Wieso wir überhaupt über Bildungsberatung 50+ reden

22.03.2016, Text: Sylvia Scheidl u. Bettina Novacek, Netzwerk Bildungsberatung in Wien, Redaktion: Magdalena Tauber, Initiative Bildungsberatung - ÖSB Studien & Beratung
Die Beratung von Personen über 50 birgt einige Besonderheiten in sich, das hat eine Fachkonferenz Ende letzten Jahres gezeigt.
Foto: Bildungsberatung Wien
Die ReferentInnen der Fachkoferenz
Foto: Bildungsberatung Wien
Die 4. Fachkonferenz der Bildungsberatung in Wien ging Ende 2015 der provokanten Frage nach, ob die Zielgruppe 50+ Besonderheiten aufweist und sich daher eine gesonderte Auseinandersetzung mit dieser Zielgruppe lohnt. Die Antwort darauf war eindeutig (JA!), die Argumente dafür vielfältig.

 

Ziele der Fachkonferenz


Die Fachkonferenz der Bildungsberatung in Wien setzte wie üblich in Inhalt und Ablauf auf Nachhaltigkeit, Interaktivität im Austausch und Vernetzung bei den Teilnehmenden. In Vorträgen, einer Podiumsdiskussion und in drei Workshops wurde folgenden Fragen nachgegangen: Wieso ist „50+“ in aller Munde? Was bedeutet das für die Bildungsberatung? Welche Ansätze und Konzepte gibt es dazu? Was können wir daraus für unsere Beratungspraxis ableiten?


Eröffnet wurde die Veranstaltung von Daniela Piegler, Leiterin des Fachbereichs Erwachsenenbildung der MA 13. Durch den Tag begleitete Trude Hausegger, prospect GmbH.


Generation Baby Boomer


In seinem sehr humoristischen Eröffnungsvortrag führte Franz Kolland, Professor an der Universität Wien, statt der Zielgruppe 50+ die Bezugskategorie der „Baby Boomer“ ein. Dieser Generation gehören sehr viele Menschen an und sie sind bzw. kommen bald in ihre Späterwerbsphase, weshalb ein Blick auf diese Zielgruppe so bedeutend ist. Baby Boomer wollen ihre Ideen einbringen, Entscheidungsfreiheit und vor allem muss er/sie einen Sinn sehen, in dem, was er/sie tut!

 

Die Baby Boomer, die jetzt in die Späterwerbsphase kommen, haben ein höheres Bildungsniveau, daher eine positivere Bildungseinstellung, mehr Weiterbildungs- u. Beratungserfahrung. "Der Konsum löst den Beruf als primären Identitätsstifter ab, der Pensionsschock ist weniger Thema als früher", so Rudolf Götz, Senior Expert in der ÖSB S&B.

 

Lernen für ein langes Leben statt lebenslanges Lernen


Das Bildungsniveau im Alter und das Bildungsniveau der Frauen steigen seit den 1960er Jahren kontinuierlich an. Was bringt Bildung? Sie bringt höheren Status, verbessert das gesellschaftliche Bild vom Altern, erhöht das Wohlbefinden und stärkt die Selbstkompetenz der Individuen. „Alterscoolness“ ist Kollands Gegenmodell zum Jugendkult: selbstironische Distanz und Gelassenheit als zentrale Qualitäten.

 

Bildung und Beratung mit Gestaltungsperspektive


Defizitäre Zuschreibungen an das Alter und Bilder von „Alten“, die von den Alten der eigenen Kindheit stammen, sind in den Köpfen verankert. Bilder suggerieren Inhalte. Auch in der Beratung ist es nötig, diese Bilder aufzuspüren und sie gegebenenfalls zurecht zu rücken. Bildungsberatung kann dabei helfen, Lernen und Veränderung positiv zu besetzen. Bildung muss aus Franz Kollands Sicht vor allem Gestaltungsperspektive bieten, Bildung ist Vergnügen!


