungen aufgezeigt, das Publikum ist an der kreativen und inhaltlichen Auseinandersetzung beteiligt. Es bekommt nicht nur Einblick in die Lebenswelten der Betroffenen, diese werden vielmehr erlebbar.


Sämtliche Lösungsvorschläge werden schließlich ausgewertet - unter Einbeziehung der Betroffenen und mit Blick auf das Gemeinwohl, darauf, was gesellschaftlich und politisch wichtig und möglich ist. So entstehen Kataloge mit Anliegen, Vorschlägen und Forderungen, die rückgebunden an die Lebenswelten und Erfahrungen der Betroffenen sind. Mit diesen dringt InterACT schließlich - wieder mittels des Theaters - in jene politischen Räume vor, wo Entscheidungen getroffen werden, um auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen. "Das sind oft lange, aufwändige Projekte, wozu es zumeist auch Begleitforschung auf verschiedenen Ebenen gibt", erklärt Wrentschur. Die Ergebnisse der Begleitforschung zeigen in der Regel vielschichtige Wirkungen, die persönliche, soziale und politische Ebenen betreffen.

Dynamiken und Situationen erlebbar machen

Zur Veranschaulichung wie die beschriebene Arbeit von InterACT wirken kann, holt Wrentschur zwei besondere Erlebnisse aus den Erfahrungen der vergangenen 14 Jahre hervor:


Im Rahmen des Projekts "Kein Kies Zum Kurven Kratzen" wurde ein Stück zur Erfahrung mit Armut und finanziellen Notlagen aufgeführt. Ein Nationalratsabgeordneter wohnte einer Aufführung bei. Unmittelbar danach trat er an die DarstellerInnen heran und erzählte, er habe die vielen, vom Ministerbüro zur Seite gestellten Unterlagen zum Thema getrost zur Seite gelegt, weil ihn die Aufführung emotional völlig eingenommen habe und er erstmals einen Eindruck gewonnen habe, worum es bei der Thematik wirklich gehe.


Im selben Stück gibt es eine Szene, die beim AMS stattfindet. Eine Frau in finanziell und sozial schwierigen Verhältnissen wird vom AMS in einen Kurs geschickt, den sie - vor allem aufgrund ihrer finanziellen Sorgen - nicht für sinnvoll hält. Die Leiterin einer regionalen AMS-Geschäftsstelle war unter den BesucherInnen und wollte zunächst die AMS-Beraterin ersetzen. Da das Stück aber vorrangig aus der Perspektive von Armutsbetroffenen entwickelt wurde, kam sie dem Vorschlag von InterACT nach und nahm schließlich die Rolle der Klientin ein. Sie habe das nur eine Minute lang ausprobiert, erzählt Wrentschur, "nicht ahnend, welch starker Druck von der anderen Seite des Arbeitstisches auf sie einwirken würde!".

 

"Das Theater hat die Kraft, solche Dynamiken erlebbar zu machen", resümiert Wrentschur diese beiden Erinnerungen.

 

Künftige Projekte von InterACT

InterACT ist derzeit in der ganzen Steiermark mit Aufführungen unterwegs. Beispielsweise am 26.11. wird im Rahmen eines Projektes mit älteren Menschen, die in sozialer Isolation leben, in Hartberg eine Aufführung und Diskussion stattfinden. Aktuell knüpft InterACT in einem steiermarkweiten Projekt an die "Charta der Vielfalt" an. Dabei handelt es sich um das Bekenntnis des Landes Steiermark zu einer Vielfaltsgesellschaft. Mehrere Veranstaltungen an verschiedenen steirischen Orten sind dazu geplant. Dabei fragt InterACT: Wie können wir das Zusammenleben in Vielfalt konkret gestalten und verbessern? 2014 soll weiters bei nationalen EntscheidungsträgerInnen ein Stück mit Migrantinnen aufgeführt werden, worin es um Inklsuion am Arbeitsplatz geht.

 

Sämtliche Termine sind auf der Website von InterACT zu finden.

Weitere Informationen: