Neues Schulheft: Kritische Erwachsenenbildung

07.06.2013, Text: Daniela Savel, Österr. Volkshochschularchiv
Die "dunkle Seite" des Lebenslangen Lernens war Gegenstand einer Buchpräsentation und Podiumsdiskussion in der Wiener Hauptbücherei.
Bei der Podiumsdiskussion "Bildung im Gespräch" Ende Mai in der Wiener Hauptbücherei diskutierten Personen aus dem Feld Bildungstheorie und Bildungspraxis die "dunklen" Seiten des Lebenslangen Lernens und stellten hierbei die aktuelle Ausgabe des schulheft "Kritisch denken: für eine andere Erwachsenenbildung" vor.


Weiterbildung macht glücklich und erfolgreich. Lebenslanges Lernen (LLL) ermöglicht einen - gut bezahlten - Job. Diese Stehsätze werden allerorts verkündet und vermitteln, dass die einzelne/der einzelne ihres/seines Glückes Schmied sei. Würde sich das Individuum „nur“ fleißig weiterbilden, würde sich die individuelle Lage automatisch verbessern. Die problematischen Aspekte des Bildungskonzeptes des LLL wurden aus Anlass des von der Initiative „Kritische Erwachsenenbildung“ herausgegebenen „schulheft“ mit dem Titel „Kritisch denken: für eine andere Erwachsenenbildung“ im Rahmen einer Podiumsdiskussion diskutiert.

Mit dem Bildungsideal vor Augen ...
Grundsätzlich solle (Erwachsenen-)Bildung die Menschen dazu befähigen sich in die Gesellschaft zu integrieren, aber auch die Gegebenheiten zu hinterfragen. Von diesem Ideal sei man jedoch entfernt. Vielmehr gehe es seitens der Erwachsenenbildung darum, die gesellschaftspolitische Forderung nach Integrierung der Menschen mit Bildungsangeboten zu unterstützen. Kritik der bestehenden Verhältnisse sei sowohl auf Seite der BürgerInnen als auch auf Seite der Erwachsenenbildung unter anderem aufgrund von Konkurrenzdruck auf dem (Arbeits-)Markt in den Hintergrund getreten - so lautete das Statement von Erich Ribolits von der Universität Wien. Das Hinterfragen von Gegebenheiten setze Freiräume in zeitlicher und finanzieller Hinsicht voraus. Dazu könnten unter anderem kürzere Arbeitszeiten und ein Grundeinkommen beitragen, ergänzte Daniela Holzer, Forscherin an der Universität Graz.

... zu aktuellen kritischen Fragen
Was soll Inhalt der Erwachsenenbildung sein? Soll es um rein verwertbares, berufliches Wissen gehen? Ist der Schwerpunkt auf künstlerische Betätigung zu legen? Soll politische Erwachsenenbildung forciert werden? Es droht, so konstatiert Erich Ribolits, die politische Erwachsenenbildung zugunsten des Lebenslangen Lernens (LLL) – als rein beruflich verwertbares Lernen – in den Hintergrund zu treten. Umso mehr LLL propagiert werde und man sich diesem auch unterwerfe, umso weniger Zeit bliebe für die AdressatInnen sich anderen, nicht beruflich verwertbaren Bildungsinhalten zu widmen. Und umso stärker sich die Erwachsenenbildung auf dem „Markt“ behaupten müsse, umso schwieriger werde es kritisch zu agieren, da dies möglicherweise negative Konsequenzen auf die eigenen Aktivitäten haben könnte.


Welche Bedeutungsinhalte werden mit Begriffen transportiert? Sind neue Begriffe bloße Synonyme für die bisherigen oder haben die neuen Begriffe eine andere Bedeutung? Von Erwachsenenbildung über Weiterbildung, Allgemeinbildung und schließlich zum derzeit oftmals verwendeten Lebenslangen Lernen spanne sich der Begriffsbogen, so Christian Kloyber (bifeb).


Werden die Erwartungen des LLL erfüllt? Daniela Holzer gab zu bedenken, dass es betreffend LLL viel Brüchiges gebe. Bildung und lernen führen nicht automatisch zum persönlichen und finanziellen Erfolg. Jemand, der trotz (Weiter-)Bildung nicht erfolgreich sei, würde auf individuelles Versagen zurückgeworfen. Hätte sich nur die oder derjenige mehr angestrengt, dann hätte sie oder er Erfolg. Doch dass mitunter auch strukturelle Gegebenheiten (zum Beispiel: Zugangshürden an den Universitäten) den individuellen Erfolg verunmöglichen und dem Anspruch des LLL widersprechen, werde, so Holzer, beim Postulat lebenslang zu lernen ausgeblendet.


Der Begriff „Bildungsferne“ wird im Kontext des lebenslangen Lernens immer wieder verwendet. Die sogenannten bildungsfernen Personen sollen mit zum Teil auch aufsuchenden Bildungsaktivitäten gebildet werden. Doch ist dieses Bildungsbestreben kritisch zu sehen: Welche Bildung ist gemeint? Bürgerliche Bildung? Wer ist von welcher Bildung fern?

Hintergrundinformationen zur Initiative „Kritische Erwachsenenbildung“
Zu wenig Raum für kritische Erwachsenenbildung in Österreich war ausschlaggebend, so die Mitglieder der Initiative, selbige zu gründen. In Folge der ersten Tagung „Dark side of LLL“ am bifeb schlossen sich Ingolf Erler (ÖIEB), Daniela Holzer (Univ. Graz), Christian Kloyber (bifeb), Erich Ribolits (Univ. Wien) und Walter Schuster (VHS Brigittenau) zusammen. Kritische gesellschaftspolitische und bildungspolitische wissenschaftliche Ansätze prägen ihren Zugang zur Erwachsenenbildung.


Ziele der Initiative sind:

  • fortschreitende radikale Demokratisierung und gesellschaftliche Analyse
  • einen Beitrag zu einer kritischen politischen Bildung zu leisten sowie
  • die Erarbeitung und Verbreitung kritischer wissenschaftlicher Forschungserkenntnisse.

 

Erler, Ingolf; Holzer, Daniela; Kloyber, Christian; Ribolits, Erich (Hrsg.) (2012): schulheft 4/12 - 148 Kritisch denken: für eine andere Erwachsenenbildung. Innsbruck-Wien-Bozen: Studienverlag. 158 Seiten. EUR 14,00.

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