Die Bedeutung von Gestaltungsfähigkeit proklamiert auch Carola Iller, Professorin an der Universität Heidelberg. Das individuelle Ziel der Bildungsberatung ist die Erweiterung der Gestaltungsfähigkeit.

 

Die Herausforderungen einer gelungenen Bildungsberatung


Im Beratungsalltag stellen sich viele schwierige Fragen: Wohin vermittle ich diese Menschen - es gibt wenige Jobs, wenige Weiterbildungen und teils mangelndes Weiterbildungsinteresse. Im Alter tendieren Menschen zur passiven und intrapersonal orientierten Bewältigung von schwierigen Situationen, der institutionelle Rahmen passt möglicherweise nicht.

 

Bildungsberatung 50+ kann daher insbesondere dann gelingen, wenn sie die Bedeutung von (Selbst-)Bildung für die Lebensplanung und Lebensqualität aufzeigt, wenn sie die Reflexionskultur fördert und in vielfältigen Zugängen und Formaten die Vielfalt der Älteren spiegelt, so Iller.

 

Was Bildungsberatung für Ältere leisten kann


Wir müssen davon ausgehen, dass Älterwerden mit einem ständigen Infragestellen von Vertrautem einhergeht. Viele wollen nicht auf die Art alt werden wie ihre Eltern – an diesem Veränderungswillen kann die Beratung ansetzen.

 

Als BildungsberaterInnen können wir überlegen, bei welchen Anlässen wir anknüpfen können, um Menschen zu erreichen, die nicht als 50+ angesprochen werden wollen. Z.B. über berufliche Veränderungen oder die Planung des letzten Berufsjahrzehnts, Gesundheit und Arbeit, berufliche Bildung und Qualifikation, Diskriminierungserfahrung, Arbeitsmotivation, Arbeitslosigkeit, Vereinbarkeit Familie/Beruf, Übergang in den Ruhestand, Zukunftspläne für die nachberufliche Lebensphase, materielle Sicherung, soziale Beziehungen und gesellschaftliche Partizipation.

 

Dabei kann Bildungsberatung Entscheidungsmanagement in Veränderungsprozessen unterstützen, ausgewählte Information bieten und Lernprozesse begleiten. Bildungsberatung kann unterstützen, Veränderungen als neue Möglichkeiten zu erkennen und die Selbsthilfekompetenz zu fördern.


Mainstreaming Ageing


Rudolf Götz schlägt als mögliche Antwort ein "Mainstreaming Ageing" vor. Im Sinne des Equality Mainstreaming wird das gut eingeführte Gender Mainstreaming um eine weitere zentrale Differenzkategorie der Sozialstruktur, nämlich durch das Alter erweitert.

 

Damit soll erreicht werden, dass „Alter“ als Querschnittsthema in alle Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe der Bildungsberatung integriert wird, um eine alterssensible Bildungsberatung zu ermöglichen.

 

Perspektiven für den Beratungsalltag


Der reichen Analyse der Vortragenden folgten ein lustiges wie tiefgreifendes Bewerbungstheater „So nicht, Herr Wagner“ von und mit Martin Wagner und Willi Klotz von JobTransfair. Zudem gab es praktisch orientierte Workshops von Regula Zellweger, Psychologin und Laufbahnberaterin, Susanne Zierer, Bildungsberaterin bei der Bildungsberatung Steiermark und Barbara Klabischnig-Hörl, ebenfalls Bildungsberaterin, in denen es um konkrete Beratungsstrategien von Menschen in und nach ihrer Lebensmitte geht: biografieorientierte Beratung und Laufbahngestaltung mit leichtfüßiger Aktivierung der reichen Lebenserfahrung und „frechmutigem“ Blick nach vorne.

 

Hinweis der AutorInnen: Die beschriebene Veranstaltung wurde - ebenso wie die Bildungsberatung im Netzwerk Wien - aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Bundesministeriums für Bildung und Frauen gefördert.

Weitere Informationen

 

Videos der Vorträge, sowie ein online-Tagungsband folgen in Kürze.

 

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