Work-Life-Balance – auch in der Erwachsenenbildungspolitik?

12.03.2016, Text: Birgit Aschemann, Redaktion/CONEDU
Aktuelle europäische Studien und Positionspapiere hinterfragen das Kräfteverhältnis von Beruflicher und Allgemeiner Erwachsenenbildung.
Allgemeine und berufliche Bildung in Balance halten ist Aufgabe der EB
Bild: CC BY NY Photographic
Die Europäische Kommission rief Ende 2015 mit dem ET2020-Umsetzungsbericht zu einer stärkeren Zusammenarbeit der allgemeinen und beruflichen Bildung auf. Unsere Aufgabe ist es, diese Zusammenarbeit im Bereich der Erwachsenenbildung ausgewogen zu gestalten, also quasi „Life“ (Allgemeinbildung) und „Work“ (Berufsbildung) auszubalancieren. Dabei steht nicht nur die Erwachsenenbildung, sondern indirekt auch die gesellschaftliche Entwicklung auf dem Spiel.


Es gibt die Tendenz, in der Erwachsenenbildung nur das zu fördern, was für den Arbeitsmarkt nützlich ist. Eine Reihe von guten Argumenten spricht jedoch dafür, die allgemeine Erwachsenenbildung nicht zu vernachlässigen. Einige dieser Argumente haben sogar direkt mit dem Arbeitsmarkt zu tun.

Schlüsselkompetenzen zentral für Employability

Schlüsselkompetenzen sind übertragbar, und diese Übertragbarkeit wird angesichts der wechselhaften Berufsbiografien immer wichtiger. Gerade allgemeinbildende Inhalte und Kompetenzen ermöglichen erfolgreiche berufliche Aufstiege, Umstiege und Neueinstiege. In Zeiten des Veränderungsbedarfs erweitern solche Fähigkeiten den Möglichkeitsraum. „Ein rein fachbezogener Ansatz birgt die Gefahr der Konzentration auf nur begrenzt einsetzbare Fähigkeiten, welche womöglich schon bald wieder überholt sein könnten.“ – so die EAEA in ihrem aktuellen „Manifest für Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert“.

Im Grund heißt das: Allgemeinbildung hat mit dem gestiegenen Veränderungsdruck eine neue, berufsrelevante Bedeutung bekommen. Und Lernfähigkeit selbst ist dabei möglicherweise die wichtigste Schlüsselkompetenz unter allen.

Erwachsenenbildung kann mehr als qualifizieren

Die Benefits des Lebenslangen Lernens sind spätestens seit der BeLL-Studie (2014) in ihrer Breite klar: Wer an Weiterbildung teilnimmt, berichtet auch über bessere Gesundheit und einen gesünderen Lebensstil, neue soziale Netzwerke, ein gesteigertes Wohlbefinden, eine größere Motivation zum Weiterlernen usw. – und das über alle Kursinhalte hinweg. Weiterbildung als solche steht in einem Zusammenhang mit einer hohen persönlichen Lebensqualität und wirkt auch auf das soziale Umfeld.

Das gilt nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern hat eine gesamtgesellschaftliche Dimension:  „Erwachsenenbildung ist die Antwort auf viele der aktuell größten Herausforderungen in Europa“, so die EAEA in ihrem aktuellen Manifest. Drängende Probleme wie soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Gewalt/Terror, Migration, Klimawandel und der Veränderungsdruck durch zunehmende Digitalisierung sind ohne allgemeine Erwachsenenbildung nicht zu bewältigen.

Das Zusammenleben neu lernen

Außerdem zeigen uns Terroranschläge, Flüchtlingsströme und nationale Reaktionen auf die Migration ganz deutlich, wo die aktuell wichtigsten europäischen Lernaufgaben – neben der Beschäftigungssituation – liegen.

Die BildungsministerInnen riefen 2015 in Paris dazu auf, die gemeinsamen Werte von Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung in einer europaweiten Anstrengung durch Bildung zu stärken. Im Februar 2016 haben neue ET2020-Arbeitsgruppen ihre Arbeit aufgenommen, darunter auch eine eigene Gruppe zur Umsetzung der Erklärung von Paris. Diese Gruppe soll Maßnahmen erarbeiten, um auf allen Ebenen der Bildung die sozialen Kompetenzen, das Demokratiebewusstsein und die interkulturellen Kompetenzen zu fördern. Das sind klassische Aufgaben der allgemeinen Erwachsenenbildung.

Der Basisbildung kommt hierfür große Bedeutung zu. Schon PIAAC hat gezeigt, dass Personen mit besseren Grundkompetenzen auch mehr soziales Vertrauen und größere Bereitschaft zu ehrenamtlichen Tätigkeiten aufbringen.

Ein lebensnotwendiges Spektrum

EURYDICE hat 2007 in einem Arbeitspapier versucht, die nicht-berufliche (allgemeine) Erwachsenenbildung in ihrer thematischen Fülle europaweit zu fassen. Demnach deckt die Erwachsenenbildung soziale Themen (wie Alter, Armut, Gesundheit, Elternschaft...), künstlerisch-kulturelle Inhalte (wie Kunst, Handwerk, Kulinarik, Musik, ...), politische Themen (wie Demokratie, Partizipation, Gemeinwesenarbeit, Interkulturalität,...), Sprachen (Fremd- und Zweitsprachen), Basisbildung, und teilweise auch Informations- und Kommunikationstechnologien ab.

Wie der österreichische Bildungs- und Politikwissenschaftler Lorenz Lassnigg zutreffend schreibt, sind mit diesen Themen fundamentale gesellschaftliche Überlebensfragen angesprochen, die im Sinne der Lebensqualität in Europa nicht hinter den Arbeitsmarktthemen zurückstehen dürfen.

Ausgewogenheit als Aufgabe der Bildungspolitik

Der UNESCO-Bericht "Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum" ("Learning: the treasure within") geht auf das Jahr 1996 (deutsch: 1997) zurück und war ein Ergebnis weltweiter Analysen und Beratungen einer unabhängigen Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Er postulierte vier Säulen für ein zukunftsträchtiges Bildungsmodell: Lernen, zusammenzuleben; Lernen, Wissen zu erwerben; Lernen zu handeln; Lernen für das Leben (Learning to know, Learning to do, Learning to be und Learning to live together). „Fundament muss eine breit angelegte Grundbildung sein, die vor allem die Fähigkeit zu lebensbegleitendem Lernen vermitteln soll.“, schrieb Delors.

Die Ausgewogenheit, für die ich hier plädiere, ist in dieser Beschreibung angelegt. Die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zeigen deutlicher denn je, dass dieser breite Zugang zur Bildung für die Gesellschaft überlebenskritisch ist.

Weiter Informationen:

 

 

Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

 

 

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