"Im Iran habe ich als Buchhalterin gearbeitet ..."

18.03.2016, Text: Michaela Schneider, BFI Österreich
Wie ein Arbeitsmarktprojekt des BFI Tirol asylberechtigten Menschen hilft, in Österreich beruflich Fuß zu fassen. (Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft)
Im Lerncafé lässt sich Gelerntes weiter vertiefen
Foto: BFI Tirol
Schwieriger Neustart in Österreich
Atra (Name geändert) aus dem Iran ist kein Einzelfall, ihre Geschichte steht für viele Asylberechtigte in Österreich: Vor Krieg und Verfolgung flüchteten sie nach Europa, jetzt versuchen sie sich hier ein neues Leben aufzubauen. Zwar ist die erste Hürde genommen, ihre Aufenthaltsbewilligung eröffnet – zumindest derzeit noch – längerfristige Perspektiven. Aber einen passenden Job zu finden, ist trotzdem nicht einfach. Selbst wenn man hoch motiviert ist. Als größte Hürden erweisen sich mangelnde Deutschkenntnisse und fehlende Abschlüsse. Genau da setzt "Pole Position" an.

 

Maßgeschneiderte Qualifikationen in Theorie und Praxis
Das Projekt, gefördert vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union, vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres und vom Land Tirol, läuft von 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2016. Insgesamt 60 TeilnehmerInnen führt "Pole Position" über je drei Monate hinweg mit verschiedenen Angeboten an den österreichischen Arbeitsmarkt heran. Voraussetzung sind ein Mindestalter von 16 Jahren und Deutschkenntnisse auf A2-Niveau.

 

Startklar für den Arbeitsmarkt
"Das Projekt ‚Pole Position' ist das einzige in Tirol, das anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte gezielt mit Fachsprache, Theorie und Praxis auf den österreichischen Arbeitsmarkt vorbereitet," erklärt Margit Kerschbaumer, Leiterin der Abteilung EU-Projekte am BFI Tirol. Und sie fügt hinzu: "Es gibt großen Handlungsbedarf. Die Zielgruppe des Projektes kann sich nach der oft jahrelangen Erwerbslosigkeit während des Asylverfahrens wieder an einen Arbeitsalltag gewöhnen und vor allem mit dem österreichischen Arbeits- und Ausbildungssystem sowie den Anforderungen spezieller Berufsbilder/Berufsbranchen vertraut machen."

 

Orientierung und Perspektiven
An Beratung und Aufnahmeverfahren schließen sich 220 Unterrichtseinheiten Clearing und kontinuierliche Bildungsbegleitung an. Ziel ist es, den TeilnehmerInnen ausgehend von den Kompetenzen, die sie aus ihren Heimatländern mitbringen, berufliche Möglichkeiten samt entsprechenden Bildungswegen in Österreich aufzuzeigen. Atra weiß, dass sie ihren bisherigen Beruf in Österreich nicht ohne Weiteres ausüben kann. Dennoch ist sie zuversichtlich: "‚Pole Position' hilft mir herauszufinden, welchen Job ich in Österreich machen kann."

 

Qualifizierung auf drei Stufen ...
Die auf das Clearing folgenden Schulungen gliedern sich in drei Abschnitte:

  • den Basiskurs "Mein Einstieg in den Arbeitsmarkt",
  • einen Vorbereitungskurs für weiterführende Ausbildungen und
  • Fachqualifizierungen.

 

Im Einstiegskurs liegt der Schwerpunkt auf Sprache und Kommunikation. Er soll in 120 Unterrichtseinheiten Wissen über den österreichischen Arbeitsmarkt vermitteln. Im Aufbaukurs können die TeilnehmerInnen zur Vorbereitung auf weiterführende (berufliche) Ausbildungen fehlende Kenntnisse in Deutsch, Mathematik und Englisch nachholen. Der Fokus in den dafür vorgesehenen 160 Unterrichtseinheiten ist auf der Erreichung individuell angestrebter bzw. erforderlicher Voraussetzungen für weiterführende Bildungswege wie Pflichtschulabschlusskurs, Lehre, Abendgymnasium, Studium etc.

 

... und in vier Branchen
Auf der Ebene der Fachqualifizierungen geht es um die Vermittlung von Fachsprachekenntnissen und das Sammeln praktischer Erfahrungen – in vier Berufsfeldern:

 

  • Gastronomie (Küche) – 130 Unterrichtseinheiten,
  • Gesundheit/Pflege (24-Stunden-Personenbetreuung) – 200 Unterrichtseinheiten,
  • gewerblich-technischer Bereich (Elektronik, Metalltechnik, Bau und Lager, inkl. Staplerschein) – 120 Unterrichtseinheiten,
  • Gebäudereinigung – 120 Unterrichtseinheiten.

 

Lerncafé – voneinander und miteinander lernen
Zusätzlich zu Beratung, Begleitung und Schulung steht den TeilnehmerInnen ein Lerncafé zur Verfügung. Auf freiwilliger Basis können sie sich dort treffen, um gemeinsam zu lernen. So lassen sich die Kursinhalte und soziale Kontakte, die auch für den Informationsaustausch genutzt werden können, vertiefen. Das Lerncafé bietet Computerarbeitsplätze mit Internetzugang, verschiedene Lernmaterialien einschließlich E-Learning-Möglichkeiten sowie eine Lernbetreuung. Dieses betreute Selbststudium umfasst 220 Unterrichtseinheiten.

 

Mehr Bedarf als Plätze
Über mangelndes Interesse kann man sich am BFI Tirol nicht beklagen. Im Gegenteil: "Seit einiger Zeit merken wir eine steigende Nachfrage," erklärt Margit Kerschbaumer. Daher setzt sich das BFI Tirol für eine Aufstockung der Finanzmittel ein, um mehr TeilnehmerInnen in die Kurse aufnehmen zu können. Und ihnen wie Atra den Neubeginn in Österreich zu erleichtern.

 

Serie: Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft
Integrationskurse und Spracherwerb mögen ein Anfang sein. Doch wenn es um den sozialen Wandel geht, der mit Zuwanderung verbunden ist, sind die Menschen mit Migrationserfahrung nur eine der Zielgruppen von Erwachsenenbildung. Die Anforderungen der Migrationsgesellschaft betreffen uns alle. Fragen nach Teilhabe, Verständigung und Zusammenleben stellen sich immer wieder neu. Wie Erwachsenenbildung diese Anforderungen beschreibt, reflektiert und deutet, und welche Angebote für Lernen und Bildung sie ihnen entgegen bringt, ist Gegenstand einer Serie von Artikeln auf erwachsenenbildung.at. Alle Beiträge in der Serie finden Sie hier.

Weitere Informationen:

 

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