"Damit das, was jemand gelernt hat, einen Wert bekommt"

03.02.2016, Text: Karin Kulmer (seit 2023: Karin Lamprecht), Redaktion/CONEDU
Künftig soll es für bildungsbenachteiligte und lernbeeinträchtigte Menschen leichter werden, eine anerkannte berufliche Grundausbildung zu absolvieren.
Foto: Chance B
Modulare Berufsausbildung soll Stärken sichtbar machen
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Bildungsbenachteiligte Menschen haben es oft schwer, eine formale Berufsausbildung zu absolvieren. Ohne anerkannte Zeugnisse gestaltet sich wiederum die Arbeitssuche schwierig. "Dabei haben Menschen mit Lernschwierigkeiten oder anderen Beeinträchtigungen genauso ihre Stärken", so Marion Bock, Projektleiterin in der Chance B Firmengruppe. "Diese Stärken möchten wir sichtbar machen". Gemeinsam mit internationalen ProjektpartnerInnen entwickelte sie daher im Rahmen des Projekts EQF meets ECVET einen Entwurf für eine non-formale, modulare Berufsausbildung mit niederschwelligem Zugang.

 

Kompetenzen sichtbar machen

Bereits seit einigen Jahren beschäftigt sich Marion Bock mit der Inklusion von non-formalen beruflichen Grundausbildungen in den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR / engl. NQF). Das Vorgängerprojekt NQF Inclusive sei ein erster Versuch gewesen, Kompetenzen auf niedrigem Level sichtbar zu machen. "Begonnen haben wir damit, den Lehrberuf der KonditorInnen auf die ersten beiden Niveaustufen herunterzubrechen", so Bock. "Inzwischen ist uns klar geworden, dass non-formale Qualifikationen durchaus von formalen Ausbildungen abweichen können."

Eine Besonderheit von Menschen mit Lernbeeinträchtigungen sei, dass verschiedene Kompetenzen oft unterschiedlich ausgeprägt seien. "Ein und dieselbe Person kann Schwierigkeiten damit haben, das Lager einzuräumen, aber gleichzeitig toll im Verkauf sein und gut mit KundInnen umgehen können", erzählt Bock. "Daher war unser Wunsch für das aktuelle Projekt, ein Modell für eine modulare Ausbildung zu entwickeln." So könne jede/r den eigenen Kompetenzen entsprechend verschiedene Niveaustufen in verschiedenen Bereichen erreichen.

Das modulare Ausbildungsmodell richtet sich in einem ersten Schritt an SchulungsanbieterInnen in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Lernende wolle man erst dann einbeziehen, wenn man ihnen eine anerkannte Form der Zertifizierung anbieten könne. Marion Bock: "Wir wissen aber schon jetzt, dass auch schon die verbale Beschreibung von Lernergebnissen ein wichtiger Anhaltspunkt für ArbeitgeberInnen ist. Sie wissen dann besser, welche Fähigkeiten die MitarbeiterInnen mitbringen und wo sie vielleicht noch Hilfe brauchen".

 

NQR in Österreich: Bewusstsein für die Zielgruppe

Im Rahmen des internationalen Projektes wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Staaten sichtbar. "Manche Länder, wie z.B. Deutschland, sind beim Nationalen Qualifikationsrahmen schon weiter, haben aber einen starken Fokus auf formale Ausbildungen und tun sich schwer, den DQR für non-formale Qualifikationen öffnen." In Österreich gebe es hingegen bereits ein starkes Bewusstsein für die Zielgruppe. "Wir arbeiten eng mit der NQR-Koordinierungsstelle zusammen und spüren eine große Bereitschaft, den NQR auch für Qualifikationen auf den unteren Niveaustufen und für non-formale Ausbildungen zu öffnen." Ein Modell, wie die einzelnen Module durch den NQR anerkannt werden können, ist eines der Projektergebnisse.

Wie es für die Lernenden weitergeht und wann sie ihre Kompetenzen durch anerkannte Zeugnisse nachweisen können, hängt auch davon ab, wie das derzeit (Stand Februar 2016) als Entwuf vorliegende NQR-Gesetz in die Praxis umgesetzt wird. Marion Bock ist zuversichtlich, dass ihr Projekt zu einer Verbesserung der Situation für betroffene Menschen beitragen wird. Ihre Vision für die Zukunft? "Dass wir davon abkommen, das formale System von vornherein als 'besser' zu erachten. Damit das, was jemand gelernt hat, egal wann und wo, einen Wert bekommt."

 

Begriffsbestimmung: EQF, NQR und ECVET

Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR / engl. EQF) wurde im April 2008 auf Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats eingeführt. Er besteht aus acht Schwierigkeitsstufen, denen Ausbildungen und Schulungen zugeordnet werden können. So soll die Vergleichbarkeit von Bildungsmaßnahmen auf europäischer Ebene sichergestellt werden. Der EQF orientiert sich an Lernergebnissen und bildet diese in Form von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten ab. Er betrifft explizit alle Formen des Lernens - formal, non-formal und informell - und möchte so Lernergebnisse auf neutraler Ebene vergleichbar machen.

Die meisten EU-Mitgliedsstaaten arbeiten auf freiwilliger Basis daran, ihre Qualifikationssysteme an den EQF zu koppeln und einen Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR / engl. NQF) zu erstellen. In Österreich wurde der Prozess 2007 begonnen. Das Bundesgesetz über den Nationalen Qualifikationsrahmen liegt mit Stand Februar 2016 dem Nationalrat als Entwurf vor und soll voraussichtlich mit März 2016 in Kraft treten.

Das Europäische Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) zielt darauf ab, Transparenz, Mobilität und Durchlässigkeit über Ländergrenzen hinweg, sowie zwischen Bildungs- und Qualifikationsbereichen zu fördern. Auch bei ECVET werden Qualifikationen und Lerninhalte in Form von Lernergebnissen beschrieben und anschließend zu Einheiten zusammengefasst. Es besteht die Möglichkeit, Lernergebnisse im Rahmen von ECVET zu gewichten, indem ihnen Punkte zugewiesen werden.

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