Innovative Lernräume: wo sich virtuelles und physisches Lernen trifft
Das Whiteboard, mit den Überresten des falschen Markers? Der Beamer, der immer zu heiß, zu laut oder zu schief eingestellt ist? Oder doch das Sofa, neben dem noch das Weinglas von gestern Abend steht oder der neue IKEA-Schreibtisch-Stuhl, gekauft im ersten Lockdown?
Grenzen: sicher überschreiten
Digitale Möglichkeiten machen nicht nur neue virtuelle, sondern auch neue physische Räume auf, in denen gelehrt und gelernt wird – zusätzlich zu denen, die wir bereits als Kursräume, Klassenzimmer und Hörsäle kennen. Wir erleben, wie an Orten, die im Kontext Lernen bislang dem Selbststudium vorbehalten waren, plötzlich Vortragende, Kolleginnen oder Vorgesetzte auftauchen und informelle Umgebungen auf formale Lernszenarien treffen. Diese Vermischung von Lern- und Rückzugsort, öffentlichem und privatem Raum und auch formalem und informellem Kontext kann sowohl Unbehagen als auch Neugierde, Skepsis oder Spielfreude hervorrufen – wie es bei Grenzüberschreitungen und Ambivalenzen eben oft der Fall ist.
Räume: achtsam aneignen
Wenn nun darüber nachgedacht wird, wie diese neu entdeckten Lernorte mit den gewohnten zusammengeführt werden können, stellt sich die Frage: wie müssen Orte aussehen, in denen die Vermischung von virtueller und physischer Welt Spaß macht, wo sich Lehrende und Lernende in jeder Anwesenheitsform sicher fühlen und wo ein Gefühl von Präsenz für alle entstehen kann, egal, wie sie gerade "da" sind?
Katja Ninnemann referierte in ihrem Vortrag "Perspektive Onlife Spaces. Veränderung des Lernraums Hochschule durch hybride Lehr- und Lernformate" beim fnma Talk 2021 über die Kunst des "Überlagerns" von Lernorten – und zwar nicht im didaktischen oder organisatorischen, sondern tatsächlichen, räumlich-konkreten Sinn. Was Ninnemann für die Hochschule skizziert, ist durchaus auch für die Erwachsenenbildung relevant: in ihrer Vision ist nämlich nicht der "cutting edge"-ausgestattete Kursraum mit interaktivem Whiteboard, an die Wand projizierter Zoom-Session und Vortragenden-Livestream der hybride Lernort der Zukunft. In solchen auf die Lehrperson zentrierten Settings würde, so sagt sie, eben jenes Frontalunterrichts-Konzept zementiert, das wir gerade dabei waren zu überwinden. Chancen für einen echten Kulturwandel des Lernens sieht Ninnemann in Lern-Communities, die an Orten zusammenkommen, in denen das Aufheben von Grenzen Programm ist. Orte, die sowohl formell als auch informell bespielt werden – Funktionsflächen oder Kommunikationsorte etwa – oder Orte, die in Größe und Ausstattung flexibel sein könnten – Büros, Labors oder auch Seminarräume.
Plätze: neu besetzen
Innovativer Unterricht verlangt in dieser Deutung nicht nur, dass digitale Lernszenarien in den physischen Raum "mitgenommen" oder "eingebunden" werden, es bedeutet auch, dass die physischen Räume näher an die virtuellen heranrücken dürfen.
Ein solcher Kultur- und Architekturwandel passiert natürlich nicht über Nacht und es wäre wenig pragmatisch (und auch nicht nachhaltig), auf zusätzliche Räumlichkeiten für hybride Lernsettings zu hoffen. Für Einrichtungen der Erwachsenenbildung stellen sich in Bezug auf hybride Lernsettings also wohl bald die ganz profane Frage: wo ist Platz? Welche Räume können mit Online-Lernoptionen angereichert werden? Die Bibliothek? Die Cafeteria? Der Coworking-Space nebenan? Gibt es Räume und Arrangements, die nicht mehr zeitgemäß sind und die Platz machen können? Ja, ihr seid gemeint, "Computerräume", in denen Stand-PCs in Reih und Glied festgeschraubt sind.
Pläne: mit Mut gemacht
Entscheidungen für oder wider innovative Lernangebote, -Räume und -Szenarien sind schwierig zu treffen und werden in den nächsten Jahren noch öfter revidiert werden müssen. Gerade in der Erwachsenenbildung fehlen Erfahrungswerte und – ganz besonders – inspirierende best practice Beispiele. Diese zu generieren verlangt wie üblich viel Mut, Information und Vorbereitung und noch mehr gegenseitigen Austausch. Das Online-Seminar "Innovative Lernräume: Wege und Potentiale für Bildungsanbieter_innen" der Arbeitsgruppe dig.lab am 28. und 29. März 2022 könnte hier ein guter Einstiegspunkt sein, um über das Thema nachzudenken.
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