Lernen mit Technologien ist mehr als Lehrpläne technisch umzusetzen

27.11.2015, Text: Birgit Aschemann u. Wilfried Hackl, Redaktion/CONEDU
Auch beim digitalen Lernen steht die Didaktik vor der Technik. Sie entscheidet über die Wahl der Mittels und deren Einsatz. (Serie: Digitale Technologien und Ressourcen für die Erwachsenenbildung)
Digitale Bildung ist mehr als Technisierung von Lernprozessen
Grafik: Sabine Schnepfleitner/CONEDU
Technologieunterstütztes Lernen - gemeinhin als eLearning bezeichnet - hat viele Formen, kleinteilige ebenso wie umfassende. Die Zahl der hierfür verfügbaren Instrumente ist enorm, und ständig kommen neue hinzu (eine erprobte Auswahl hatten wir kürzlich in diesem Artikel vorgestellt). Aber worauf muss man bei der Auswahl und dem Einsatz solcher Technologien achten?

 

Abstufungen des Technologie-Einsatzes: die Geschmäcker sind verschieden 

 

Zur Klassifizierung der technologiegestützten Lernformate verwendet der Experte Martin Ebner von der TU Graz die "Barbecue-Typologie": der technologiefreie Präsenzunterricht würde demnach einem blanken Würstchen am Grill entsprechen. Mit dem Technologieeinsatz kommen Ketchup und Senf dazu, und ab der zusätzlichen Unterstützung durch ein Lernmanagementsystem (wie Moodle) sprechen sie bereits von einem Hot-Dog. Ein Schaschlik-Spieß entsteht, wenn sich Präsenzphasen mit reinen Online-Phasen abwechseln. Und das reine Online-Lernen (mit unterschiedlichen Phasen und Werkzeugen) wäre ein Gemüsespieß - ein bisschen weniger "fleischlich", aber genauso nahrhaft. Letztlich werden die Lernenden entscheiden, was ihnen schmeckt. Ein Trend zum Vegetarismus oder wenigstens zur abwechslungsreichen Ernährung ist jedoch unverkennbar - salopp gesagt.

 

Der Schwanz soll nicht mit dem Hund wedeln

 

Bei all der verführerischen Fülle gilt: Ziele und Inhalte haben Vorrang vor Methoden. Beim Technologie-unterstützten Lernen sollen Lernprozesse mit Technologien unterstützt werden und nicht umgekehrt. ErwachsenenbildnerInnen, die das ernst nehmen, werden in der Planung weiterhin von ihren Zielgruppen ausgehen, Lernziele definieren und die Methoden daraus ableiten. 

 

Welche Technologien das Lernen am besten unterstützen, hängt davon ab, worum es überhaupt geht: Um das Vermitteln eines bestimmten, definierten "Wissens" (Instruktion)? Um ein Ausprobieren oder Weiterentwickeln zu diesem Wissen? Um das gemeinsame Erarbeiten einer Gruppen-Lösung oder -Ressource (Konstruktion?) Um das Entwickeln oder Reflektieren, Diskutieren oder Verfeinern einer individuellen Lösung? Oder um etwas anderes? Je nachdem, wie offen oder geschlossen das Ziel ist, sind auch andere Instrumente geeignet. 

 

Wer Technologien erprobt kommt rasch dahinter, dass nicht jedes Mittel für jeden Zweck geeignet ist. Zum Beispiel eignen sich Answergarden und Tricider gleichermaßen zum Sammeln von Ideen; doch nur mit Tricider kann ich auch über die Ideen diskutieren und abstimmen. Wer es gewohnt ist, im Präsenzlernen den einen oder anderen Methodentipp anderer einfach nach Bedarf zu variieren, macht bei Online-Tools durchaus die Erfahrung, dass technische Lösungen nicht so flexibel sind, und die Kriterien der Wahl daher vorab gut überlegt sein sollten.

 

Erfolgskritisch: didaktisches Design und Lernbegleitung

 

Man könnte meinen, dass der Erfolg beim eLearning oder Blended Learning vor allem von der technischen Infrastruktur abhängt. Das ist ein verbreiteter Irrtum. Vielmehr scheitern Blended-Szenarien, weil Abläufe nicht sorgfältig geplant wurden, die einzelnen Phasen nicht gut aufeinander abgestimmt oder die Lernenden schlecht betreut wurden. Auch dass eLearning automatisch mit weniger Personaleinsatz oder Kosten verbunden ist, als Präsenzlernen, ist ein verbreiteter Irrglaube.

 

"Wird die didaktische Planung gegenüber technologischen und finanziellen Überlegungen vernachlässigt, bleiben virtuelle Bildungsangebote häufig erfolglos",schreiben die AutorInnen des "Handbuch E-Learning" in der neuesten Auflage. Nur wenn eLearning-Anteile gut eingebaut und mit Präsenzanteilen gut vernetzt sind, werden Lernende die Technologien wirklich nutzen. 

 

Weiterhin bleibt wichtig, Material interessant und persönlich zu gestalten. Außerdem sollen Lernende nicht mit den Online-Materialien alleine gelassen werden - sie brauchen Feedback, Vernetzung und ein Aufgreifen von Online-Materialien in (persönlichen oder virtuellen) Treffen.

 

Mikrolernen: Das Ganze als Summe kleiner Teile

 

Eine aktuelle Publikation über digitale Technologien zeigt ganz deutlich, dass das Bild einer technisch optimierten Wissensvermittlung viel zu kurz greift - und wenn man zumindest für die Schulen Prüfungsergebnisse vergleicht, auch nicht zu besserem Lernen führt. Vielmehr erleichtern Geräte, Apps und Online-Dienste die Arbeit Lehrender, sie dienen als Instrumente zur Verwirklichung eines integrierten Verhältnisses von Lehren und Lernen und tragen dazu bei, dass TeilnehmehmerInnen Gelerntes kreativ einsetzen und in authentische Ergebnisse übersetzen. 

 

Digitale Lernaktivitäten können von Präsenztreffen oder Online-Skripten ihren Ausgang nehmen und um eigenen Content der Lernenden erweitert werden: ob es sich nun um Hyperlinks, Videos, Tweets, Blogbeiträge oder eine Forumsdiskussion handelt - Lernende konstruieren ihr Wissen zunehmend aus einer Summe kleiner, online verfügbarer Informationseinheiten. Diese Art des Mikrolernens entspricht den Internet-Gewohnheiten angesichts Drahtlosverbindungen und Web 2.0-Anwendungen: einzelne individuelle Such- oder Kommunikationsbewegungen im Netz summieren sich zu informell erworbenen Lernerträgen. 

 

Vergleicht man diese Lernpraxis mit der einst vorherrschenden (aus heutiger Sicht: kontemplativen) Beschäftigung mit einem Buch, könnte der Unterschied kaum größer sein. Eine veränderte Lernkultur mit einer Verschiebung der pädagogischen Verhältnisse deutet sich an, die im Extremfall sogar die Metapher des "Bildungsangebots" in Frage stellt. Nicht umsonst ist immer öfter von Co-Creation und gemeinsamer Wissensgenerierung die Rede (wie etwa zuletzt beim wEBtalk am 06.11.2015).

 

Didaktisch geht es also überwiegend nicht darum, bestehende Lehrpläne technisch besser umzusetzen, sondern die Mittel des digitalen Zeitalters zu nutzen und digitale Kompetenzen implizit zu erwerben.

 

Zwei Lesetipps

 

Mit der Neuauflage des "Handbuch eLearning" von 2015 bietet der wbv-Verlag ein Kompendium der Didaktik des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien im Web an. Das Handbuch thematisiert eine Vielzahl an Aspekten der Planung, Produktion, Implementierung, Durchführung, Evaluation und Qualitätssicherung erfolgreicher E-Learning Angebote. (Anm.: Der Redaktion stand bei der Erstellung des vorliegenden Beitrags ein Rezensionsexemplar des Verlags zur Verfügung.)

 

Ein Online-Lehrbuch für Lehren und Lernen mit Technologien "L3T" ist zudem seit Februar 2011 unter einer Creative Commons-Lizenz frei verfügbar. Die 59 Kapitel des Lehrbuchs wurden von 140 WissenschafterInnen aus dem deutschsprachigen Raum verfasst. Ein Schwerpunkt liegt nach Angaben auf der Website des L3T auf neueren Entwicklungen wie MOOCs, (Micro-) Blogging oder mobilem Lernen. 

 

Serie: Digitale Technologien und Ressourcen für die Erwachsenenbildung

In einer Serie von praxisnahen Beiträgen berichtet erwachsenenbildung.at über digitale Möglichkeiten für das Lernen und Lehren von und mit Erwachsenen. Enorme Chancen sind damit verbunden, was Öffnung, Kommunikation und Austausch, aber auch Arbeitserleichterung und Effizienz betrifft. Die Serie soll dazu ermutigen, die technischen Möglichkeiten zu erproben und sich diese letztlich (individuell und als Bildungssektor) anzueignen. Alle bisher erschienenen Beiträge der Serie finden Sie hier.

Weitere Informationen:

Verwandte Artikel